Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Richard Freiherr von Orange

Eine Kompilation erforscht den Westberliner Musik- und Film-Untergrund der Achtziger

Weder war der Freiherr von Orange Agent im Vatikan, noch handelte er jemals mit Orangen. Bestimmt aber war er Anfang der 1980er Jahre Bürgermeister von Westberlin. In dieser Zeit hat er die vielfältigen Aktivitäten von Film- und Musik-Artisten bestimmt in seiner unnachahmlich larmoyanten Weise goutiert. Unvergeßlich sein Zusammentreffen mit Wolfgang Neuss in einer TV-Show, wo letzterer ihn erniedrigte, indem er darauf hinwies, daß, wenn die Kinder wählen dürften, sie ganz sicher Neuss wählen würden, da Kinder immer einen aus der Sesamstraße bevorzugten. Das muß wohl die CDU angespornt haben, denn einige Jahre später winkte uns Richie – wie er liebevoll von Neuss angeredet wurde – schon aus dem Palais Schaumburg, als deutscher Gonzo, seinen moralgiftigen Entlaubungsgruß entgegen. Musikalisch gesehen hatte die Restauration mit einer geistfreien Neuen Welle begonnen, Helmut Schmidt und Andreas Dorau wurden kaltgestellt. Ins Kanzleramt schmuggelte die FDP Helmut Kohl, in die Hitparaden die CBS Hubert Kah ein. Gottseidank wurde dann alles längst nicht so dramatisch, dafür leider aber auch viel zahnloser als manche Kunst in Thatcher-England.

Was den deutschen Kinofilm anging, war um 1980 herum auch so etwas wie eine Zäsur passiert. Der Versuch Herbert Achternbuschs, 1978 Alexander Kluge zu beflügeln („Mach weiter mein Sohn!", bezogen auf Der Starke Ferdinand, wo ein Bürger auf einen Minister schießt, aber nicht genau trifft, weil sein „Leben keinen genauen Sinn" hätte), trieb Kluge an, gegen einen Bundesinnenminister (Friedrich Zimmermann, CSU) und dessen Filmkrisen-Thesen Sturm zu laufen. Argumente wie: Berlin Alexanderplatz (1979/80) sei 1984 vom Time Magazine zum Film des Jahres gekürt worden, obwohl er 15 Stunden lang war, verpufften aber. Die großangelegte Geschichtsberaubung der Konservativen – Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit, ein Kluge-Film von 1985; im Blumfeld-Song von 1992 der „Angriff der Gegenwart auf meine übrige Zeit" – fand wirklich statt. Werner Herzog, der laut Achternbusch besser hätte Waschmittelvertreter werden sollen, lieferte 1978 sein Remake von Nosferatu ab. Und mir liefert dieser Film dann auch endlich den Anknüpfungspunkt zum „Medienpaket" (Frieder Butzmann) Berlin Super 80.


Foto: Rüdiger Thiede

In Yana Yos Kurzfilm Sax wird die Filmmusik (Popol Vuh) aus Nosferatu (1978) verwendet. Dazu spielen drei Leute Saxophon-Improvisationen und steigen in der Ästhetik von Murnaus Nosferatu (1922) – d.h. lange Mäntel, bleiche Gesichter – die Treppen eines Berliner Hauses hinauf. Einen Gutteil der ausgewählten Kurzfilme kann man durchweg als Musik-Clips begreifen. Teilweise wurden sie auch genau so konzipiert, z.B. der Malaria-Film Money von Hormel und Bühler. Dokumentarisch arbeitete nur Martin Jelinski. Und dabei ebenfalls im Musikszenen-Kontext: So war das SO 36 – ein Film, den ich gerne in voller Länge sehen würde. Auf dem Höhepunkt des sogenannten Neuen Deutschen Films – am Ende von Nosferatu tritt Bruno Ganz 1978 die Blutsaugernachfolge von Kinski an – begann mit Super-8-Film- und Musikabenden in Kreuzberger Hinterhöfen und Clubs wie dem SO 36 der „Super"-Untergrund in Berlin. 1982 mit dem Festival „Geniale Dilletanten" (bewußt mit Rechtschreibfehler) und dem gleichnamigen von Wolfgang Müller herausgegebenen Merve-Band erreichte dieser erstmals eine breitere Öffentlichkeit außerhalb der (internationalen) Kunstszene. Ausnahme sind einzig die Einstürzenden Neubauten, die international als musikalische Botschafter rak-kerten – und schließlich auch in Deutschland die Grugahalle füllten.

