Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Veteranenstraße 21. Zur Rettung des ACUD

Mit dem Kunstverein ACUD in der Veteranenstraße 21 verbinde ich, neben Vernissagen und Finissagen, Kinobesuchen und Lesungen drei intensive Monate um den Jahreswechsel 1994/95, als ich mit Thomas Sakschewski, dem damaligen Leiter der Galerie ACUD und Schülerinnen und Schülern des John-Lennon-Gymnasiums die Geschichte der Veteranenstraße recherchierte. Anders als im Bezirk Prenzlauer Berg, der über ein nahezu lückenloses Bauaktenarchiv verfügt, waren die Akten der Veteranenstraße im Krieg verbrannt, und es war ein Abenteuer, überhaupt noch etwas über die Geschichte der Straße und des Hauses Nr. 21 zu erfahren. 1994 war die Straße von Investoren noch nicht überlaufen. Die alte Fabrik von Möbel-Höffner war noch nicht abgerissen, es gab Schuh-Engler mit seiner 120-jährigen Geschichte noch und im unrenovierten Altersheim am Weinbergsweg lebten Leute, die sich an die alte Veteranenstraße erinnern konnten. Am deutlichsten aber waren (und sind bis heute) die Spuren im Kunsthaus ACUD. Man muß nur eine der ehemaligen Wohnungen betreten und findet die vielfältigsten Hinterlassenschaften diverser Wohnungsteilungen und Hinweise auf verschiedenste Bauzustände, die bis in die Entstehungszeit des Gebäudes zurückgehen. Schon deswegen muß man das ACUD mögen. In einer Zeit, in der alle Spuren vorherigen Lebens in Berlin-Mitte dem Verschönerungszwang und dem Bedürfnis der Betuchteren nach sauberen Gründerzeitkulissen zum Opfer fallen, ist das ACUD eine Oase, in der es zwar durch die brüchigen Fenster zieht und nach altem Haus riecht, aber die Geister der früheren Bewohner noch äußerst lebendig im Haus herumschwirren.

Die Geschichte des Hauses Veteranenstraße 21

Die Veteranenstraße wurde 1874 als Verlängerung der Invalidenstraße angelegt und bekam am 22. November 1875 ihren Namen. 1878 waren sechs der 28 Grundstücke der Straße noch im Rohbau. Diese Baustellen, auch die schon fertiggestellte Nr. 21, damals 22, gehörten allesamt dem Rittergutsbesitzer Klau, der sie parzellieren und bebauen ließ, um sie kurze Zeit später gewinnbringend zu verkaufen.

Die Veteranenstraße 21 hatte 1878 nur 14 Haushaltsvorstände. Durch eine höhere Grundstücksverdichtung erhöhte sich die Zahl bis 1910 auf 31, durch notbedingte Wohnungsteilungen bis 1929 auf fünfzig. Wenn man bedenkt, daß auf einen Haushaltsvorstand im Schnitt drei Personen kamen, lebten in den dreißiger Jahren ca. 150 Personen im Haus. In den Erinnerungen von Herrn D. fühlten sich die Wanzen am wohlsten, die sich nie vollständig ausräuchern ließen, weil sie hinter den Tapeten saßen.

Herr D. lebte von 1936 bis 1955 im Quergebäude des Hauses (heute ACUD) im 2. Stock links. Die Wohnung war geteilt. Die Familie wohnte zu viert im vorderen Teil der Wohnung, in einem Zimmer mit Küche. Der hintere Teil bestand ebenfalls aus einem Zimmer mit Küche. Gegenüber hatte man sogar drei Teilwohnungen aus einer gemacht, darunter eine Kochstube. Die fünf Haushalte teilten sich ein Außenklo.

