Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Irgendwie besser

Eigentlich war 2005 kein schlechtes Jahr für deutschen Pop. Bei Auftritten von Tokio Hotel hätte Carcot seine Hysterie-Thesen massenhaft an Teenagerinnen überprüfen können. Juni oder Juli bescherten gemeinsam mit Silbermond anrührende Momente, als sie im Radio noch nicht vollkommen abgenudelt waren. Selbst die HipHopper von Aggro Berlin sorgten mit dicker Berliner Hose für gewisse Erheiterung. Nur nach all dem pubertären und postpubertären Gemütslagen fühlte sich die geistige Leere, die diese Bands hinterließen, noch größer an.

Wo ist also der Ort, an dem Pop noch etwas zu sagen hat und sich nicht als Phrasen-Dreschmaschine in selbstverliebter Pose feiert? Hört man die neuen CDs von Britta und Die Sterne, findet sich dieser Ort zu Hause: Der erste Song auf Das schöne Leben (Flittchen Records) von Britta heißt „Depressiver Tag": „Ich will mit keinem reden und ich will nicht ins Café/Alles was draußen liegt tut weh". Zu einer ähnlich schmerzhaften Beschreibung des Aushäusigen kommen auf Räuber und Gedärm (V2 Records) auch Die Sterne „Wenn ich realistisch bin, verlasse ich grundsätzlich nicht das Haus" heißt es bei ihnen im Song „Wenn ich realistisch bin". Dieser Realismus ergeht sich nicht in der Beschreibung melancholischer Seelenlagen, sondern macht die heimatliche Kammer zum Ort der Analyse gesamtgesellschaftlicher Zustände und ihrer momentanen ökonomischen Spielregeln.

So stellen Britta im zweiten Song die Frage „Wer wird Millionär?" und beschreiben mit swingender Leichtigkeit die materiellen Grundbedingungen und geistige Verfaßtheit der „urbanen Penner" aus der Generation Praktikum: „Ich hab ja keine Angst, nur manchmal frag ich mich: Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht". Texte, die sich mit der Härte des Alltäglichen und dem Leben jenseits der Glamourpunkte auseinandersetzen, ohne daß sie dabei larmoyant werden. Und als wäre das noch nicht pointiert genug beschrieben, singen sie mit „Büro, Büro" eine Art Hymne auf die Nicht-Arbeit. Trotz allem Skeptizismus und nicht gerade erquickendem Realismus hinterlassen die Lieder auf Das schöne Leben regelrecht gute Laune. Denn erstens ist man offensichtlich mit dem Scheiß da draußen nicht alleine, und zweitens sind die Songstrukturen so charmant angelegt, daß man sich ihrer Energie gar nicht entziehen kann.

Das gilt genauso für Die Sterne: Der Ausblick ist nicht gerade rosig ­ aber wie es im Song „Aber Andererseits" heißt: „Wenn's mir wirklich schlecht geht/das geb ich zu, dann red ich nicht soviel darüber wie jetzt." Auch bei ihnen geht es nicht um die große Pose, sondern um ein wohldosiertes und cleveres Opponieren gegen unfreundliche Alltagsstrukturen. Fern jeglichen Proklamierens von Allgemeinplätzen und Parolen besingen Die Sterne eine unaufgeregte Widerständigkeit im privat-politischen Kosmos. Ach ja, und wie bei Britta auch ist das Ganze musikalisch angenehm verpackt. Über weite Strekken klingt das Album wie ein Versprechen auf bessere Zeiten, und wenn die schon nicht kommen wollen, zumindest auf bessere Laune.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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