Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Fred Feuerstein revisited

In Esther Schweins "Caveman" findet der Middle-Class-Mann wieder zur Steinzeitkeule, zum Humor und zu sich selbst

Wie kann sie nur so einen Mann vor die Tür setzen? Wenn jene anthropologische Theorie stimmt, nach der sich kreative und schelmische Jungs zu Neandertalers Zeiten Fortpflanzungvorteile gegenüber dem Typus "dumpfer Keulenmann" herbeialbern konnten, weil ihr Witz die bohrende Langeweile am Lagerfeuer erträglicher machte, dann müsste Kristian Bader ein Hauptgewinn im Beziehungslotto sein. Mit derart treffsicheren Scharaden karikiert der Solokünstler als "Caveman" die alltäglichen Auffahrunfälle im Gegenverkehr der Geschlechter, dass die Damen im Publikum vor Vergnügen quietschen. Und die Herren lächeln dankbar, denn endlich versteht sie jemand: Männer sind Jäger, Frauen dagegen sind Sammlerinnen. Punktum. Zu dumm, dass Heike dem charmanten Tausendsassa die Höchststrafe verpasst hat: "Geh doch zurück zu deinen Höhlenkumpeln, du Neandertaler." Da hockt er nun, die Tür ist zu, und alle Fragen offen. Also doch "dumpfer Keulenmann", trotz Hochleistungscomedy?

Leidlich pointiert und massenkompatibel feiert der Monolog von Rob Becker (Originaltitel: Defending the Caveman) den nur halb domestizierten Thirty-Something männlichen Geschlechts. Die Ulknudel Esther Schweins (Regie) hat den Broadway-Erfolg nun mit dem Schauspieler Kristian Bader als deutsche Erstaufführung in die riesige Treptower Arena implantiert. Der Masterplan für Caveman lautet: Man nehme gewöhnliche Alltagssituationen, destilliere das reine Klischee heraus und betrachte es durch die Folie der Steinzeitsociety. Denn wer wusste schon, dass der Mann, vormals Mammutjäger, heutzutage Fernsehprogramme, Kaufhaushemden und Autobahnkilometer erlegen muss? Damals wie heute gilt für ihn: Ziel fokusieren, Keule drauf, nach Hause schleifen. Männer schweigen, Frauen plappern, denn Männer konzentrieren sich auf die Beute, während Frauen sammeln. Vor allem Informationen. Und da besonders die Details, die delikaten. So arbeitet das Stück Seite um Seite die Fibel über konventionelle Geschlechterkonstruktion ab, von A wie Abwasch bis Z wie Zapping. Süffige Katharsis für die ganze Reihenhausfamilie, seelisch unbedenklich wie Fred Feuerstein.

Zu dumm nur: Das Ganze ist - zumindest phasenweise - tatsächlich komisch. Die Kalauer der Textvorlage tragen dazu nur teilweise bei, Gags wie "Pfeif einfach, wenn du keine Luft mehr kriegst" klingen nicht mehr ganz taufrisch, nein, verblüffend und mitreißend ist, wie Bader, der Homo Schelmicus, ganz allein - mit Gesten, Rollenwechseln und Stimmakrobatik - Szenerien und Beziehungswelten auf die menschenleere Bühne zaubert. Etwa zur Illustration des Die-Chips-Sind-Alle-Wer-Holt-Nachschub-Problems: Da schnattert ein umtriebiger Schwarm von Damen in die Küche, um gemeinsam die sorgfältig bereitgelegte Chipstüte "aufzusammeln". Viva la Kooperation! Dieselbe Situation in der Männerrunde: High Noon. Schweigen. Wer macht die Regeln? Wer zieht die Arschkarte? Und Baders Arme, Beine, Gesichtszüge und Stimmbänder verwandeln sich in eine Westernstadt, "Spiel mir das Lied vom Tod" inklusive. Gänse oder Ballermänner: Der Chipsnachschub rollt. Die dritte Variante mit gemischter Runde endet dagegen mit einem rüden: "Scheißkerle!" Allein wie Bader mit zwei Fingern beleidigt davonstapfende Frauenbeine persifliert, eine banale Geste eigentlich, eignet sich dazu, ganze Männergenerationen vom notorisch schlechten Gewissen zu befreien. Ja! Die doofen Hühner.

Die verblüffenden Effekte erschöpfen sich jedoch im zweiten Teil zusehends, denn tatsächlich recycelt Caveman immer wieder dasselbe beschränkte Vokabular. Jagen und Sammeln, Herausfordern und Kooperieren, Speer und Körbchen (bzw. Penis und Vagina), Schwatzen und Schweigen, Frauenzeitschrift und Glotze. Außerdem gleitet die freche Show gegen Ende in versöhnlich-naives Rumgesumpfe ab, mit belehrendem Unterton: "Ein Mann sollte ein Mann sein. Aber ohne Vorurteile." Was auch immer das heißen soll. Egal, gleich wird Heike die Tür öffnen und Caveman darf endlich zurück in die warme Höhle.

Ja, sie sind doch Schnuckels, die Jungs. Die Jungs im Publikum wussten das natürlich schon immer, trampeln beim Applaus frenetisch mit den Füßen und nehmen vom Boulevard in der zugigen Mehrzweckhalle kleine, feine Impressionen mit nach Hause: "Kennen sie noch Bonanza-Räder? Mit dem Schalt-Knüppel zwischen den Beinen?" Ja, Caveman, die kennen wir noch. War das schön, in den 70er Jahren Junge zu sein.

Klemens Vogel

Caveman von Rob Becker, in der Arena/Treptow, 27. Juli bis 2. September, täglich 20.30 Uhr außer montags; fon 5332030

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