Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Jörg Gruneberg

„Ich nehme gerne auseinander und setze wieder zusammen"

Frieder Butzmann über das alte Westberlin, neue und komische Musik

Die Herausgeber des Medienpakets Berlin Super 80. Musik&Film Underground 78-84 (s. auch Besprechung) verweisen neben Rolf S. Wolkenstein auch auf Frieder Butzmann als Ansprechpartner und Zeitzeugen. Wir Nachgeborenen wollten genauer wissen, wie das war im Westberliner Untergrund und was daraus geworden ist, und haben Butzmann in seinem Studio in einem Kreuzberger Fabrikhof besucht. Dort verfertigt der 1954 in Konstanz geborene Musiker seine Hörspiele und Features, Kompositionen und Sounddesigns komplett in Eigenregie. Und ein Butzmann-Interview wäre sicherlich auch besser im Hörfunk aufgehoben. Man müßte seinen Barock-Techno und seine Nähmaschinen-Musik als Klangbeispiele einspielen können und ihn eigentlich auch mit seinem badischen Akzent reden hören. Was folgt, ist ein nur leicht redigierter Butzmann-O-Ton. Man darf sich dazu alle paar Zeilen die Regieanweisung „lacht" denken.

Westberlin

Es gab damals zwei Gründe, nach Westberlin zu gehen. Für männliche Wesen aus Westdeutschland war der Grund vor allem: Man mußte nicht zum Militär. Und dann war Westberlin einfach der einzige deutschsprachige Zufluchtsort, um aus dem normalen Lebensfluß der späten Siebziger und frühen Achtziger irgendwie rauszukommen. Wo sollte man hingehen? Wenn man sich nicht nach Amerika oder London getraut hat, mußte man halt nach Berlin. Dieses Berlin, das empfinde ich erst heute, war schon etwas Künstliches. Es wurde ja künstlich am Leben erhalten. Durch dieses Künstliche ist eine artifizielle Situation entstanden. Und einen besseren Nährboden für Kunst und Musik gibt es eigentlich nicht. Außerdem wurden alternative Lebensformen ausprobiert. In Westdeutschland gab es zwar irgendwelche Bürgerinitiativen, aber hier wurde das gelebt.

Wir waren alle sehr jung. Und der Druck, der auf dieser Insel lastete, der entstand ja nicht nur, weil hier ein paar Verrückte wohnten, sondern aus der ganzen politischen Situation. Man dachte: Wir sind jetzt kurz vor dem Untergang. Erst mal ist man davon ausgegangen.

Westberlin war schon sehr kleinstädtisch. Schöneberg, Goltzstraße, und Kreuzberg. Und Kreuzberg war ja auch aufgeteilt. Da gab's die Hardcore-Szene mit so Gruppen wie Beton-Combo Katapult. Da gab's Punks, die sich in der Waldemarstraße bewegt haben, und die Oranienstraße war schon wieder etwas ganz anderes.

Es war eine seltsame Situation. In Konstanz konnte man kurz rausfahren aufs Land, hier mußte man gleich einen Flug nehmen. Man konnte damals für wenig Geld nach London und Paris fliegen. Man hat hier in anderen Räumen gedacht. Rundherum war das große Wasser, das mußte man erst überwinden. Durch die Abschirmung war eine Art Überdruck da, gleichzeitig aber auch ein Vakuum, weil so wenig Leute hier waren. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie leer die Straßen waren im Vergleich zu heute. Einen Stau gab's damals nie. Die echten Berliner, die schon hier waren, bevor die Wessis kamen, waren entweder uralt und sind nicht in Erscheinung getreten oder Kinder und Babys, die noch irgendwie übriggeblieben waren. Eine der wichtigen Veränderungen in den frühen Neunzigern für mich war wirklich, daß die Straßen plötzlich so voll waren.

Szenen

Die heutige Situation, daß man ganz viele Sparten und Szenen hat, unheimlich viele Nischen, Entwicklungslinien, Verzweigungen, in der Musik wie im Leben, das hat in diesem Extrem damals angefangen. In meiner Szene war z.B. die Grundhaltung: Man wollte nichts mit den Hippies zu tun haben. Alle waren sehr beschäftigt mit Abgrenzungen.

