Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Hier der Rambo, dort dein Freund und Helfer

Die Berliner Polizei wird durch eine Vereinbarung mit dem Bewachungsgewerbe gestärkt

Anfang April waren vor dem Amtsgericht Tiergarten die Rollen klar verteilt. Zivile Kontrolleure des privaten Sicherheitsdienstes „Wachschutz", der von der BVG beauftragt worden war, hatten einen Fahrgast in der U-Bahn rüde aufgefordert, seinen Fahrschein vorzuweisen. Als der nicht schnell genug reagierte, wurde er von ihnen mißhandelt. Die Kontrolleure traten auch gegenüber weiteren Fahrgästen in dieser Weise in Erscheinung. Doch das Verhalten hatte ein Nachspiel: Am Ende wurde einer der Männer zu einer 15monatigen Bewährungsstrafe verurteilt, die anderen erhielten Geldstrafen.

Just zur selben Zeit trat eine Vereinbarung zwischen der Berliner Polizei und der Landesgruppe des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen „über ein Zusammenwirken zur Stärkung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Bundeshauptstadt Berlin" in Kraft. Die beteiligten Wachunternehmen richten eine gemeinsame Leitstelle ein, die der Polizei als Ansprechpartnerin dient und über die die von den Streifenmitarbeitern festgestellten Vorfälle an die Polizei weitergeleitet werden sollen ­ im Notfall direkt über die 110. Umgekehrt sollen über diese Leitstelle Fahndungsersuchen der Polizei hinausgehen.

Im einen Fall werden Bürger von Wachmännern mißhandelt, im andern arbeitet die Polizei mit Wachgesellschaften zusammen. Nicht zum ersten Mal hat deshalb Thomas Brunst (www.safercity.de) interveniert und anläßlich der Unterzeichnung der Vereinbarung vor einer „Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols" und dem Verlust an Neutralität der Polizei gewarnt.

Brunsts Einlassungen sind Wasser auf die Mühlen der Gegner des Sicherheitsgewerbes. Doch wenn man sich die Berliner Vereinbarung, die nicht die erste ihrer Art ist, genauer ansieht, dann läßt sich die Sorge um „das Gewaltmonopol" bzw. „die Polizei" nur schwer nachvollziehen. Die Streifenmitarbeiter der Wachgesellschaften haben die Aufgabe, zusätzlich zur normalen Dienstausübung „Not- und Gefahrensituationen" zu beobachten und sie an die Leitstelle der angeschlossenen Unternehmen zu melden. Darüber hinaus sollen sie Meldungen von Bürgern an die Polizei entgegennehmen und weiterleiten. Zusätzliche Rechte erhalten sie nicht. In der Vereinbarung heißt es ausdrücklich: „Sie haben keine über die Jedermannsrechte hinausgehenden Befugnisse."

Während die Polizei also Informationen von ihren neuen Helfern erhält und über sie näheren Kontakt zu den Bürgern sucht, zeigt sie sich umgekehrt recht knauserig. Zwar sollen gemeinsame Besprechungen und Schulungen des Personals abgehalten werden, aber das stets „unter Beachtung polizeitaktischer Belange" und datenschutzrelevanter Aspekte ­ das kann alles heißen. Mit einem Wort: Die Vereinbarung bringt den Unternehmen wenig, während die Polizei zusätzliche Fühler zur Erforschung verdächtigen Geschehens erhält. Brunsts Vermutung, durch die Zusammenarbeit mit den Wach- und Schließgesellschaften drohe die „Aufweichung" des Gewaltmonopols, erscheint nach der Lektüre des Papiers wenig stichhaltig.

