Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Öko-Bonus gegen den Melkkuh-Mythos

Fußgänger, Radfahrer, Bus- und Bahnnutzer fordern Kostengerechtigkeit

Als "Melkkühe der Nation" stellen sich die Autofahrer gerne dar. Gerade jetzt, wo der Benzinpreis die Zwei-Mark-Marke erreicht hat, werden ADAC und andere Autolobbyisten nicht müde zu behaupten, die Autofahrer würden vom Staat nur abgezockt und schikaniert, sei es durch Steuern, Bußgelder, Strafzettel, Tempolimits, Baustellen, Parkgebühren, Verkehrsbeschränkungen oder fehlende Parkplätze. Dass dem nicht so ist, weiß aber eigentlich jeder, der es wissen will. Würden die Autofahrer alle Schäden an Umwelt, Gesundheit und Landschaft, die sie verursachen, über den Benzinpreis bezahlen, läge der Spritpreis bei rund fünf Mark. Diese Erkenntnis ist ungefähr zehn Jahre alt, doch noch vor zwei Jahren hatte diese bloße Feststellung den heutigen Umweltminister Jürgen Trittin fast Kopf und Kragen und die Grünen jede Menge Wählerstimmen gekostet.

Offene Rechnung

"Wir wollen die Ökosteuer-Debatte erweitern", sagt Bernd Herzog-Schlagk, Mitglied im Bundesvorstand des Fußgängerschutzvereins FUSS e.V., anlässlich der Vorstellung einer Studie zur Kostengerechtigkeit im Verkehr. "Die Einkünfte aus der Ökosteuer erbringen lediglich drei Prozent der ungedeckten Kosten des Pkw-Verkehrs", stellt Stefan Lieb, Autor der Studie, fest. Im Vergleich zu 1960 sei Autofahren sogar billiger geworden. Wäre der Benzinpreis der Inflationsrate der anderen Konsumgüter gefolgt, so kostete der Liter heute 2,70 Mark. Während sich der Preis einer durchschnittlichen Busfahrt seit 1960 verzehnfacht hat, stieg der Benzinpreis nur um das dreifache.

Mit der vorgelegten Untersuchung wurden alle vom Pkw-Verkehr in Deutschland erzeugten Kosten und Einnahmen gegeneinander aufgerechnet. Der Autoverkehr verursacht jährlich Kosten in Höhe von 212 Milliarden Mark, davon sind nur rund 39 Milliarden Mark durch Steuereinnahmen gedeckt. Die verbleibenden 173 Milliarden Mark sind die ungedeckten Kosten des Autoverkehrs, die die gesamte Bevölkerung tragen muss. Wird diese Summe pro Kopf der Bevölkerung umgelegt, muss jeder Einwohner - egal ob er Busse und Bahnen benutzt, Rad fährt, zu Fuß geht oder tatsächlich Auto fährt - jährlich 2110 Mark für den Autoverkehr berappen. Jeder Fußgänger zahlt also 5,78 Mark pro Tag, damit andere Auto fahren können. "Die wahren Melkkühe sind die Fußgänger, Radfahrer und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel", sagt Karl-Heinz Ludewig vom Arbeitskreis Verkehr und Umwelt "Umkehr" e.V. Sie zahlen für den Autoverkehr, bekommen aber nur dessen Nachteile zu spüren. "Umweltgerechte Mobilität darf nicht länger bestraft werden", fordert Ludewig.

Um die Kosten gerechter zu verteilen, schlagen Umkehr und FUSS e.V. zusammen mit anderen Umweltverbänden ein Öko-Bonus-System vor: Wie aus der Studie errechnet, soll der Benzinpreis gemäß den ermittelten Kosten des Pkw-Verkehrs um 3,53 Mark pro Liter erhöht werden. Diese Mehreinnahmen des Staates sollen in voller Höhe als Öko-Bonus an jeden einzelnen Bürger ausgezahlt werden. Jeder Erwachsene bekäme 2190 Mark im Jahr, Minderjährige 1095 Mark. Mit dieser Summe könnte ein Erwachsener ohne Probleme eine BVG-Jahreskarte sowie zwei Hin- und Rückfahrten mit dem Sparticket der Bahn bezahlen und hätte immer noch Geld, um sein Fahrrad in Schuss zu halten und neue Schuhe zu kaufen. "Wer dann noch Auto fahren will, zahlt einen gerechten Preis", so Karl-Heinz Ludewig, "die Anderen bewegen sich umweltfreundlich und sparen Geld."

Nur Top-Verdiener im Stau

"Der Studie liegen niedrige Ansätze und sehr vorsichtige Berechnungen zugrunde", versichert Stefan Lieb. Eine Untersuchung des Autoherstellers BMW zu Wartezeiten und Staukosten rechnet hingegen mit sehr großzügigen Lohnkosten. "Danach stehen nur Spitzenverdiener im Stau", spottet Lieb. Das Ergebnis der BMW-Studie ist denn auch klar: Staus verursachen exorbitante volkswirtschaftliche Verluste und müssen durch mehr Straßenbau "aufgelöst" werden - das käme allen zugute. Behauptungen, jeder siebte Arbeitsplatz hänge vom Auto ab oder bei jeder Bahnfahrt zahle der Autofahrer mit, beruhen auf ähnlich zurechtgebogenen Zahlen.

Mit solchen "Motormythen" versucht die Umkehr-Broschüre "Verkehrskosten" aufzuräumen. Und die exakte Berechnung des volkswirtschaftlichen Schadens und Arbeitszeitverlustes, den busfahrende Arbeitnehmer im Autostau oder Fußgänger durch überlange Ampelwartezeiten erleiden, steht noch aus. Durch die Masse der Fußgänger dürfte diese Zahl ungeahnt hoch sein. "Man weiß oft gar nicht, dass der Fußgängeranteil so hoch ist", sagt Bernd Herzog-Schlagk, "doch es wird immer noch gelaufen."

Jens Sethmann

Umkehr/FUSS e.V., Exerzierstr. 20, 13357 Berlin (Wedding), fon 492 74 73

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