Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Alles kann ja irgendwann und irgendwie mal wichtig sein

Der Berliner Datenschutzbeauftragte legt seinen Jahresbericht 1999 vor

Videoüberwachung wird immer heftiger als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung gefordert. Ob in Bahnhöfen, U-Bahnen, Bussen, Sozialämtern, Schulen, Krankenhäusern, auf öffentlichen Straßen, ja sogar auf Kinderspielplätzen - überall scheint eine Beobachtung durch Kameras als Allheilmittel gegen jegliche Art von Bedrohungen und Ängste gesehen zu werden.

Ein Bewusstsein für die Unverletzlichkeit der Persönlichkeitsrechte scheint kaum vorhanden. In Köln lassen sich zehn Männer und Frauen sogar freiwillig in einen Container ein-schließen, um sich rund um die Uhr von einem Fernsehsender überwachen zu lassen. Seltsamerweise ging deswegen ein Aufschrei der Empörung durch die Gesellschaft, wogegen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze nicht nur klaglos hingenommen wird, sondern teilweise sogar gefordert wird.

Video kills the Privatsphäre

Auch der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka bedauert, dass "das Bewusstsein über den Wert der Privatsphäre nicht überall hinreichend entwickelt ist." Bei der Vorstellung seines Jahresberichts 1999 wies Garstka darauf hin, dass die Kameras immer besser, billiger und kleiner und damit für eine verdeckte Überwachung zunehmend tauglicher werden. Das verleitet dazu, immer mehr zu überwachen. Die Gesetzeslage hält der Datenschutzbeauftragte für äußerst unbefriedigend. Eine Beobachtung ist bei der Abwehr konkreter Gefahren und zur Wahrung des Hausrechts zulässig. Doch der Interpretationsspielraum, wo etwa eine Gefahr "konkret" wird oder ob sich das Hausrecht auch auf den Gehweg vor dem Haus erstreckt, ist groß.

Schutz durch Abstinenz

Besonders schwierig ist es, im Bereich der Informationstechnologie Datenschutzprinzipien durchzusetzen. "Jeder, der das Internet nutzt, hinterlässt eine intensive Datenspur. Viele versuchen, Datenprofile von Nutzern von Internetsuchmaschinen von den jeweiligen Betreibern abzukaufen", führt Garstka aus. Diese Nutzer könnten dann ganz gezielt mit Werbung bombardiert werden. "Sie können sich als Internetnutzer nur durch Abstinenz schützen", meint ein Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten.

Im vergangenen Jahr ging beim Datenschutzbeauftragten eine Vielzahl von Beschwerden über die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) ein. Zwischen den Einwohnermeldeämtern und der GEZ gibt es einen regen Datenaustausch. Mit den Meldeadressen schwärmen die Gebührenfahnder aus, um straßenzugsweise zahlungsunwillige Rundfunkteilnehmer aufzuspüren. Garstka hält dieses Verfahren für "unglücklich" und schlägt vor, die GEZ abzuschaffen und stattdessen eine Steuer zu erheben.

Gedankenlosigkeit

Viele Fälle aus dem Datenschutzbericht zeugen von einer erschreckenden Gedankenlosigkeit beim Umgang mit personengebundenen Daten. So erhielt ein gewalttätiger Ex-Ehemann die geheime neue Adresse seiner ehemaligen Ehefrau bei der Meldestelle des früheren Wohnortes, weil Auskunftssperren für gefährdete Personen nicht zurückgemeldet werden.

Nach wie vor gibt es jede Menge Reibungspunkte zwischen dem Datenschutz und der Berliner Polizei. Mit der Einführung der Schleierfahndung darf die Polizei nun im gesamten Stadtgebiet jeden Bürger ohne Verdacht kontrollieren - für die Datenschützer ein "höchst bedenklicher Schritt".

Empfehlung zum Löschen

Darüber hinaus hat die Polizei ihre langen Speicherfristen nicht wesentlich verkürzt. Nicht nur die Daten von Tätern schlummern bis zu zehn Jahren in den Polizeicomputern, sondern auch die der Opfer. Auch Daten ehemaliger Tatverdächtiger, die vor Gericht freigesprochen wurden, will die Polizei nicht löschen. "Polizisten speichern, was sie wissen, elektronisch ein. Alles kann ja irgendwann und irgendwie mal wichtig sein", sangen "Extrabreit" Anfang der achtziger Jahre. Hansjürgen Garstka würde gern den Datensparsamkeitsgrundsatz "Wer nicht löschen will, muss büßen" durchsetzen. Doch seine Macht ist nur begrenzt: "Wir haben zur Verbesserung des Datenschutzes verschiedene Anregungen und Empfehlungen gegeben, denen der Polizeipräsident von Berlin fast durchgängig nicht folgen will", heißt es in Garstkas Bericht.

Jens Sethmann

erhältlich beim Berliner Beauftragten für Datenschutz und Akteneinsicht, Pallasstr. 25/26, 10781 Berlin oder im Internet: www.datenschutz-berlin.de

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