Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Lebensstil Freistil

Die wiedereröffnete Schwimmhalle im Thälmannpark modernisiert die Gesellschaft

Öffentliche Gebäude sind so etwas wie die Augen des Zeitgeistes, an denen wir mit ablesen können, wohin die Gesellschaft sich bewegt. Wer etwa Einkaufspassagen und Multiplexe überall in der Stadt bedenkt, wird daran nicht zweifeln. Die Gestalt einer Kiezschwimmhalle ist bei solchen Erwägungen ein eher unüblicher und unspektakulärer Gegenstand. Doch auch die Berliner Bäderbetriebe (BBB) erklärten schon vor Jahren, veränderte Kundenwünsche bemerkt zu haben. So wie es in den Ladencentern nicht mehr allein um die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen, sondern um den Erlebniseinkauf geht, wollte die BBB das prosaische Reinigen, Schwimmen, Trainieren nun vom Spaßbad mit Aufenthaltsqualität abgelöst sehen. Teure Rekonstruktionen und die rechtzeitig zu Olympia entstandene Halle an der Landsberger Allee sprengten der BBB zwar ihr Budget und viele Pläne, etwa zur Wiederherstellung des denkmalgeschützten Bades Oderberger Straße. In einer ersten Etappe ihrer Modernisierung entschied die BBB daher auch, den Spaß im Sommer auf Freibäder zu begrenzen.

Doch nun hat Anfang März nach langer Erneuerung die Schwimmhalle im Thälmannpark (Prenzlauer Berg) wiedereröffnet. Eine moderne Einrichtung und ein Cafe waren versprochen. Was hat sich verändert?

Das Außengesicht des Gebäudes, ein karger DDR-Zweckbau aus steinchenbesetztem Beton, blieb unverändert. Davor wehen weiter die Fahnen von "Spreequell", die Kassiererin trägt das Logo nun auch auf dem Kittel. Aber innen geben sich die späten 90er Jahre zu erkennen. Die Tickets werden jetzt in eine Stechuhr gesteckt. Die gekachelten Sprungblöcke am Beckenrand ersetzt nun geschwungener Chromstahl. Grau gestreifte Säulen mit Telekom-Charme gliedern weiße Wände. Metallleuchten richten darauf ihre Lichtkegel dezent in Richtung der nun von weißen Platten verhüllten Decke. Nichts wird den Rückenschwimmer in seiner Versunkenheit beunruhigen. Zwei vielfarbige Wimpelketten, die ihm in den ersten Tagen quer über dem Wasser die beiden Bahnenden anzuzeigen schienen, verschwanden wieder. Sonst aber entbehrt die Halle poppiger Farbtupfern nicht. Gelbe, dickgepolsterte Liegestühle stehen nun anstelle der früheren Holzbänke entlang der Querwand. Dem Gast dämmert der Hotelstrand von Mallorca. Sattgelb hängen jetzt auch vielfächrige Kästen für Handtuch und Brille an der Wand. Die Ausgangspfosten dagegen strahlen kräftig rot und ähneln entfernt einem Brandenburger Törchen. Passend ist ein Hohlraum darüber neonblau ausgeleuchtet. Alles wirkt sehr spacig, und als der Bademeister abends kurz vor Schluss das Oberlicht ausknipst, versetzen die verbliebenen Unterwasserstrahler und einige Wandleuchten die Halle in schimmerndes Dämmerlicht. "Das war Klasse", begeistern sich hernach zwei Mädchen. "Romantisch wie Schwimmen unterm Mondschein!"

Weniger romantisch, aber unzweifelhaft vom Zeitgeist geprägt wirkt das neue Cafe. An einigen Metallstühlen und -tischen im Eingangsbereich ist es leicht zu erkennen. Die Bedienung ist komfortabel - an zwei Automaten versorgt man sich gleich selbst mit Getränken und Süßigkeiten. Der Idee, die unterbeschäftigten Kassiererinnen hinter einen echten Tresen mit ernsthaftem Angebot zu stellen, wie in Kinos längst üblich, hat der Staatsbetrieb BBB wohl entsagt. Die Fastfood-Aufenthaltsqualität des Cafes ist eindeutig. Nur die Umkleidevorrichtungen geben sich merklich unentschieden zwischen konservativ und liberal. Da sollen nun Männchen und Weibchen dieselben Schränke nutzen. Erst in den Toiletten und Duschen wird die gute alte Trennung wieder hergestellt. Wie? Manche(r) könnte vielleicht doch auf vom fremden Geschlecht unbeobachteter Entkleidung beharren? Daran ist gedacht. Denn zum Erreichen der Schrankräume muss jeder Gast enge Kabinen passieren, quasi Schleusen zwischen drinnen und draußen, worin er sich aller Intimität gewiss seine Blöße geben kann. Solchen Rückzug in das ganz Private bot das Schwimmbad früher nicht. Doch weil es den meisten zu kommunikationsarm, zu eng und überhaupt zu unspaßig in den datenschützenden Umkleidebuchten ist, leisten sie eher einer neuen Freikörperkultur zwischen den Geschlechtern Vorschub. Die meisten Bader bleiben gleich unverhüllt vor den Schränken. Hier konstatiert denn auch eines der Mädchen: "Wie gut, dass ich das Schwimmen wiederentdeckt habe. Man atmet gleich ganz anders und spürt sich geistig erfrischt." Eben. Drum rekonstruiert endlich das Stadtbad Oderberger Straße!
Stefan Melle

Schwimmhalle im Thälmannpark, Mo/Di/Do 6-23 Uhr, Mi 10-23 Uhr, Sa/So 8-23 Uhr, außerdem Sauna und Solarium, fon 425 84 07

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