Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
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Was an dem Tag Sache ist ...

Ein Gespräch mit Wolf-Dieter Narr vom „Personenbündnis politischer und polizeifreier 1. Mai"

Ihr Bündnis strebt eine „Repolitisierung" des 1. Mai an. Um mit dem offensichtlichsten Problem anzufangen: Wie wollen Sie die Polizei überzeugen, Ihnen diesen Freiraum zu überlassen, den Sie dann füllen wollen?

Es haben einige Gespräche stattgefunden. Also, klar ist für uns jetzt, daß jedenfalls auch beim Innensenat und der Polizei die Erkenntnis da ist: So darf´s nicht weitergehen. Und daß die politische Seite und die Polizei eigentlich hilflos sind. Sie haben das ja sicher auch beobachtet: Die fahren vor, betreiben selber Gewalt und nehmen über 600 Leute fest. Die Politik hat keine Vorstellung, wie das gehen könnte, die Kontinuität dieses absurden 1.Mai zu beenden. Und jetzt kommt eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die sagt, wir gucken mal, wir wollen mit den Leuten zusammenarbeiten, die immer den 1. Mai organisiert haben, wir verstehen uns nicht als deren Stellvertreter – um Gottes willen – oder als deren Väter und Mütter, die viel besser Bescheid wissen, wir wollen mit ihnen reden, wollen gucken, ob wir sie kriegen können. Es ist nicht sicher, ob das gelingt.

Geplant ist unter anderem, daß man in Kreuzberg versucht, alle Läden offen zu halten. Daß man Kneipenverkehr usw. hat, Normalität, und zusätzlich, neben allen möglichen Festivitäten, auch politische Veranstaltungen macht, die Themen wie z.B. Berliner Stadtpolitik, das Verhältnis von Bürger­Politik­Ökonomie usw. behandeln. Wie wir das im einzelnen machen, darüber diskutieren wir noch. Das darf nicht nur der übliche Vortrag oder eine langweilige Podiumsdiskussion sein. Das „Repolitisieren" heißt nicht Verharmlosung. Aber dieser sogenannte „Revolutionäre 1. Mai"... Im Jahr 2000 war der Leitspruch der Demonstration: „Eins, Zwei, Drei, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei." Das war das große politische Motto. Mit anderen Worten: Es ist nicht viel da. Die Intention besteht darin, den 1. Mai als politisches Ereignis zu erhalten, zu reparieren und wegzukommen von der Gewaltfaszination, die immer dabei ist. Auch bei der Polizei und der politischen Führung. Auf die wollen wir in dem Sinne einwirken: Haltet euch zurück! Mit euren Prognosen von „den Autonomen", die am 1. Mai die Stadt in Schutt und Asche legen wollen und mit der Polizei generell, laßt dort in Kreuzberg die Leute in Ruhe das machen, was an dem Tag Sache ist.

Da Sie von Repolitisierung sprechen: An welche politische Traditionen wollen Sie anknüpfen? Offensichtlich nicht an den „Revolutionären 1. Mai", der 1987 begonnen hat.

Insofern schon, als er Elemente von außerparlamentarischer Opposition enthält. Daß man nicht Parteienkram macht. In unserem Bündnis sind keine Parteien, um Gottes Willen. Aber es muß um Stellungnahme, Diskussion, Streit, Kritik gehen, nicht darum, daß da irgendwas brennt. Gewalt ist immer das Ende der Politik. Das ist es ja auch, was Pazifisten wie ich gegen diese Kriegstümelei in der Außenpolitik sagen. Ich kann das schon ein Stück weit nachvollziehen, daß das eine Lust sein kann, so eine große Schaufensterscheibe einzuschmeißen. Aber das ist keine politische Handlung, weil der Effekt kein politischer ist. Politik hängt immer mit der Sprache zusammen, mit dem Versuch, auf andere Menschen mit Hilfe des Verstandes einzuwirken. Man wird natürlich durch keine noch so gute Demonstrationsvorbereitung die Gründe für die Gewalt beseitigen. Man kann so Dinge wie die Verfehlungen der Wiedervereinigung nicht durch eine Veranstaltung am 1. Mai auffangen. Ich erwarte auch nicht, daß es ganz ohne Scheibenklirren abgehen wird. Aber ich bin fast sicher, daß es gelingen kann, die Zerstörung qualitativ und quantitativ enorm zu reduzieren. Das Risiko ist, daß dann, wenn doch was passiert, die Polizei massiv eingreift und wieder das gleiche passiert wie in den letzten zwei Jahren.

