Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Nach Asbestsanierung Abriß?

Der Palast der Republik soll weg - koste es, was es wolle

Die Kosten für die Asbestsanierung des Palastes der Republik werden sich fast verdoppeln. Nachdem ein Viertel der Arbeiten erledigt ist, habe sich herausgestellt, daß vorher nicht absehbare "zusätzliche Leistungen" notwendig werden, meinen die ausführenden Baufirmen und fordern von der Oberfinanzdirektion 130 statt 70 Millionen Mark für die Beseitigung des krebserregenden Baustoffes. Durch die zusätzlichen Arbeiten werde der Fertigstellungstermin Mitte 2001 auch nicht mehr zu halten sein. Man rechne mit einer Verzögerung um mehrere Monate. Der Verdacht liegt nahe, daß sie, um den Auftrag zu bekommen, ein (zu) günstiges Angebot abgegeben haben.

Zur Frage, wie mit dem Palast der Republik nach der Asbestsanierung umgegangen werden soll, gibt es unterdessen auch einen erneuten Vorstoß der Berliner CDU: Das Gebäude solle beseitigt werden, diesmal mit dem Argument, die "bauliche SED-Vergangenheit wegzuräumen".

Der Palast der Republik wurde am 23. April 1976 mit einem Fest der Erbauer eröffnet. Mehr als 70 Millionen Besucher zählte dieses Gebäude bis zu seiner Schließung am 19. September 1990. Hier war das zentrale Wahlzentrum der DDR am 18. März 1990, hier wurde der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland durch die Volkskammer beschlossen.

Die Schließung des Hauses erfolgte über Nacht unter zweifelhaften Umständen: Am 19. September 1990 forderte das Amt des Ministerpräsidenten den Leiter der Bezirkshygieneinspektion Berlin auf, "unverzüglich die erforderlichen Entscheidungen über die sofortige Teil- oder Vollsperrung des Palastes...zu treffen". Die Hygieneinspektion reagierte noch am gleichen Tage: "Der Palast der Republik ist mit sofortiger Wirkung aus Gründen der Gesundheitsgefährdung durch Asbest für die gesamte öffentliche Nutzung zu sperren." So schnell können Behörden sein.

Berliner Luft höher belastet

Regelmäßige Messungen im "PdR" zu DDR-Zeiten ergaben etwa 50 bis 80 Asbestfasern pro Kubikmeter. Auf meine persönliche Anfrage teilte mir die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales am 8. Mai 1996 mit: "In Ballungsräumen wie Berlin ist aufgrund der früheren weitreichenden Asbestanwendungen heute mit einer Faseranreicherung von bis zu 150 Fasern pro Kubikmeter Außenluft zu rechnen." Der kritische Wert liegt übrigens gemäß den verbindlichen Regelungen bei 500 Fasern pro Kubikmeter.

Als Argument für die überstürzte Schließung dieses Hauses dienten Zwischenergebnisse eines Asbestgutachtens, das "auftragsgemäß von der ausschließlichen Anwendung der Sanierungsmethode I, d.h. von der vollständigen Asbestbeseitigung" ausging. Dieses Gutachten wurde erst im Dezember 1990 fertiggestellt und ist in seiner Gesamtheit bis heute nicht veröffentlicht. Wer es einsehen möchte, hat einen Hindernislauf vor sich und muß dazu noch außerordentliches Glück haben. Wer heute zum Thema Palast der Republik an verantwortliche Dienststellen konkrete Fragen stellt, bekommt regelmäßig unkonkrete Antworten.

Daß es schonende, vor allem aber kostengünstigere Möglichkeiten der Asbestsanierung seit Jahren gab und gibt, wurde unterschlagen. Sie wurden sogar in Berlin praktiziert, im ICC zum Beispiel und bei laufenden Betrieb. Eine Sanierungsfirma teilte schon 1994 der Öffentlichkeit mit, daß sie in der Lage sei, die Sanierung für 50 bis 70 Millionen Mark innerhalb von sechs Monaten durchzuführen. Die Verantwortlichen haben sich dazu nicht offiziell geäußert, obwohl doch damit fast 100 von den 150 Millionen Mark, die für die "Asbestsanierung" des Palastes im Bundeshaushalt vorgesehen waren, hätten eingespart werden können. Es hat den Anschein, daß diese Möglichkeit von den Verantwortlichen nicht einmal ernsthaft geprüft worden ist.

Der Palast sollte eben weg, koste es, was es wolle! Diese DDR-Hinterlassenschaft sollte unter allen Umständen verschwinden.

Zukunft ohne Stolpergefahr

Am 23. März 1993 beschloß der Gemeinsame Ausschuß Bonn-Berlin den Abriß des Palastes der Republik, des Staatsratsgebäudes und des Außenministeriums. Das löste einen Sturm der Empörung in der Bevölkerung aus. Der Protest formierte sich unüberhörbar, sichtbar und nahm organisierte Formen an, von der etablierten Berliner Presse ständig unterbelichtet dargestellt und von Gegenkampagnen mit wechselnden Argumentationsfeldern begleitet, bis in die Gegenwart. Wäre nicht dieser Protest und dieser Widerstand gewesen - der Palast wäre schon längst weg.

In einer weiteren Nacht- und Nebel-aktion wurde 1995 um den Palast der Republik ein Zaun gezogen, im Morgengrauen eines Tages, an dem den Gemeinsame Ausschuß Bonn-Berlin tagte. Die offizielle Argumentation für diese Aktion war genauso dumm wie unglaubwürdig: Es fehlten einige gußeiserne Laubfangroste. Darin wurde eine Stolpergefahr gesehen. Oder ging es nicht vielmehr darum, daß der "PdR" längst zum Ort des Protestes geworden war?

Obwohl besonders die zum Thema Palast gut informierte ostdeutsche Bevölkerung eben ihren Palast wieder haben will, wie Meinungsumfragen immer wieder bestätigen, versucht sich die gegenwärtige Regierung an der anspruchsvollen Aufgabe, den Abrißvandalismus der abgewählten Vorgängerregierung zu realisieren.

Nun soll´s eine Expertenkommission richten. Wir dürfen gespannt sein, wer ihr angehört, ob die Vertreter des vernünftigen und sensiblen Umgangs mit der jüngeren historischen Vergangenheit in angemessener Weise berücksichtigt werden oder ob das bisherige Spiel weitergeführt wird.
R. Denner

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