Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Zu viel oder zu wenig Drogen

Robert Stones Roman "Das Jerusalemsyndrom"

"Reporter?" sagte ein Soldat durch den Lautsprecher. "Sind Sie der Reporter?" Das klang nach Rettung. "Ja, Sir" rief Lucas seinem neuen fliegenden Freund zu. "Mein Name ist Lucas." Er wollte erklären, dass sie ihn jagten und Itbah al-Yahud schrien. Er wollte alles erklären. Der Hubschrauber ging jetzt tiefer, und das heftige Wirbeln scharfer Steine und Erdbrocken urde stärker.

Itbah al-Yahud heißt: tötet den Juden! und ist erschreckend ernst gemeint. Die Szene aus dem zweitens Drittel des 600-seitigen Romans ist ein Beispiel für die illusionslose Darstellungsweise von Robert Stone. Die Geschichte ist zu diesem Zeitpunkt schon völlig verzwickt und die Abenteuer des Helden jagen dem Leser eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken.

Der in Jerusalem lebende amerikanische Journalist Christopher Lucas ist auf der Suche nach einer Story. Als Kind einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters ist Lucas fasziniert von religiösem Fanatismus. Er interessiert sich für die Verrückten, die Madschnunim, die ihren Eingebungen folgend nach Jerusalem pilgern, um das Wohlgefallen ihres Erlösers zu ergattern. Aber auch die eigentlich "Normalen", israelische Soldaten im Gazastreifen oder dessen palästinensische Bewohner, können sich flink in Madschnunim verwandeln.

Durch sein Faible für das "Jerusalem-Syndrom", einen Wahn, der Besucher der Stadt befällt, gerät Lucas unfreiwillig in die Maschen einer Verschwörung. Ziel des Komplotts ist es, die Moscheen auf dem Tempelberg in die Luft zu jagen, um die Errichtung eines Dritten Tempels und damit die Ankunft des Messias zu ermöglichen. Beteiligt sind fundamentalistische Christen, ultrarechte religiöse Juden, ein zwielichtiger israelischer Geheimagent sowie diverse religiöse Fanatiker, die entweder zu viele oder zu wenig Drogen nehmen.

Schöne Frauen dürfen in einer solch kniffligen Story nicht fehlen. Deshalb läßt Stone bald Sonja auftreten, eine geheimnisvolle schwarze Fee, jüdische Amerikanerin, Sufianhängerin und Jazzsängerin. Das ist ziemlich viel Karma für eine Frau. Lucas ist hingerissen. Er folgt Sonja bei ihren abenteuerlichen Wüstenfahrten in den Gazastreifen. Auch Sonja verirrt sich zunehmend in den Fäden aus Mystik, Drogen und Fanatismus. Sie gehört zu einer Gruppe, die unter sich einen Messias entdeckt haben wollen.

Schließlich kommt es zu Unruhen im moslemischen Viertel Jerusalems. Sonja durchwandert gerade das unterirdische Labyrinth im Tempelberg auf der Suche nach der Bombe, Lucas versucht, ihr zu Hilfe zu kommen. Doch einige böse Verschwörer sind schneller...

Anne Hahn

Robert Stone: Das Jerusalemsyndrom (aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren). Zsolnay Verlag, Wien 2000, 49, 80 DM

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