Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Traditionen

Zur „Repolitisierung" des 1. Mai

Seit 1988 gibt es den Berliner „Revolutionären 1. Mai", der regelmäßig mit Straßenkämpfen begangen wird. So steht es in den Reiseführern, so will es die Tradition. Die Polizei versuchte es mit Repression oder Deeskalation, mit parallel organisierten Straßenfesten, mit Werbung aller Art: Ohne Erfolg. Im letzten Jahr wurde die sogenannte 18-Uhr-Demo, die in den letzten Jahren den Auftakt für die Krawalle gebildet hatte, von Innensenator Werthebach kurzerhand verboten. Es gelang der Polizei, sich durch Brutalität, massenhafte Festnahmen und eine groteske Fahndungsaktion so in Verruf zu bringen, daß die Welt der radikalen Linken für's erste wieder in Ordnung war. Die definiert sich mit Vorliebe über ihre Feinde und freut sich diebisch, wenn die Obrigkeit sich solche Blößen gibt. Ihr gutes Recht.

Gleichzeitig aber wird der politische Kern der Aktivisten Jahr für Jahr kleiner und die Kritik der Sympathisanten immer lauter. Warum behauptet man hartnäckig, ein friedlich-unschuldiges Straßenfest zu verteidigen, und will doch gleichzeitig Revolution, also Umsturz, aktiven Kampf? Hüpfburgen zu schützen scheint ein schlechter Weg, das System zu erschüttern. Warum bleiben die Krawalle im ärmlichen Kreuzberg, wo sich doch die Symbole des Kapitalismus und seiner Staatsmacht in ganz anderen Stadtteilen befinden? Was sind die konkreten Forderungen, die politischen Ziele der Aktion? Friedlich feiern? Keine Polizei im Kiez? Das könnte man einfacher haben. Vielleicht geht es den Straßenkämpfern doch einfach nur um Protest ­ aber warum mit dieser zwanghaften Gewalt? Macht sie ihnen Spaß? Ist das Pop? Wo bleibt der zielstrebige Ernst, wo die sprachliche Artikulation, die normalerweise einen Massenauflauf zu einer politischen Veranstaltung machen? Und wenn es nur um die Demonstration eines Lebensstils geht ­ wie verträgt sich der anarchisch-spontane Gestus der Straßenkämpfer mit der sturen Regelmäßigkeit, ja Berechenbarkeit ihrer Veranstaltung, die zusehends in die Nähe von Vereinssport rückt?

Angesichts dieser Fragen gründeten zwei Politologieprofessoren im Dezember letzten Jahres das „Personenbündnis politischer und polizeifreier 1. Mai". Die unter diesem hochkorrekten Namen versammelten Aktivisten suchen nach Wegen, die Gewalt zurückzudrängen und den großen Tag mit Inhalten und Aktionen zu füllen, die man für seiner würdig erachtet. Das Konzept des Bündnisses: Workshops zu Globalisierung, Multikulti, Ökologie und Geschlechterdemokratie, Kinderfeste, Konzerte. Der Polizei wird allenfalls eine „Notfallpräsenz" zugestanden.

Wie zu erwarten war, hagelt es von allen Seiten Kritik: Die Polizei bezichtigt die netten Herren der Naivität; die linke Szene unterstellt ihnen auf ihren Internetseiten von Profilierungssucht bis zur Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz alles, was ihnen gerade einfällt. Ein Teil der 1. Mai-Aktivisten hat sich aber dem Bündnis angeschlossen und hofft, irgendwie beide zu befriedigen: die linksliberale Öffentlichkeit, ohne deren Anerkennung längerfristig keine politischen Effekte mehr zu erwarten sind ­ und die diffus-radikalen Jugendlichen, die sich, von Polizeipsychologen, Antifa-Asketen und Politikprofessoren gleichermaßen unverstanden, mit Krawall und nur mit Krawall Ausdruck verschaffen können. Ein Spagat. Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB), traditionell Hauptakteurin bei den Vorbereitungen zum 1. Mai und dem Bündnis gegenüber aufgeschlossen, möchte für die „18-Uhr-Demo" eine neue Route durch die Friedrichstadt durchsetzen. So könnte das Bündnis in Kreuzberg seine Veranstaltungen abhalten, ohne von der Polizei gestört zu werden. Aber eine Demoroute muß beantragt und genehmigt werden, und es ist mehr als zweifelhaft, daß die Polizei diesmal mehr Entgegenkommen zeigt als in den vergangenen Jahren. Man sollte zwar meinen, daß sich die Regierungsbeteiligung von Gestern-noch-Systemoppositionellen zumindest bei solchen preisgünstigen Gelegenheiten positiv bemerkbar machen sollte. Aber offenbar ist der Einfluß der PDS auf die Polizei gering. Zwar betont die Polizeiführung in den Gesprächen mit dem Bündnis immer wieder ihre „prinzipielle Offenheit". Wie um den Regierungslinken eins auszuwischen, verweigerte sie dennoch Anfang des Monats dem „Revolutionären 1. Mai Bündnis" die Genehmigung für seine „13-Uhr-Demo" am Oranienplatz ­ obwohl die stets vollkommen friedlich war.

Das Dilemma des Bündnisses wird schon im Namen deutlich: „Politisch und polizeifrei"? So vage, so poppig er ist – der Kreuzberger 1. Mai verfügt bereits über einen politischen Inhalt. Er besteht in der Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols – in einer opernhaften Inszenierung von Volkszorn – und braucht die Konfrontation mit der Staatsmacht wie die Love Parade die Drogen. Wenn man den Revolutionären 1. Mai polizeifrei haben will, müßte man zunächst mit allen seinen Traditionen brechen – ohne zu wissen, welcher Ersatz zur Verfügung steht.

Johannes Touché

scheinschlag sprach mit einem der Initiatoren des Bündnisses, dem Politologieprofessor Wolf-Dieter Narr (zum Interview mit ihm hier klicken).

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