Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zwei Euro auf den Gaul

In der juristischen Grauzone gedeihen die Wettbüros

Um eins mußte man sich in Neukölln bisher keine Sorgen machen: leerstehende Ladenlokale. Sobald eine Pizzeria, ein Matratzenhändler oder ein Schuhgeschäft die Pforten schloß, handelte bereits ein Wettbüro den neuen Mietvertrag aus. Die Hermannstraße säumt mittlerweile eine ganze Reihe von Zockerbuden, nur selten unterbrochen von Callshops oder 99-Cent-Läden. Man setzt auf Fußballspiele, Pferde- und Hunderennen oder – je nach Tageszeit – auch auf Boxkämpfe und Golfturniere. Zwischen Buchmacherläden, in denen fast ausschließlich Türken auf den Sieg von Fenerbahçe, Galatasaray oder gar Beæiktaæ tippen, thront auch die traditionsreiche „Albers-Wettbörse". Während unseres Besuchs tummeln sich dort mindestens 100 Leute, darunter gerade mal drei Frauen: Eine schenkt hinter dem gediegenen, aber wenig frequentierten Kneipentresen Bier und Cola aus, eine nimmt Wetten entgegen, und immerhin eine Besucherin langweilt sich neben ihrem Angetrauten. Die Gäste lehnen an kleinen Stehtischen, wühlen in den überall herumfliegenden Wett- und Programmzetteln, schlendern hin und wieder zu einem der vier Schalter oder starren gebannt auf einen von Dutzenden Monitoren. Etwa die Hälfte der Bildschirme überträgt Fußballspiele oder Rennen, die anderen zeigten in Zahlenkolonnen die Ergebnisse, Quoten und Startzeiten.

Unsere Anwesenheit scheint den Stammkunden nicht weiter aufzufallen. Als wir etwas ratlos die kryptischen Gebrauchsanweisungen studieren, erbarmt sich ein netter Mensch und erklärt uns die Spielregeln. Wir entscheiden uns als Einstieg für ein Pferderennen irgendwo im Ruhrgebiet, setzen umsichtig auf den Gaul, dem immerhin die zweitmeisten Mitbieter den Sieg zutrauen, und reihen uns etwas nervös am Schalter ein. Man braucht keine Hunderte Euro, um dabei zu sein, schließlich sind wir in Neukölln und nicht in Baden-Baden: Unsere zwei Euro ­ der Mindesteinsatz in diesem Lokal ­ nimmt die freundliche Dame an, ohne mit der Wimper zu zucken.

Noch vor Beginn des Rennens wagen wir uns an die Spiele der ersten und zweiten Fußballiga. Während wir mutig gleich auf den Ausgang dreier Spiele wetten ­ ohne zu ahnen, daß wir nur gewinnen, wenn gleich alle auf einem Zettel gemachten Voraussagen sich erfüllen ­ haben sich offenbar auch die Profis dem Rennen im Ruhrgebiet zugewandt: Sie trauen unserem Favoriten offensichtlich überhaupt nichts zu, seine Quote schnellt nach oben. Als endlich die Viecher auf einem der Bildschirme gezeigt werden, ahnen wir auch warum: Besonders lauffreudig sieht die Nummer Sieben wirklich nicht aus. Der Klepper wird zwar nicht letzter, aber unser Wettzettel landet bei den anderen wertlosen auf dem Fußboden. Eine Stunde später fliegt unsere Fußballwette hinterher. Sechs Euro sind verloren.

Wir probieren es im türkischen Wettbüro „Tipico" im Neuen Kreuzberger Zentrum. Um wenigstens einmal in den Genuß einer Auszahlung zu kommen, entwickeln wir ein unschlagbares System. Es spielt der HSV gegen Gladbach. Einer setzt bescheiden zwei Euro auf den potentiellen Meister HSV, der andere mutig dieselbe Summe auf das mittelmäßige Team von Gladbach. Quote: 1,47 zu 7,50. Wir haben Glück ­ es hätte auch unentschieden ausgehen können ­ und feiern den Sieg des HSV. Auch diesmal ernten wir kein abfälliges Grinsen, als wir uns triumphierend die gewonnenen 2,95 Euro auszahlen lassen.

Vater Staat und seine Spielkinder

Eigentlich sind private Wetten in Deutschland ­ mit Ausnahme von Pferdewetten ­ verboten. Schließlich hat der Staat die gesetzlich verankerte Aufgabe, auf uns aufzupassen und „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken" (Lotteriestaatsvertrag). Während er sich bei unserem Tabakkonsum darauf beschränkt, Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen aufzudrucken und gleichzeitig die Tabaksteuer einsackt, bekämpft er die Spielsucht recht entschlossen: Private Firmen dürfen gar nicht erst Sportwetten mit festen Gewinnquoten (sog. Oddset-Wetten) annehmen, um ja nicht dem Staat das Geschäft zu vermiesen. Schließlich wird mit den mehreren Hundert Millionen Euro, die der staatliche Sportwettenanbieter Oddset jährlich einnimmt, der Breitensport finanziert.