Wolfgang Müller, dessen Projekt Die Tödliche Doris dem documenta- oder Biennale-Publikum recht vertraut war, förderte seinerseits auch noch Randständiges am Rande dieser extrem offen-verkapselten Szene. Der Nekromantiker Jörg Buttgereit und der wahre fünfte Beatle Klaus Beyer tauchten somit auch dort auf und bereicherten die Szene nochmals enorm. Heute gehören sie fast zur Grundausstattung des Goethe-Instituts und warten auf Walhalla. Jetzt, 25 Jahre danach, wurde eine Auswahl aus diesem Underground-Film- und Musikschaffen ediert (Rolf S. Wolkenstein u.a.) und von Joachim Schifer (monitorpop) herausgegeben. Gemeinsam ist diesen Beispielen Westberliner Untergrund-Kunst die äußerst aggressive, intellektuelle Grundstimmung, die nicht mehr – wie zuvor bei Präpunk (USA) oder Punk (Großbritannien) – vordergründig aus Anti-Hippie/Rockertum, Establishment-Kritik gespeist wird. Es werden mit großem Selbstvertrauen und einer Zielstrebigkeit im Machen intellektuelle Schmerzen hergestellt – wie sich dies damals wohl nirgendwo sonst derart etabliert hatte (Bauhaus aus England vielleicht im Ansatz). Eine funktionierende Mikroökonomie der Ausdrucksformen, gepaart mit der Vakuumsituation in Westberlin ermöglichte Exzesse in Extremform, mit der andere Szenen in anderen Städten einfach nicht konkurrieren konnten. Billige Technik mußte radikal kreativ und minimal eingesetzt werden. Nichts schien wohl langweiliger als ein einheitlicher Stil. Man hatte das in Hamburg gesehen, wo die politische Ausrichtung der Untergrundszene gelegentlich die Kreativität hemmte. Eher war Düsseldorf ein wichtiges Modell gewesen. Dort gab es enge Bezüge zur Kunstszene und außergewöhnliche Projekte – man denke nur an Kraftwerk oder DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft). Dadurch war dort aber auch ein eingeübter Reflex zur Kommerzialisierung vorhanden, der nicht wenige Gruppen und Projekte (zwischenzeitlich) zum Opfer fielen (z.B. Fehlfarben, Andreas Dorau, Palais Schaumburg).

Nicht so in Berlin. Man machte sein Ding, füllte die Clubs, hatte Fans und Miniverlage, bezog sich auf modische Vorbilder aus den zwanziger, fünfziger Jahren, der SM- wie der Militaria-Szene. Laut gespielt – also nicht mit Kopfhörern im Bett oder als Hintergrundgeräusch zum Achtziger-Jahre-Diskussionsabend – wirkt die Musik von Gruppen wie Malaria, MDK (Mekanik Destrüktiv Kommandöh), Flucht Nach Vorn sehr frisch und befruchtend. Es ist – das ist wichtig – überwiegend tanzstiftende, aufwiegelnde Musik (gewesen). Ich war dann froh, als ich vor kurzem die Berliner Gruppe Transformer Di Roboter live sehen durfte. Da war ein neues, durchaus hochinteressantes Berlingefühl wieder da. Und plötzlich kam ein wenig Mitleid und Wehgefühl auf, für Gruppen wie Ideal, die jetzt nur noch im Baedeker Berlin zitiert werden. Und, um ihnen ein letztes rares Biotop einzurichten – obwohl sie mein Jugendbild von Berlin verprollt haben –, möchte ich ihnen zurückprollen: Ich fühl mich wieder gut, durch Berlin Super 80, auch wenn der Rotzlöffel Ben Becker schon mit 12 1/2 in Christoph Dörings Taxi-Film 3302 mit seinem teuren B-52's T-Shirt und Macho-Posen angeben durfte – heute trüge er natürlich die Motörhead-Kappe. Ach ja, mein Lieblingsstück ist der Walzer von Alexander von Borsig: „Hiroshima" („Es war so schön.")

Jörg Gruneberg

Berlin Super 80, DVD + Buch + CD, Monitorpop Entertainment, 39,90 Euro, www.monitorpop.de

 
 
 
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