Ausgabe 04 - 2000berliner stadtzeitung
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Über das Umdrehen von Spießen

Der Künstler Mark Aldi Albrecht kämpft um seine Kunst

Mark Aldi Albrecht hat eine Menge Unterlagen mitgebracht. Jedes der Schriftstücke steckt in einer Plastikhülle, die auf intensive Nutzung schließen lassen. Gerade ist er von der Kunstmesse in Brüssel zurückgekehrt, vorher war er auf der "Art Frankfurt". Allerdings hat er dort nicht seine Bilder ausgestellt, sondern Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache betrieben. Vor den Messen hat er Flugblätter und Postkarten verteilt, die eine ziemlich unglaubliche Geschichte dokumentieren. Nicht dass Mark Aldi es von vornherein darauf angelegt hätte, im Stil von Happening oder Aktionismus in der Kunstwelt bekannt zu werden, eher blieb ihm kein anderer Weg übrig, als offensiv die jüngsten "Ereignisse" in sein Künstlerdasein zu integrieren. Dabei waren die Anfänge eher harmlos.

Mark Aldi verwendet seit acht Jahren in seinen großformatigen Bildern neben einer intensiven Farbe ausschließlich Schrift als Element. Er selbst bezeichnet seinen Stil als "21. Abstraktivismus". Ein Porträt von Schlingensief hält beispielsweise nur den Namen "Schlingensief" in Großbuchstaben auf der Leinwand fest. Außerdem enthalten seine Bilder immer in Großbuchstaben den Namen "Aldi" - Mark Aldi trägt seit seiner Jugend den Spitznamen "Aldi". Er ließ den Namen beim Patentamt für künstlerische Zwecke schützen, worauf der Lebensmitteldiscounter auf den Schriftzug aufmerksam wurde, der mit dem Firmenlogo identisch ist. Es kam zur Klage und Mark Aldi verlor den Prozess. Bei Zuwiderhandlung drohen ihm nun 500000 Mark Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft, die gut 9000 Mark Rechtskosten werden bei ihm zwangsvollstreckt. Die Konzernargumentation stützte sich auf den Vorwurf, der Künstler wolle vom Markennamen profitieren. Mark Aldi dagegen verteidigt seinen Namenszug aus seinem Kunstverständnis: ihm "wäre es absurd erschienen, seinen Namen nun absichtlich in Schreibschrift oder Kleinbuchstaben umzuformen." Auf den Flugblättern verteilt er nun in Originalkopie dieses, die künstlerische Freiheit einschränkende Urteil. Man braucht nur an Andy Warhols Suppendosen zu denken, um den Rückschritt, den dieses Urteil vollzieht, zu begreifen.

Bezeichnenderweise trifft Mark Aldi aber nicht auf ungeteilte Unterstützung in der Welt der Kunstinteressierten. Auf den Messen wird er zum Teil als lästiger Störenfried betrachtet, der den reibungslosen Kunstverkaufsbetrieb behindert. Aus dem VIP-Bereich der Brüsseler Messe, in den er mit einer geschenkten Karte eines Galeristen reinkam, wurde er höchstpersönlich von der Messeleiterin rausgeschmissen, nicht ohne ihn noch auszuforschen, wer den Zutritt überhaupt ermöglicht habe. Vor der Messe hat ein Polizist etwas von einer so genannten "special area" getönt und das Verteilen von Flugblättern verboten.

Van Gogh würde abwinken

Doch Mark Aldi verteidigt zur Zeit nicht nur die Freiheit der Kunst, sondern auch noch seine eigene Selbstbestimmung. Seit September 1999 wird sein Entmündigungsverfahren betrieben von einem mit seinen Eltern befreundeten Richter, der auf Entmündigungsverfahren spezialisiert ist. Der Richter selbst wohnt nicht in Berlin, sondern stellte beim Amtsgericht Mitte den schriftlichen Antrag, der dem Amtsgericht Tiergarten übergeben wurde, weil Mark Aldi mittlerweile dort wohnte. Die Mühlen fingen an zu mahlen: Mark Aldi soll sich nun einem psychiatrischen Gutachten unterziehen, ein amtlich bestellter Betreuer hat sich derweil vorab bereit erklärt, den "Fall" zu übernehmen. Seine Eltern haben die Betreuung abgetreten.

Mark Aldi hat inzwischen Akteneinsicht bekommen und die Schriftstücke kopiert, um den Vorwürfen entgegentreten zu können, allerdings sind die vermutlich vorhandenen entscheidenden Äußerungen seiner Eltern nicht darunter gewesen. Bis jetzt ist es noch nicht zur psychiatrischen Untersuchung gekommen, unter anderem, weil Mark Aldi dieses Verfahren künstlerisch begleiten und Videoaufnahmen von dem Zusammentreffen machen will. Der Gutachter hat es abgelehnt, sich beim anberaumten Termin im Atelier aufzeichnen zu lassen. Auch die übrigen Beteiligten lehnen es ab, sich einem Interview mit Videokamera zu stellen. Mark Aldi wartet jetzt auf den weiteren Verlauf, der scheinbar nicht von ihm gestoppt werden kann, ohne auf die Vorwürfe eingehen zu müssen.

Neben der unfreiwilligen Aktionskunst, die Mark Aldi auf sich genommen hat, fand er im November noch Zeit, seine Ausstellung im Anatomischen Institut der Charité zu organisieren. Auf strahlendgelbem Untergrund standen Wörter wie "SNAP 25" oder "CA 3". "Snap 25" ist der Name eines Proteins, das zuständig ist für die Botenstoffausschüttung im Gehirn, "Ca 3" steht für eine entwicklungsgeschichtlich alte Hirnregion in der rechten und linken Schläfe, die mit der Gedächtnisbildung in Verbindung gebracht wird.

Mit ein bisschen Verzweiflung, aber ziemlich ironischem Unterton meint Mark Aldi, als er das Konvolut an Schriftstücken wieder einpackt: "Vielleicht ist es für einen Künstler ja gar nicht so schlecht, als verrückt zu gelten."

Und vorsichtshalber nennt er sich nun "KünstlerALDI".
sas

offenes Atelier des KünsterALDI im Rahmen der Treptower Kulturtage am 3.6., Am Treptower Park 28-30, Haus C/Aufgang IV/DG, 14-19 Uhr; seine Internetadresse:
www.members.tripod.de/KuenstlerAldi

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