Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Man muß nicht alles wissen, man sollte es aber ahnen

Ekkehard Ehlers experimentiert mit Mythen und Fakten

Foto: Jörg Gruneberg

Es war grauenvoll. Hatten es die Leute dieses Gebiets mit der Pest zu tun, so wurden die Bewohner der angrenzenden drei Stadtbezirke sämtlich blind. Noch heute hieß es: das erste Blindenviertel, das zweite Blindenviertel ... Es handelte sich jedoch um keine totale, sondern um eine Art Hühnerblindheit. Übrigens behaupteten die Betroffenen, nicht von dem grellen Lichtschein erblindet zu sein, den es zweifelsohne gegeben hatte, sondern von dem furchtbaren Donner. Das Krachen sei so enorm gewesen, daß sie auf der Stelle die Sehkraft verloren hätten. Das Argument der Ärzte, so etwas sei unmöglich, ließ sie unbeirrt; sie blieben dabei. Das Kuriose aber an der ganzen Geschichte war: Niemand außer ihnen hatte diesen Donner vernommen.

Arkadi und Boris Strugatzki

Ein Ende der Romantik sei nicht feststellbar, stellt der Kunst-Brockhaus fest. Und zuvor, daß die Romantik eine Reaktion auf den Rationalismus der Aufklärung gewesen sei, so daß sich Künstler verstärkt der Religion, dem Volksleben und dem Seelischen zugewandt hätten. Die Folgerung, ein Ende der Aufklärung sei ebenfalls nicht feststellbar, klingt in meinen Ohren ganz romantisch. Und bekommt nicht das romantische Lebensgefühl erst angesichts eines restaurativen Tons, einer restriktiven Klaviatur seinen Sinn, und steht dieser nicht der Aufklärung näher als der Zensur-Bewegung, deren Werkzeuge heute differenzierter arbeiten denn je? So ähnlich soll doch die Melancholie-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie wirken: Intellekt wird zu Genie, Krankheit zu Wahnsinn heruntergekocht.

In New Orleans stehen keine mittelalterlichen Klosterruinen als romantische Motive zur Verfügung, Ruinen dürfte es jedoch in Hülle und Fülle geben. Die Katastrophe hatte eine Wirkung auf die Menschen der Region. Deren Schicksal und wie mit ihnen verfahren wurde, hatte auch Ekkehard Ehlers einen Schreck versetzt, der sich gerade mitten in der Arbeit an einer neuen Platte befand. Das unmittelbare Szenario des Leids am Mississippi-Delta war nicht Auslöser von Ehlers' Beschäftigung mit dem Blues, dem Jazz. Schon viele Jahre benutzt er Aufnahmen von Robert Johnson oder Albert Ayler, um daraus seine Musik zu konstruieren. Jetzt kam dazu dieser Untergang, dieser Schrecken. Auf dem Cover des Albums ist eine Art Schnitzerei zusehen, versilbert, ein Grabstein vielleicht, verziert mit Totenschädeln. Der Kiefer des großen obersten Schädels öffnet sich zum Klageschrei, zwischen den gut erhaltenen Zahnreihen tauchen die Großbuchstaben R.I.P. (Requiescat in pace) auf. Life Without Fear nennt Ehlers sein kommendes Album, zu dem ich ihm folgende Fragen stellte:

Das neue Album hatte ich zunächst nur so nebenbei gehört, danach gemerkt, daß es mich immer mehr interessierte. Hast du das Album ganz allein erarbeitet?

Es ist eine Zusammenarbeit mit Joseph Suchy , der auch längere Zeit hier gewohnt hat. Er ist ein sehr guter Freund von mir. Ursprünglich war das als Ballettmusik für Christoph Winkler geplant. Das hat in Teilen ganz anders geklungen und war auch länger. Daraus ist dann das Album entstanden.

Aber du hast die Kompositionen gemacht?

Die Kompositionen mit Joseph, aber das Album ist mit Band. Am 1. Mai spielen wir in der Volksbühne als Ekkehard Ehlers Quartett mit der Besetzung Björn Gottstein, Bratsche, Joseph Suchy, Gitarre, Franz Hautzinger, Trompete, und ich, Elektronik.

Ist das Datum bewußt gewählt?

Wenn ich mir den 1. Mai hätte aussuchen können, hätte ich ihn mir auch ausgesucht. Es war natürlich schon ein Vorschlag der Volksbühne.

Am 1. Mai keine Kampfmusik.