Über die Jahrzehnte gab es viele unterschiedliche Gewerke in den Erdgeschoßzonen des Hauses und in den Werkstätten des 2. Hinterhofes. Wie in der ganzen Straße dominierte auch hier das Möbelhandwerk, aber auch Fuhrhandlungen verschiedenster Besitzer hatten im Haus ihre Unterstände für Tiere und Wagen, eine Molkerei hielt sich über Jahrzehnte. Der letzte Möbelunternehmer in den vierziger Jahren, so erinnerte sich Herr D., verdiente viel Geld damit, daß er die Möbel der emigrierten oder deportierten Juden für wenig Geld kaufte und mit Gewinn weiterveräußerte.
1931 hatten noch 50 Familien jüdischen Glaubens in der Veteranenstraße gewohnt, ein Viertel der Häuser, auch die Nr. 21, war in jüdischem Besitz. Die meisten waren zu arm, um zu emigrieren. Sie wurden in die Vernichtungslager deportiert, nur wenige konnten sich verstecken.

Bei dem zweiten großen Bombenangriff auf Berlin in der Nacht vom 23. zum 24.11.1943 wurden die vier Vorderhäuser Nr. 18-21, zerstört, als ein britischer Bomber auf die Straße stürzte und vor der Toreinfahrt der Nummer 21 explodierte. Keines der zerstörten Häuser der Straße wurde 1945 für wiederaufbaufähig erklärt. Bis heute befindet sich auf der linken Seite des Vorderhausgrundstückes der Nr. 21 der mit Trümmerschutt verfüllte Luftschutzkeller.

Was ein Grundbuch erzählt

1889 erwirbt der Korbfabrikant Gustav Wittstock das Grundstück Veteranenstraße 21. Auf dem Hof betreibt er eine kleine Fabrik, in der Blumenkörbe hergestellt werden. Nach dem Tod von Gustav Wittstock erbt seine Frau das Grundstück. Am 24. November 1925 bekommt der jüdische Molkereibesitzer Heinrich Enoch den Zuschlag für das Haus, ins Grundbuch eingetragen wird er am 7. September 1926.

In den folgenden Jahren muß Enoch mehrmals Darlehenshypotheken auf das Haus aufnehmen. Schon vor 1933 ist das Grundstück überschuldet. Ein Teil der Schulden wird im Dezember 1933 an die Volksbank Iwria e.G.m.b.H., die größte jüdische Kreditgenossenschaft in Berlin, abgetreten. Im gleichen Jahr wird die Zwangsverwaltung angeordnet, am 16. März 1935 die Zwangsversteigerung. Alfred Karg ersteigert am 10. Juli 1935 das Haus als Meistbietender für 98000 Reichsmark als Bargebot. Ins Grundbuch eingetragen wird er am 13. November 1936. Zu dieser Zeit lebt Heinrich Enoch nicht mehr in Deutschland, sondern im polnischen Kattowitz.

Die Rechtssprechung der Wiedergutmachungsgerichte oder auch des Bundesgerichtshofes (BGH) sieht Zwangsversteigerungen von Firmen mit jüdischen Eigentümern noch nicht per se als verfolgungsbedingten Vermögensverlust an. In einem Brief der Jewish Claims Conference vom 13. Januar 1992 an den Kunstverein ACUD gaben die Verfasser des Briefes allerdings zu bedenken, daß Enoch nach 1933 keine Möglichkeit mehr zur finanziellen Gesundung hatte. Neben den Erben des Kaufmanns Enoch erhoben die Erben eines weiteren Mannes seit der Änderung der Eigentumsverhältnisse in der ehemaligen DDR Anspruch auf das Grundstück: die Erben des Regierungsbaurates a.D., Friedrich Corts, der am 20. Februar 1937 beim Notar des Kammergerichts, Hinz, in der Charlottenstraße den Kaufvertrag für das Haus unterschrieb. Corts übernimmt die für das Berliner Pfandbrief-Amt eingetragenen Hypotheken über je 45000 Goldmark nebst den Zinsen und Nebenleistungen in Anrechnung auf den Kaufpreis. Die für die Iwria Bank e.GmbH eingetragene Hypothek wird am 29.Oktober 1938 an die jüdische Gemeinde überschrieben. Die muß die Hypothek am 12. Dezember 1940 an die ominöse Firma Allgemeine Immobilien-Gesellschaft abtreten. Nach dem Tod von Corts wird das Haus 1940 seinen drei Erben überschrieben, die nach dem Krieg in Westberlin lebten.

