Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Der arme Teufel
Der Gedenkstein für den Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe wurde gestohlen

Marinus van der Lubbe, der 1933 auszog, den Reichtag anzuzünden, wurde wahrscheinschlich zum zweiten Mal das Opfer von Nationalsozialisten.

Im Strafprozeß wegen des Reichstagsbrandes konnte das Reichsgericht ihn nur deshalb zum Tode verurteilen, weil die Nationalsozialisten rückwirkend ein Gesetz ("Lex van der Lubbe") erließen, dessen einziger Zweck darin bestand, Marinus van der Lubbe umbringen zu können.

Am 10. Januar 1934 geschah der Justizmord, wurde Marinus van der Lubbe in Leipzig hingerichtet. Sein Leichnam wurde anonym auf dem Leipziger Südfriedhof beerdigt.

Der Linkskommunist war bei seiner Wanderung durch Deutschland zu dem Schluß gekommen, daß Hitler die Arbeiter unterdrücken und Krieg führen werde. Gegen diese Bedrohungen wollte er ein Zeichen setzen, die Menschen wachrütteln und zum Widerstand auffordern.

Doch diese einsame Aktion wurde nicht zum erhofften Fanal, sondern diente den Nationalsozialisten als Anlaß, eine großangelegte Unterdrückungsaktion gegen jene zu starten, die sie als ihre politischen Feinde betrachteten.

Der Mord war aber nicht das einzige Verbrechen, das an van der Lubbe begannen wurde. Die Kommunisten behaupteten, van der Lubbe sei ein faschistischer Provokateur, der den Reichstag im Auftrag der Nazis angezündet habe. In ihrer Propaganda schreckten sie auch nicht vor der infamen Behauptung zurück, Marinus van der Lubbe sei ein bezahlter Lustknabe hochrangiger homosexueller Nazifunktionäre gewesen.

Der Blick auf den Menschen Marinus von der Lubbe ging dann in der Nachkriegszeit fast vollständig verloren, als ein erbitterter, jahrzehntelan-ger und bis heute andauernder Streit unter Historikern entbrannte, ob van der Lubbe tatsächlich alleine den Reichstag angezündet habe, ob es weitere Täter gäbe und wenn ja, wer diese gewesen seien.

Die von den Kommunisten herausgegeben Bücher "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" (1933) und "Braunbuch II. Dimitroff contra Göring" (1934) sind in den 80er Jahren sowohl in der BRD als auch in der DDR wieder veröffentlicht worden. Im Buchhandel sind sie inzwischen nicht mehr lieferbar, aber recht leicht in Bibliotheken und Antiquariaten zu finden.

Das von Freunden von Marinus van der Lubbe herausgegebene "Rotbuch. Marinus van der Lubbe und der Reichstagsbrand" (1933), mit dem sie der kommunistischen und faschistischen Propaganda entgegentraten, ist 1983 von der Edition Nautilus wieder neu herausgegeben worden. Preisreduzierte Exemplare der Restauflage (10,- DM plus Porto statt 19,80 DM) können bestellt werden bei: Anares Nord, Postfach 12 47, 31305 Uetze.

Wer sich für den Menschen Marinus van Lubbe interessiert, sei auf das vor einigen Monaten erschienene, lesenswerte Buch von Martin Schouten "Marinus van der Lubbe - Eine Biographie", Verlag Neue Kritik, 38 DM hingewiesen.

In den 90er Jahren begannen einige niederländische Bürger, sich verstärkt für das Schicksal von Marinus van der Lubbe zu interessieren und Nachforschungen über sein Leben und Schicksal anzustellen. Die Stiftung "Ein Grab für Marinus van der Lubbe" wurde gegründet, um eine angemessene Würdigung und Ehrung für ihn zu verwirklichen.

1999 wurde sein Leichnam aus dem anonymen Leipziger Grab in seine Heimatstadt Leiden überführt und dort in einem würdigen Grab bestattet.

Die niederländischen Künstler Ron Sluik und Reinier Kurpershoek schufen ein Triptychon aus drei (Gedenk-)Steinen. Der erste wurde am 10. Januar 1999 auf dem Leipziger Südfriedhof aufgestellt, der zweite am 27. Februar 1999 in Leiden. Der dritte Stein sollte auf Vorschlag der Stiftung vor jenem Fenster seinen Platz finden, durch das Marinus van der Lubbe in den Reichstag eingestiegen war.

Für die Genehmigung ist der Berliner Senat zuständig. Dieser erklärte jedoch kategorisch: "Nirgendwo im öffentlichen Raum in Berlin wollen wir so einen Stein" (Mitteilung der Senatsverwaltung an die Stiftung vom 2. Dezember 1999).

Zum Jahrestag des Reichstagsbrandes, dem 27. Februar, waren mehr als einhundert Niederländer nach Berlin gekommen, um Marinus van der Lubbe zu ehren. Sie brachten den Stein mit, den die Stiftung Berlin und den Deutschen schenken möchte. Dieser wurde vorläufig vor dem Deutschen Theater aufgestellt, das die Stiftung und ihre Initiative für den (Gedenk-)Stein unterstützt. Am Nachmittag des 11. März, einem Samstag, wurde der Stein von bislang noch unbekannten Tätern gestohlen. Es ist naheliegend, einen Zusammenhang mit der von der NPD veranstalteten Demonstration zu vermuten. Diese wurde bewußt am Jahrestag des Einmarsches der faschistischen Wehrmacht in Österreich veranstaltet und knüpfte offen an nationalsozialistisches Gedankengut an (siehe auch den folgenden Bericht). Und wer außer den Neo-Nazis sollte willens sein, Marinus van der Lubbe auf ähnlich schändliche Weise zu verniemanden wie ihre geistigen Väter?

Bei den Freunden von Marinus van der Lubbe herrscht nach dem Diebstahl eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Zu hoffen bleibt, daß sie nicht in Resignation verfallen.
Detlef Kundt

Berliner Korrespondent der Marinus van der Lubbe-Stiftung:
Dr. Gerhard Brack, fon 44 04 42 93, gbrack000@aol.com
Weiterhin hat sich eine Initiative zur Umbenennung der Danziger Straße in Marinus-van-der-Lubbe-Straße gebildet. Kontakt: Uwe Radloff,
fon 447 33 24, fax 44 73 68 94
Uweradloff@aol.com

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