Musikalisch war die Situation so: Es gab keine lebendige Popmusik mehr, sondern nur die Superbands. Die Popmusik war plötzlich anerkannt und ins System integriert. Wir wollten deshalb etwas anderes machen, über Musik noch mal neu nachdenken. Wir haben uns gefragt: Wie kann man es anders machen, als den Plattenvertrag anzustreben und groß rauszukommen? Kann man das auch anders organisieren?

Neben dieser Aufsplitterung war die andere grundsätzliche Neuerung in dieser Zeit die Independent-Szene. Man hat Schallplatten in kleinen Auflagen hergestellt und selber vertrieben. Man hat am späten Nachmittag eine Band gegründet, dann will man um 18 Uhr proben, aber alle kommen zu spät, um 20 Uhr hat man den ersten Auftritt und um 22 Uhr wird die Band aufgelöst. Entsprechend wurden auch Aufnahmen produziert. Da war jeder in jeder Band aktiv. Da wußte man manchmal gar nicht so genau, in welcher Band man gerade spielt. Es gibt z.B. Filmaufnahmen mit Blixa Bargeld, Gudrun Gut und mir, das läuft als Liebesgier, obwohl Gudrun und Blixa von den Einstürzenden Neubauten waren. Genausogut hätte man sagen können, das war ein Auftritt von den Neubauten.

Die Szene, in der ich mich bewegt habe, wird heute fälschlicherweise auch zur Punkszene gerechnet. Wenn man damals in Westdeutschland aufgetreten ist, dann spielten da zuerst örtliche Punkgruppen und dann die Einstürzenden Neubauten oder Frieder Butzmann. Das fand das Publikum aber überhaupt nicht lustig. Das war gegen ihre Vorstellung von Musik. Das war nicht unbedingt einfach.

Die Punks haben mich wahrscheinlich gehaßt. Ich war für die Student, intellektuell womöglich, habe auch noch in einem Plattenladen, beim Zensor, dem Laden von Burkhardt Seiler, mitgearbeitet. Ich war das Feindbild Nummer eins, da hätten die noch Franz Josef Strauß besser gefunden.

Selbstorganisation

Man muß unterscheiden zwischen denen, die einfach sich selber produziert und vertrieben haben, und den noch wenigeren, die kleine Labels gegründet haben, wo dann auch noch andere draufgekommen sind. Vielleicht hat man davon geträumt, daß doch einmal ein Major kommt, der mit viel Geld lockt, aber bei den meisten war eigentlich keine große Absicht dahinter. Man hat es einfach gern gemacht, so komisch das klingt. Man hat sich verwirklicht, indem man eine Kassette hergestellt hat. Und die hat man dann abends im SO 36 oder sonstwo für wenig Geld verkauft, oder man ist zum Zensor gegangen und hat gesagt: 10 Kassetten, eine Mark das Stück, und die wurden dann für 1 Mark 50 weiterverkauft.

Eine andere Form der Selbstorganisation waren die Fanzines: Gudrun Gut, Din A Testbild und ein paar Leute haben sich hin und wieder bei mir getroffen, und wir haben diese Zeitschrift T4 gemacht. Warum, kann ich euch gar nicht sagen. Um Geld zu verdienen, bestimmt nicht. Man hat 30, 40 Stück fotokopiert und dann verkauft am Abend. Da fing das an, was man später postmodern genannt hat, daß man aus Vorgefertigtem etwas Neues gemixt hat. Einer hat eine Konzertkritik geschrieben, ein anderer hat mit Zeitungsausschnitten collagiert. Man hat die Sachen einfach gemacht. Es war auch nie eine politische Absicht dahinter. Leute wie Burkhardt Seiler haben das vielleicht politisch gesehen, als Gegenkonzept zu den Majors. Mich hat einmal jemand gefragt, ob es Verträge gab. Ich kann mich an keinen einzigen Vertrag erinnern.

Kunst?

Als ich die Filme auf der DVD (Berlin Super 80) jetzt hintereinander gesehen habe, hatte ich einen ganz anderen Eindruck. In meiner Erinnerung waren das immer irgendwelche pseudo-politischen schlechten Aufnahmen von irgendwelchen Demos, mit einem blöden Witz zwischendrin. Aber jetzt denke ich, ich mag's ja gar nicht sagen: Die haben alle künstlerischen Wert. Das finde ich erstaunlich. Das habe ich damals gar nicht empfunden. Damals haben eigentlich nur die Leute von der Tödlichen Doris das von Anfang an als Kunstsache betrachtet.