Sie meinen, Politik fängt bei Sprache an. Sie haben also eher Diskussionsveranstaltungen im Sinne?

Ja natürlich. Und alle möglichen anderen Dinge, faschingsartige und zirkusartige Feste. Es hat ja immer auch ein Stück Spaß- und Festcharakter. Das spielt bei diesen Randalen eine große Rolle ­ das, was man früher Spaßguerilla genannt hat. Wobei die Leute nicht bedenken, daß das, was ihnen als Spaß erscheint und gar nicht als Gewalt gemeint ist und Personen nicht gefährdet, von den Personen, selbst wenn es nur um ihre Schaufenster geht, als Gewalt interpretiert wird und deswegen eine frontale Trennung bedeutet. Also keine Botschaft übermittelt, etwa die Botschaft, die Politik sei falsch oder die Jugendpolitik muß geändert werden. Das wäre eine politische Botschaft, deswegen Sprache. Mit Gewalt ist das Argument immer zuende.

Die Frage ist, ob wir es schaffen, denen zu sagen, daß man gerade dann politisch radikal ist, wenn man sich etwas traut – das tue ich hoffentlich auch – und daß Traute nicht darin besteht, jemandem in die Fresse zu hauen. Das ist ja auch völlig irrelevant. Statt irgendwelche politischen Themen zu diskutieren, schreibt die Presse, Gewalt in Kreuzberg, Punkt. Und dann sieht man irgendwelche Auseinandersetzungen. Das mag kurz das Herz erfreuen, aber das bringt nichts, das bringt auch politisch nichts. Diese Art von Hilflosigkeit der politischen Artikulation, die muß man zum Thema machen, um sie zu überwinden. Das Wunderbare wäre, wenn man aus dem 1. Mai nicht nur neue 1. Mais rausholt, sondern wenn sich daraus etwas ergäbe, was ganz bestimmte Minimalforderungen, z.B. in der Jugendpolitik, verstärkt – der Jugend ihr Selbstbestimmungsrecht lassen. Weg von dieser bürokratischen Norm: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Diese Ruhe wird aber in der Regel eher durch Gewalt als durch Argumente gestört. Der Zusammenbruch des neoliberalen Entwicklungsmodells in Argentinien z.B. wurde der Weltöffentlichkeit anhand der Bilder von den Plünderungen, von Gewalt, vor Augen geführt. Oder, ganz deutlich, der 17. Juni... Kann man nicht auch mit solchen Bildern Politik machen?

Daß solche Bilder eine enorme Wirkung haben, ist klar. Die Frage ist nur erstens, will man selber durch Gewalt solche Bilder erzeugen, und zweitens, wie wird reagiert. Ist die erste Überlegung: Okay, wie kommt es zu dieser Gewalt? Oder reagiert man damit nach Bush und Schröder und tutti quanti: Auf Gewalt muß mit Gewalt reagiert werden! Ich will ja nicht neue Gewalt produzieren. Solche Gewaltbilder sind das, was ­ man hätte früher gesagt ­ die Springerpresse gern hat, sie verstärken in der ganzen Republik die Vorurteile und initiieren nicht eine vernünftige Politik, eine andere Politik, sondern verhindern sie eher.

Nun ist es ja nicht nur die bürgerliche Presse, die sich über schöne Steineschmeißerfotos freut, sondern auch die Teilnehmer selbst. Der 1. Mai gibt ihnen ein Gefühl der Macht in der Ohnmacht. Bei anderen Veranstaltungsformen würde so etwas wie Eloquenz oder Kreativität die Macht ausüben. Die 1. Mai-Teilnehmer kritisieren ja gerade, daß sie keinen Platz in der Öffentlichkeit, in den Medien, in den Wahlen ect. haben, wo sie sich sprachlich Ausdruck verschaffen können. Viele sind ja auch antibildungsbürgerlich eingestellt, die würden sich natürlich entmachtet fühlen.

Sie haben recht, ich habe das selber beobachtet, möglicherweise ging es einem selber mal so. Manchmal empfindet man Haß, dann liegt da ein Stein, man schmeißt den Stein – das gibt ein Gefühl der Stärke, selbst wenn man hinterher in Polizeigewahrsam merkt, daß man überhaupt nichts ausrichtet. So etwas können wir nicht bieten. Die Frage ist, ob es genügend Substitute gibt, mit denen man die Leute, die auf Argumente zunächst gar nicht reagieren, genügend eingemeinden kann. Man kann es nur hoffen.

Interview: Katrin Scharnweber/Johannes Touché

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