Doch dann wollte sich die Münchner Buchmacherin Frau K. nicht mehr nur auf fade Pferdewetten beschränken, sondern auch Oddset-Wetten in anderen Sportarten anbieten, und klagte sich bis vor das Bundesverfassungsgericht, das vor etwa drei Wochen sein Urteil verkündete. Die Spielverderber in Karlsruhe wiesen zwar die Beschwerde ausdrücklich zurück, stolperten aber bei ihrer Urteilsfindung über den derzeitigen staatlichen Umgang mit den potentiell Spielsüchtigen: Es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, wenn nur staatliche Etablissements Wetten anbieten dürften, „ohne das Monopol konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren auszurichten". Von Suchtbekämpfung kann aber kaum die Rede sein, wenn Oddset an jeder Lotto-Annahmestelle, an Litfaßsäulen und auf Spielfeldbanden wirbt.

Immerhin ließen die Richter Gnade vor Recht walten und verpflichteten den Gesetzgeber erst zum Ende 2007, das Staatslotteriegesetz neu zu regeln. Während der lukrativen Fußball-WM darf der Staat weiterhin seine Konkurrenten illegalisieren ­ und tut das auch mehr als zuvor: Bayern kündigte schon verstärkte Razzien in illegalen Wettbüros an und will jegliche Werbung für private Wettfirmen, natürlich auch auf Fußballer-Trikots, verbieten ­ unter diesen Umständen wird Betandwin wohl seinen Sponsoringvertrag mit Werder Bremen noch einmal überdenken. Diese in Wien ansässige Wettfirma reagiert schon seit längerem auf die bestehende Suchtgefahr ihrer Kunden mit einer Beschränkung des Einzahlungslimits auf gerade mal 1000 Euro pro Tag und 5000 Euro im Monat.

Oddset will demnächst einen Schritt weiter gehen und auf alle Wettscheine Warnhinweise drucken. Auf den Scheinen vom Kreuzberger Wettbüro Tipico steht schon jetzt: „Achtung: Wetten kann süchtig machen!" Und womöglich müssen wir bald auf den Banden am Spielfeldrand obligatorische Warnhinweise über die drastischen Risiken und Folgen des menschlichen Spieltriebs über uns ergehen lassen: „Wetten fügt Ihnen und Ihrer Familie erheblichen finanziellen Schaden zu!"

Illegal oder Internet

Daß es trotz gesetzlich verankertem Staatsmonopol dennoch so viele private Wettanbieter in Deutschland gibt, liegt daran, daß sich Firmen wie Betandwin oder Sportwetten Gera noch kurz vor der Wiedervereinigung Lizenzen nach dem Gewerberecht der DDR gesichert haben. Die Neuköllner Wettbüros vermitteln die eingereichten Wetten einfach an diese Firmen weiter ­ oder auch über das Internet an ausländische Buchmacher ohne Dependance in Deutschland. Ob diese Vorgehensweise weiter geduldet werden soll, ist derzeit noch umstritten. Doch selbst wenn alle öffentlichen Wettbüros schließen müßten, den Wettmarkt könnte es kaum austrocknen. Denn private Wetten über das Internet zu Hause ­ beispielsweise mit den berüchtigten Londoner oder den expandierenden chinesischen Buchmachern ­ blieben weiterhin legal, weil sie den Gesetzen am Standort der Firmen unterliegen. Erfahrene Zocker profitieren schon jetzt davon, ihre Wetten via Internet abzuschließen: Im Netz kann man schließlich die Quoten für die eigenen Favoriten vergleichen und sich die mit dem größtmöglichen Gewinn aussuchen. Sportwetten Gera verschenkt an seine Stammkunden sogar Elektrogeräte als Treueprämien. Wer im Jahr einige Hundert Euro verliert, hat immerhin Fernseher oder Mikrowelle ­ wenn auch zu leicht überteuerten Preisen ­ erworben.

Wie auch immer die gesetzliche Neuregelung ausfallen wird, Oddset wird ohnehin gegenüber den Wettanbietern im Internet zunehmend an Boden verlieren. Wer legt sein Geld schon dort an, wo gerade mal etwas über die Hälfte des Umsatzes wieder ausgeschüttet wird, während andere Anbieter bis zu 95 Prozent wieder herausgeben? Auch so lustige Wetten, welcher Trainer als nächstes entlassen wird, welcher Spieler die erste Gelbe Karte kassiert oder ob das nächste Tor in einer geraden oder ungeraden Spielminute fällt, können hierzulande nur mit ausländischen Firmen, also über das Internet, abgeschlossen werden.

Sportwetten sind längst zu einem florierenden Wirtschaftszweig geworden, der dem allseits anerkannten Börsenzocken an Ernsthaftigkeit, aber auch an spielerischem Leichtsinn in nichts nachsteht. Absurderweise führte ausgerechnet der Schiedsrichterskandal und die ihn begleitende wochenlange Berichterstattung über Sportwetten den Buchmachern immer mehr neugierig gewordene Kunden zu. Sollten die Wettbüros bald nicht mehr offiziell geduldet werden, verschwinden sie eben in die Hinterzimmer von Kneipen, Vereinslokalen oder Trödelläden. Schon heute gibt es als Herrenfriseure getarnte Buchmacher.

Es wäre allerdings schade, wenn in Neukölln die Läden wieder leerstünden ­ kontraproduktiv dazu. Oder glaubt wirklich jemand, Spielsucht ließe sich im anonymen Internet besser im Zaum halten als in der Spielhölle unter den Augen der Mitzocker?

Georg Manolesco/Dierek Skorupinski

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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