So ganz unkämpferisch ist das live auch nicht, das ist schon ganz schön laut, geht eher Richtung Noise. Ein bißchen wie auf Platte. Die Sachen, die auf der Platte sind, einfach nur auf der Bühne umzusetzen, wäre halt langweilig. Da muß man schon etwas Gas geben.

Life Without Fear beschäftigt sich mit Blues. Das Genre mahnt Authentizität an, und im Umgang mit subversiver Musik kommt man dann vielleicht auch in Bereiche, wo man sich selbst karikiert, wenn es authentisch werden soll?

Ja, die größere Schwierigkeit war für mich das Low-Fi, bewußt Sachen schlecht aufzunehmen, so daß es toll schlecht klingt. Dabei ist sehr viel Zeit in der Postproduktion draufgegangen. Das war das Hauptproblem, was natürlich auch etwas mit Authentizität zu tun hat. Wir haben z.B. alles komplett hier in der Wohnung aufgenommen, bis auf ein paar kleine Sachen, in einem kleinen Studio. Das hatte alles eher so Hobby-Charakter, das waren fast immer auch „First-Takes", manchmal auch zwei Takes. Einen Blues auf der Gitarre kann vielleicht jeder nach drei Tagen Übung. Joseph hatte probiert, dies schon etwas gebrochener hinzubekommen. Im Namen des Blues ist ja auch viel Grauenhaftes geschehen. Als ich gesagt habe, ich mache eine Blues-Platte, da haben auch alle Leute die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber es gibt natürlich auch Originalaufnahmen aus den zwanziger und dreißiger Jahren – auch aus den Vierzigern – auf dem Album, zum Beispiel das dritte Stück. Das ist im Original ein a cappella von 1942, ein Kriegsveteran, der das wohl auf seinem Sterbebett gesungen hat. Ich hatte zuvor sehr viel Recherche gemacht, Bücher über diese Zeit gelesen. Diese Art Blues ist etwas sehr Aktuelles, finde ich. Das neue Album ist ja sehr ernst, es handelt vom Tod – ein Konzeptalbum über den Tod. Die Karikatur ist davon natürlich weit weg. Deswegen ist mir das auch nicht schwer gefallen, mußte ich eigentlich gar nicht aufpassen.

Düstere, schwere Themen ziehen sich schon früher durch dein Werk. Ich denke, daß zum Beispiel die Sachen von März schon in eine ernsthaftere Richtung gingen. Der thematische Sprung zum neuen Album scheint also nicht so weit, nur daß die Akustik eine vollkommen andere ist.

Aufgeräumt, ordentlich, und genau das wollte ich hier nicht mehr. Das war nach der letzten März-Platte klar, daß ich das alles runtertunen, von vorne anfangen will.

Ich dachte beim Echolot-Geräusch auf „Meeresbeschimpfung" an Zitate, an ein Sample zum Beispiel von ABCs Song „Together Forever".

Das ist das Klavier von Reinhold Friedl, ein Inside-Piano, gespielt in einer Turnhalle während Ballett-Proben. Ich bin einfach mit Kopfhörer-Mikrophon durch die Halle gelaufen, wodurch dieser „Unterwasser-Klang" entstand. Dazu fällt mir der Schlußakkord von dem Beatles-Stück „Day In A Life" ein, der ebenfalls so lange aushallt. Die Platte ist eigentlich samplefrei, bis auf die Vocals auf „Strange Things" ist alles selbst gespielt und gesungen.

Wie bist du mit Tiefe und Spiritualität auf Life Without Fear umgegangen ­ ohne in die Nähe von Esoterik zu kommen?

Es wurde auch schon in Artikeln behauptet, meine Sachen seien esoterisch. Ich finde banalen Pop viel esoterischer. Wenn man über den Tod redet, ist es natürlich immer irgendwie esoterisch ­ es ist ein schwieriges Thema. Auf dich und auf mich wirkt es überhaupt nicht esoterisch, aber auf andere wirkt es esoterisch.

Ich hörte kürzlich „Vol Del BLD" von S.Y.P.H. ­ unglaublich authentisch und tief, und das mit den Mitteln der Spaßmacherkunst, des Herumspielens! Du machst ebenfalls experimentelle Popmusik, deine Herangehensweise scheint aber etwas anders gelagert. Wie „planst" du deine Musik?

