Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bloß nicht aufmucken!

Ein-Euro-Jobs können Probeme nicht lösen, sondern allenfalls kanalisieren

Jahrelang hast du gesucht nach einem Job, und niemand hat dich eingestellt, noch nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch bist du eingeladen worden. Schon hat dich eine Lebenskrise gepackt, und du machst eine Therapie, um deine Depression zu bearbeiten. Vielleicht stecken da doch tiefere, unverarbeitete Erfahrungen von schiefgegangenen Beziehungen dahinter, daß du bei jeder Absage gleich einen persönlichen Tiefpunkt erreichst? Das kann soweit gehen, daß du an jeder Ecke einen Feind witterst, jedes in deiner Nähe gesprochene Wort auf dich beziehst und dich in einen Verfolgungswahn steigerst, der dich zu Hause bleiben läßt, bei abgeschlossener Wohnungstür, an der sowieso niemand mehr klingelt, weil du mit niemanden darüber reden kannst und sich niemand deine Ängste anhören kann, ohne dich für bekloppt zu halten, und dir das aber auch keiner sagt, keiner eine gute Therapie empfiehlt, weil lebenstüchtige und normale Menschen so etwas nicht brauchen. Das regelt man alleine für sich, sammelt sich und steht dann gefälligst wieder gerade in der Brandung, die doch keine ist: „Man muß ja nicht alles so schwarz sehen!"

Irgendwann gehst du aber doch in eine Therapie, weil du nicht bei lebendigem Leib in deiner Wohnung verrotten willst. Aber oh Schreck! Was passiert dir? Nicht Lösungen werden mit dir gesucht, Wege gefunden, die auf dich passen, weil du sie selber kennst und nur die letzte Zeit übersehen hast. Nein! Man steckt dich in eine Klinik und gibt dir Medikamente und beobachtet dich, wie du das Medikament verträgst. Einmal pro Woche werden Einzelgespräche geführt, dabei schauen dich die Leute genauso blöd an wie deine angeblichen Freunde und wissen auch nicht weiter. Nicht einer der Gesprächspartner ist ein erfahrener Therapeut. Das einzige, das sie können: auf das Medikament schwören und von jeder wirklichen Psychotherapie abraten. Und das in einer renommierten Klinik!

Was dann aber tun in der vielen verbleibenden Zeit, in der die Ärzte nur beobachten, wie das Medikament anschlägt? Zwangsweise, denn die Beteiligung ist Pflicht: sich in die Beschäftigungstherapien fügen, in denen man Töpfern, Malen und Flechten lernt. Weil man ja mit kleinen Erfolgserlebnissen anfangen muß, auch wenn selbst hier jede Perspektive einer persönlichen Weiterentwicklung fehlt. Zu Anfang ist man noch froh, wenigstens irgendetwas zu tun zu haben. Aber schnell wird diese Beschäftigung zu einem reinen Zwang, um zu verhindern, daß man sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Für jede noch so kleine Aufgabe finden sich schnell zehn Leute, die die ersten sein wollen, um den Müll rauszubringen, Kaffee zu kochen, Tische richtig hinzustellen – nur um nicht pausenlos herumsitzen und auf nichts anderes warten zu müssen als die Nachtruhe. Also raus hier, so schnell wie möglich und irgendeine richtige Arbeit finden. Aber was tun, wenn deine Qualifikationen entweder nicht passen oder nicht ausreichend sind?

Bleibt nur Schwarzarbeit oder doch der Arbeitsvermittler beim JobCenter. Vielleicht hat der ja etwas für dich? Wer nicht genügend Abgeklärtheit besitzt oder einfach zu viel Angst vor Kontrollen, geht zum Arbeitsvermittler. Man weiß ja, daß die einem in aller Regel irgendeinen Mist andrehen, der mit deiner Qualifikation nicht das Geringste zu tun hat. Aber ist das bei Schwarzarbeit soviel anders? Und das Geld, das dabei herauskommt, ist oft dasselbe.

Der Arbeitsvermittler hat sogar einen Job für dich, der nicht einfach auf Straßenfegen hinausläuft. Es geht um die Betreuung von Senioren und Behinderten im Kiez. Eine Tätigkeit, die ausgeweitet werden soll auf Jugendliche und sonstige Anwohner. Da die Begegnungsstätte nichts für Jugendliche zu bieten hat, bleiben als Publikum nur die von vornherein anvisierten Menschen: Senioren und Behinderte. Die kommen so gegen 12 Uhr, um zu essen und ein wenig Karten zu spielen. Doch was tun bis dahin? Und was tun währenddessen? Um den Raum zu putzen, das Essen zu kochen und die Tische zu decken, sind neun Leute angestellt worden. Alle als Ein-Euro-Jobber oder ABMler. Zeitweise waren es zwölf. Diese vielen Mitarbeiter treten sich bei der Jagd um die knappe Arbeit auf die Füße, um nicht die ganze Zeit trostlos in der Ecke zu stehen und darauf zu warten, daß die Zeit verstreicht. Wofür soll dieses Überangebot an Arbeitskräften gut sein? Klar, die Firma erhält Geld für jeden eingestellten Jobber ­ aber warum spielt da das JobCenter mit?

Bei einer der abgesessenen Stunden kommt dir die Erleuchtung: Auch hier geht es darum, daß die Leute nicht soviel über sich selbst nachdenken. Auch hier geht es nicht darum, Lösungen zu finden, sondern das Problem in kontrollierbare Bahnen zu lenken. In der DDR wurde die Bevölkerung in Anständige und Asoziale geteilt. Die einen bekamen einen Kleingarten, um ihre überschüssige Energie abzubauen, die anderen wurden in den Knast gesteckt oder in elendige Hilfsjobs gezwängt. Es gab ja nicht nur das Recht auf Arbeit, sondern eben auch die Pflicht dazu. Heute nennt sich das ABM oder Ein-Euro-Job.

Hans Dickel

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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