Nach dem Krieg gehen die Tilgungen an Banken bzw. an die Sparkasse Berlin, die mit der "Verordnung des Magistrats von Groß-Berlin zur Förderung der Instandsetzung beschädigter Wohn- und Arbeitsstätten" vom 16.Oktober 1950 die Wertpapiere für den Wiederaufbau verwendet.

Aufgrund eines Ersuchens vom 6. Juli 1978 geht die Veteranenstraße 21 in die Verwaltung der Kommunalen Wohnungsverwaltung Mitte über. Ebenfalls auf Ersuchen wird das Haus 1984 zum Volkseigentum erklärt. Wahrscheinlich dachten weder die Erben noch die Behörden in der DDR, daß sich die Verhältnisse noch jemals ändern würden.

In der dürftigen Nachkriegsbauakte des Hauses liegen die fertigen Pläne und Unterlagen für eine komplexe Modernisierung des Quergebäudes nach 1986. Als Kosten waren 463.000 Mark veranschlagt. Auftragnehmer sollte der VEB Baureparaturen Berlin-Mitte sein. Zu diesem Zeitpunkt lebten im Haus nur noch vier von 14 Mietparteien. Nach der Modernisierung sollten alle Wohnungen Bäder und Gasdurchlauferhitzer erhalten. Dazu kam es nicht mehr. Den Grund kann man nur erahnen - es wird ein finanzieller gewesen sein. Offensichtlich wurde kurze Zeit später der Abriß favorisiert. Am 3. Mai 1989 wurde das Grundbuch weisungsgemäß geschlossen und alle Schulden gelöscht.

ACUD akut bedroht

Nach der Wende wurde das leere Haus vom Kunstverein ACUD e.V. unter Duldung der Kommunalen Wohnungsverwaltung übernommen. Seit 1993 gibt es einen Vertrag mit der Nachfolgerin, der WBM.

Die Landesbank Berlin besann sich nach der Einführung bundesdeutscher Eigentumsverhältnisse, daß sie vor der Grundbuchschließung eine Hypothek am Haus hatte.

Erst 1999, nach jahrelangem Rechtsstreit, wurde die Rückübertragung an die in den USA, Argentinien und Israel lebenden Erben des Kaufmanns Heinrich Enoch rechtskräftig. Sie wollten verkaufen, der Kunstverein ACUD wollte kaufen und machte den Eigentümern Anfang 1999 ein Angebot über 660000 Mark, inklusive der 60000 Mark Schulden bei der Landesbank. Es kam zu keiner Einigung, und ein Berliner Makler, der auf den schönen Namen Matthias Freiherr Teuffel vom Birkensee hört, übernahm Maklervollmacht und Verwaltung des Hauses. Seine erste Tat war, dem Kunsthaus ACUD den Vertrag zu kündigen. Gleiches hatte die WBM im Sommer 1999, kurz vor der Übergabe der Verwaltung, auch schon versucht. Beide scheiterten an Formfehlern, und der Vertrag verlängerte sich automatisch bis Dezember 2000. Im November 1999 ging das ACUD an die Öffentlichkeit und rief zu Spenden von 3000 x 100 Mark auf. Immerhin stünde mit einem Verlust des Kunsthauses nicht nur die Kunst, sondern auch vielfältige Sozialarbeit auf dem Spiel. Der Verein wird demnächst die ACUD GmbH & Co. KG gründen. Für 1000 DM können Einzelpersonen Anteile an der Kommanditgesellschaft erwerben. Geld, das dringend gebraucht wird. Denn mit dem Kauf des Hauses wäre noch nichts getan, es muß auch - behutsam - umgebaut werden, um wirtschaftlich sein zu können.

Im Dezember 1999 aber trat die Münchner Immobilienfirma Villa Buch auf den Plan und suchte nach einer weiteren Perle für die Kette ihrer Immobilien. Das ACUD erhöhte auf 700000 DM, Villa Buch legte noch einmal 50000 drauf, bis es endlich gelang, den Makler davon zu überzeugen, erst einmal ein Wertgutachten zu erstellen, dessen Einsichtnahme dem Verein allerdings bisher verweigert wurde.

Das letzte Angebot des ACUD sind 800000 DM. Das wird, so hofft ACUD-Geschäftsführerin Jutta Braband, endlich das letzte sein.


Annett Gröschner

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