Seine These kann Brunst also nicht belegen. Doch darüber hinaus ist bereits die These selbst durchaus unklar. Kann das Gewaltmonopol überhaupt „aufweichen" oder „bröckeln"? Wohl kaum. Der Begriff beschreibt einen Anspruch, der immer wieder geltend gemacht werden muß; ein Monopol ist kein Kontinuum. Erst dadurch, daß er als letzte Instanz in Sachen Gewaltausübung anerkannt wird, konstituiert sich der Staat als Staat. Eben darum ging es Max Weber, als er seine Formulierung in die Welt setzte, die so oft mißverstanden wird: den Staat über das gebietsbezogene Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit zu definieren, nicht umgekehrt.

Daß es in anderen Ländern anders aussieht, kann nicht geleugnet werden. Allerdings sind Vergleiche gescheiterter Staaten mit Deutschland unzulässig. Auch das internationale Söldnerwesen hat mit der Arbeitsweise privater Sicherheitsdienste hierzulande nichts zu tun. Niemand in Deutschland, auch nicht das Bewachungsgewerbe, hat ein Interesse daran, dem Staat sein Monopol streitig zu machen wie seinerzeit die RAF-Terroristen. Und die aktuelle Berliner Kooperationsvereinbarung gibt keinen Hinweis in diese Richtung.

Brunst führt also eine Scheindebatte, die vom wahren Problem ablenkt: daß die Polizei ihre Funktionen ausweitet, immer neue Befugnisse erhält und dadurch bürgerliche Rechte gefährdet. Anders als von ihm suggeriert, kann die Interpretation der Vereinbarung nur folgendermaßen lauten: Durch die systematische Unterstützung durch die beteiligten Wachgesellschaften wird vor allem die Polizei gestärkt, nicht die Privaten. Auch als Mitglied der „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten" bleibt Brunst Polizist und betreibt letztlich Werbung in eigener Sache. Sein Sirenengesang lautet: Hütet euch vor den Privaten und vertraut uns, der Polizei, die euch Sicherheit gewährt!

Aber auch viele Linke stimmen in den Chor von der „Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols" ein. Ein erstaunlicher Umstand, wird ihnen doch immer unterstellt, dem Staat und seinen Institutionen skeptisch gegenüberzustehen. Müßten sie nicht eher umgekehrt argumentieren: daß das Vordringen der privaten Sicherheitsdienste ­ wenn es denn so wäre ­ begrüßenswert sei, weil endlich Staat und Polizei geschwächt würden? Aber nein, sobald von Wach- und Schließgesellschaften die Rede ist, dann mutiert auch der letzte Anarchist zum staatsversessenen Schäuble-Fan.

Dieser Blick ist indes verzeihlich. Da man polizeiliche Rechtseingriffe häufig gar nicht mehr wahrnimmt, weil sie sich im Datennirwana abspielen, wächst die Bedeutung der privaten Firmen als Projektionsfläche für die eigenen Ängste. Die Wachmänner sind sichtbar, konkret, faßlich. Neben ihnen erscheint die Polizei in einem milden Licht. Hier der „Rambo", dort „dein Freund und Helfer". Das Gemurmel von Brunst und anderen trägt dazu bei, daß den Privaten ein größeres Gewicht zugesprochen wird als eigentlich angemessen wäre, der Polizei hingegen ein zu geringes.

Aus dem Umstand, daß in dem privat-öffentlichen Konglomerat die Polizei die entscheidende Rolle spielt, kann allerdings nicht geschlossen werden, daß die Aufmerksamkeit den Diensten gegenüber nachlassen darf, im Gegenteil. Die Handlungen eines Wachmanns ­ seine passive Präsenz wie sein aktives Eingreifen ­ erhalten durch die Rückkopplung an das Gewaltmonopol eine neue Qualität. Deshalb muß, wer sich für Bürgerrechte einsetzt, fortfahren, bestehende Mißstände aufzudecken und zu skandalisieren. Im Fall der Firma Wachschutz ist das geschehen, auch wenn ­ wie so oft ­ die Opfer mit dem Ergebnis nicht unbedingt zufrieden sein können.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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