Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Ein lebendiges Experiment

Eine Würdigung des Hansaviertels

Als konsequente Umsetzung der aufgelockerten und durchgrünten Stadt gilt das im Rahmen der "Interbau 1957" erbaute Hansaviertel. Obwohl dieses Leitbild heute nicht mehr gut gelitten ist, stellt das Hansaviertel immer noch ein beeindruckendes Stück Stadt dar. Als "Versuch, Architektur zu erzählen" bezeichnet die Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper ihr Buch "Das Hansaviertel - Internationale Nachkriegsmoderne in Berlin".

Das bürgerliche, alte Hansaviertel wurde im Krieg zu 75 Prozent zerbombt. Ein Wiederaufbau wäre zwar möglich gewesen, war aber alles andere als erwünscht. Die Wohnbedingungen sollten den Bedürfnissen der Menschen nach Licht, Luft, Sonne, Grün- und Freiflächen entsprechen. Das alte Hansaviertel wurde komplett abgerissen.

Damit stellte sich die Westberliner Baupolitik bewusst gegen die Linie, die beim Neuaufbau Ostberlins verfolgt wurde. An der Stalinallee baute man am Anfang der fünfziger Jahre nach einem eher traditionellen Muster. Mit hohem propagandistischen Aufwand wurde die Stalinallee als Beispiel herausgestellt, wie bald alle Arbeiter in einem sozialistischen Deutschland leben könnten.

Der Westen fühlte sich dadurch herausgefordert. Eine internationale Bauausstellung, die "Interbau 1957", wurde ins Leben gerufen, um auf dem Gelände des ehemaligen Hansaviertels lebenswerte und bezahlbare Wohnungen zu bauen. Der Begriff "international" beschränkte sich dabei allerdings auf die westliche Hemisphäre: Die eingeladenen Architekten, Städtebauer und Landschaftsplaner kamen jeweils zu einem Drittel aus Westberlin, Westdeutschland und dem westlichen Ausland.

Der politische Charakter der Interbau war nicht zu übersehen. Der französische Architekt Pierre Vago, einer der wenigen noch lebenden Erbauer des Hansaviertels, hatte damals jedoch nicht diesen Eindruck. Die Interbau war eine "schöne Gelegenheit, etwas gemeinsam zu bauen", sagte er anlässlich der Vorstellung des Buches. Dass einige der deutschen Beteiligten in die Nazidiktatur verstrickt gewesen waren, wurde aktiv ausgeblendet. Pierre Vago meint dazu: "Die Architekten wollten nicht über die Verantwortlichkeit für die Kriegszerstörung diskutieren, sondern nur sicherstellen, dass in Europa kein Krieg mehr stattfinden kann.

Mit dem Hansaviertel entstand ein "einzigartiges Beispiel, wo man in einer Einheit im Grünen verschiedene Bauformen nebeneinander hat, sagt Vago: hoch, lang, groß, klein, vom Punkthochhaus zur flachen "Teppichbebauung". Jedes der 38 Häuser wird in Gabi Dolff-Bonekämpers Arbeit einzeln gewürdigt. Die Beschreibungen werden durch Grundriss- und Schnittzeichnungen ergänzt.

Ein wesentlicher Bestandteil des Buches sind die liebevollen Fotografien von Franziska Schmidt. Schon allein dafür, dass sie es geschafft hat, auch die größten Häuser auf ein Bild zu bekommen, gebührt der Fotografin Anerkennung, auch wenn sie die Aufnahmen etwas übermäßig entzerrt hat, sodass die Hochhäuser zuweilen oben breiter zu werden scheinen.

Leider wird die interessante Frage, wie die Bewohner sich das Hansaviertel angeeignet haben, nicht behandelt. Auch die Finanzierung wird nicht thematisiert. Ähnlich wie bei der Stalinallee musste man auch beim Hansaviertel zur Kenntnis nehmen, dass mit der aufwändigen Bauweise das akute Wohnungsproblem nicht zu lösen war. Für den Massenwohnungsbau war auch das Modell Hansaviertel viel zu teuer. Rückblickend nennt der Architekt Vago das Hansaviertel denn auch "ein sehr interessantes, lebendiges Experiment.

Heute werden die ehemaligen Sozialwohnungen - ganz im Zeichen der Zeit - in Eigentum umgewandelt.

Jens Sethmann

Gabi Dolff-Bonekämper/Franziska Schmidt: Das Hansaviertel - Internationale Nachkriegsmoderne in Berlin, Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 208 Seiten, 88 DM

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