Wolfgang Müller war mehr als alle anderen bemüht, das in einen Kunst-Kontext einzuflechten. Der hat das offensichtlich lange vor mir als Kunst begriffen, während ich das als Lebensform gesehen habe. Heute denke ich, es muß wohl so etwas wie Kunst gewesen sein. Dabei wollten wir doch gerade keine Kunst machen. Ich kam ja aus den Neue-Musik-Zusammenhängen mit diesen ganzen Arschlöchern. Ich war zu jung, um da wirklich drin zu sein. Aber es war furchtbar. Bis heute habe ich da eine Mischung aus durchaus Interesse und gleichzeitig Entsetzen.

Neue Musik

Der erste Auftritt meines Lebens war 1972 zur Olympiade in München mit Josef Anton Riedl, bei einer John-Cage-Aktion. Ich komme also aus der Neue-Musik-Szene. Und ich wollte in Berlin studieren, weil man im elektronischen Studio der TU arbeiten konnte, wenn man die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen von Sprache und Musik studierte. Insofern bin ich ein Sonderfall. Von meinen Mitstreitern hat kein einziger im Studio für elektronische Musik arbeiten wollen. Das hat die nicht interessiert. Viele von denen haben damals an der Hochschule der Künste Film oder Visuelle Kommunikation studiert. Es gab einen Einfluß von der Kunsthochschule, aber nicht von der Musikhochschule. Die wirkte sogar eher hemmend.

Die akademische Neue Musik kannst du vergessen, bis heute. Ich unterscheide immer die Neue Musik mit großem und mit kleinem „n", das sind zwei Welten. Die Neue Musik, wenn sie sich auch inzwischen den neuen Medien geöffnet hat, ist bis heute der spätromantischen Auffassung von absoluter Musik verhaftet: der abstrakte Klang, die selbstreferentielle, großartige, ingeniöse Musik. Die akademische Situation ist genau die, auch in der elektronischen Musik.

Was die bis heute nicht begriffen haben, ist, daß die Neue Musik eine historische Situation war, die spätestens mit den achtziger Jahren zu Ende gegangen ist. Die glauben immer noch, sie sind der Hort dessen, was Musik ist. Und alles drumrum ist halt Popmusik. Der einzige, der es geschafft hat, sich treu zu bleiben und sich trotzdem zu entwickeln, ist György Ligeti. Das hätte ich damals nicht gedacht.

Komische Musik

Ich bin heute Auftragskomponist, da bin ich auch sehr froh. Ich bin nicht reich, aber auch nicht arm. Ich habe keine Geldsorgen, außer halt mal ein Minus auf dem Konto. Ich lebe seit vielen Jahren schon ausschließlich von den Sachen. Aber das geht nur deshalb, weil ich so viele unterschiedliche Dinge mache. Ich mache Hörspiele, ich mache aber auch Radiosendungen, Features. Es geht immer um Musik, z.B. über solche Phänomene wie Infraschall oder wie dem Begriff „Komische Musik". Im Moment mache ich sogar etwas, das mit Musik gar nichts zu tun hat: eine „lange Nacht" für den Deutschlandfunk über den Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und dann gibt's halt immer wieder Aufträge. Im Moment läuft in Frankfurt eine Ausstellung, die heißt Flügelschlag, da geht's um den Engel im Film. Das ist so eine atmosphärische Inszenierung, wo ich die ganze Akustik und die Musik gemacht habe. Ich habe ein Stück für Spinett und Nähmaschine für eine Firma in Bamberg gemacht. Das tourt jetzt um die Welt. Und im Auftrag der Kunsthalle Wien habe ich Techno-Tanzmusik komponiert, Musik für eine barocke Party. Die Kunsthalle wurde mit einer Ausstellung über barocke Elemente in der neuen Kunst eröffnet. Und ich sollte Techno aus Barock-Samples machen.

Das Negative an der Vielfalt ist, daß ich mit nichts identifiziert werde. Letzte Woche fragt mich einer: Sind Sie der Jazzer? Für viele bin ich ein Hörspielautor oder der Feature-Onkel, weil ich viel für den SWR gemacht habe.

In jedem Land der westlichen Welt, in Deutschland in jeder Stadt, habe ich so zwei, drei Fans. Und von denen vertreibt meist einer Schallplatten. Irgendjemand sitzt in Prag und findet die eine Platte ganz toll und setzt dann alle Hebel in Gang, um ein Konzert von mir in Prag zu veranstalten.

Interview: Jörg Gruneberg/Florian Neuner

 
 
 
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