Das sind immer Prozesse. Am Anfang wußte ich, daß ich einen bestimmten Gitarrenklang haben will, ich wollte eine bestimmte Art von Rauschen, welches dadurch entsteht, daß man verschiedene Verstärker hintereinander schaltet. Dann benutze ich bestimmte Effekte, zum Beispiel sind alle Sounds gegatet, also das Gegenteil von Hall, verschiedene Raum-Reverb-Situationen, also eher enge, kleine, sargähnliche Holz-Räume habe ich probiert digital zu erzeugen, damit zu spielen. Dann kam das nach und nach zusammen. Ich fange zuerst an, mir Gedanken zu machen, dann passieren bestimmte Dinge während des Produktionsprozesses, daraus lernt man, muß es vielleicht nochmal anders machen. Ein Patentrezept habe ich nicht, ich stelle aber vorher schon ein paar Überlegungen an, wie ich anfange, so einen Baukasten, Experiment-Aufbau. Ich hatte dann relativ schnell diesen Grundsound, das Verstärker-Rauschen, dazu eine Sound-Library für Hintergrund-Klangdesign, dazu kam nach und nach die Musik.

Wenn das Ausgangsmaterial zunächst am Computer entsteht ­ inwieweit improvisiert man dabei auch mit sich selbst? Triffst du Musiker, mit denen du im klassischen Sinne jamst?

Franz und Joseph waren natürlich immer mal wieder hier. Das Stück „Maria&Martha" hat am längsten gedauert, ich habe dreieinhalb Monate daran gesessen. Bei März hat die Produktion mit Albrecht Kunze teilweise zwei Jahre gedauert. An diesem Album habe ich intensiv ungefähr sieben Monate gearbeitet. Man muß dabei auch die Ruhe haben, die Stücke nicht zu früh fertigmachen zu wollen, die müssen noch etwas liegen, weil sie dann noch wachsen, sich teilweise noch einmal stark verändern. Bei dieser Platte habe ich das Gefühl, das Optimum rausgeholt zu haben. Das Problem bei Improvisationen ist oft, auf LP-Länge, über die man ja auch etwas mitteilen will, eine gewisse Spannung zu halten. Diese Platte geht eigentlich ziemlich nach vorne, also es passiert die ganze Zeit sehr viel, hat einen hohen Energielevel. Der Zufall ist mir ein bißchen langweilig geworden. Früher habe ich darauf gehofft. Man ist auch ein wenig gelangweilt von dem ganzen Computerzeugs. Deswegen mache ich ja auch jetzt diese Platte. Ich möchte alles recht offen halten, dabei passieren schon Zufälle. Es war aber alles ziemlich geplant.

Noch einmal S.Y.P.H.: „Man muß nicht alles wissen, man sollte es aber ahnen."

Korrekt, ja!

Es geht im zitierten Song „Keine Ahnung" um ein intelligentes Halbwissen bzw. ein intellektuelles Ahnen, dazu Wortspiele um Erahnen, die Ahnen, die Ahnung etc. Gerade im Bezug auf Mythen, Mysterien, Bewußtseinszustände, die über Musik transportiert werden.

Es wird halt sehr emotional, hier beim Blues. Ich versuche es ja immer, es emotional hinzubekommen. Also Melancholie passiert. Es kommt vor, daß ich wahnsinnig traurige Stücke mache, mir es aber eigentlich ganz gut geht. Man kann es nicht aus der eigenen Stimmung herleiten, weil man dafür zu lange an einem Stück arbeitet. Es ist schon so, daß, während man aus dem Fenster blickt, die Hitze, das Bier ... während man auf den Computer schaut, die Musik sich so verliert. Und das passiert mir manchmal auch willentlich, daß die Sachen so entfliehen und nicht mehr greifbar sind. Das passiert immer wieder und ist ein bißchen schon eine Systematik. Wenn man sich das Fach Elektronika anguckt, sind 75 Prozent Melancholiker, fröhliche Elektroniker sind eher selten.

Wenn es im neuen Album um New Orleans und die dort entstandenen Musiken, Stile, Botschaften, Gefühle geht, klingt darin natürlich Wehmut an. Ich höre aber keine Wut und keine Nostalgie.

Es war in der heißen Phase der Produktion. Dann kam New Orleans, und das war wie ein Dampfhammer auf mein Hirn, es war unglaublich. Das erste Stück „Ain't No Grave" konnte ich gar nicht mehr anfassen.

Ich habe dann eine Strophe hereingenommen, eine andere draußen gelassen, so daß das Stück jetzt eigentlich ein New-Orleans-Stück geworden ist. Die Stadt war ja ein Aufzeichnungssystem für Rassismus, jetzt ist sie ein Mahnmal.

Interview: Jörg Gruneberg

>> „Life Without Fear" von Ekkehard Ehlers wird am 15. Mai bei staubgold/indigo erscheinen, bereits am 1. Mai kann man das Ekkehard Ehlers Quartett live in der Volksbühne sehen und hören.

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