Ausgabe 04 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Neue Schlappheiten von den Schlapphüten

Das Interessanteste am neuen Berliner Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005 ist sicherlich der Umstand, daß die dem Senat zum Beschluß vorgelegte Fassung kurzfristig versehentlich auf der Homepage der Innenverwaltung zu lesen war. Dabei hatte ihn der Senator noch gar nicht der Öffentlichkeit übergeben. Der Druck des Werks wird noch etwas auf sich warten lassen.

Dank der Panne kann man bereits jetzt sehen, daß der Bericht dem „bewährten" Schema der Verfassungsschutzberichte folgt: Rechts-, Links- und Ausländerextremismus, Spionageabwehr und Geheim- und Sabotageschutz lauten die Überschriften der einzelnen Kapitel. Die Lektüre ist aber durchaus interessant, weil man hier erfährt, wer und welche Organisationen sich an den gesellschaftlichen Rändern tummeln. Etwa das „Deutsche Kolleg", das sich in einer Weise zu Gehör bringt, bei der die Grenze zur Satire locker überschritten wird: „Der Neger ist dem Neger schön, das Schlitzauge dem Schlitzauge sympathisch, der Weiße dem Weißen anziehend. Dem Neger aber ist der Weiße ein Greuel, dem Weißen das Schlitzauge unheimlich. Der Itzig hält den Goy für ein Tier."

Dieser Erkenntnisgewinn, auf den man auch verzichten könnte, kann über die andauernde grundlegende Schwäche des jährlichen Reports nicht hinwegtäuschen. Zwar hat man in der 2005er-Version erneut zusammengefaßt, was das Bundesverfassungsgericht seit 1952 unter „freiheitlich-demokratischer Grundordnung" versteht: u. a. „die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip" und so fort. Aus dieser Zusammenfassung gewinnt man bei den Schlapphüten, wie es scheint, den Extremismus-Begriff, an dem die Beobachteten gemessen werden.

Wenn sich das Amt Gedanken über seine Kriterien macht, nach denen Organisationen erwähnt werden, ist das löblich. Wenn dies folgenlos bleibt, ist das allerdings ärgerlich. Beispielsweise taucht unter der Rubrik „Diskursorientierter Rechtsextremismus" erneut die Zeitschrift Nation&Europa auf, über die sicherlich viele richtige Dinge gesagt werden. Aber in welcher Weise sie gegen die Volkssouveränität oder gegen die Unabhängigkeit der Gerichte agitiert (siehe Kriterienkatalog des Bundesverfassungsgerichts), davon steht im Bericht nichts. Insofern fehlt die Begründung, warum diese Zeitschrift überhaupt erwähnt wird. Es reicht nämlich nicht aus, aufzuzählen, wer sie seit ihrer Gründung 1951 herausgegeben hat und die Namen mit Querverweisen zu anderen Stellen im Verfassungsschutzbericht zu versehen. Diese Form der „Beweisführung" ist nicht ausreichend.

Die immer wieder vorgebrachte Kritik an der Arbeit der Behörde darf also aufrechterhalten werden. Die Bemühungen, die eigene Arbeit zu verwissenschaftlichen, sind bislang gescheitert. Die Verdachtssuppe kann weiter gerührt werden.

bk

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