Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Damals, am Baggersee

Francois-Michel Pesenti sieht die Liebe archäologisch und gräbt für die DT-Kammer "Aminta" aus

Neulich auf dem Schulhof: Aminta will mit Silvia gehen, darf aber keiner wissen, außer dem besten Freund Thyrsis, der prompt bei Daphne mal die Lage abcheckt, die auch gar nicht versteht, warum Silvia so rumzickt, selber im übrigen auf Thyrsis steht und dem erst mal steckt, dass die Mädels sich nachmittags am Baggersee treffen, zum Baden, nackig sogar. Kann man doch mal vorbeischauen, kein Ding. Aber Aminta ist gar nicht so cool, er will nicht zum Baggersee, er will lieber Selbstmord machen. Warum nur?

Endlich haben die neuen Kammerspiele des Deutschen Theaters den Betrieb aufgenommen, ein wenig verspätet - die neue Mitte, die neue Schaubühne und die neue CDU sind ja längst bei der Arbeit - dafür aber mit einem seltenen Faible für reine Leidenschaft. Unter der Ägide des Tandems Otteni/Baucks stürmt und drängt es wie lange nicht, mit Hingabe werden Herzen ausgeschüttet und Verse gedrechselt, als verhieße der neue Paarungswille gleich auch die Heimkunft der Wahrheit an und für sich. Und die bizarre Gruppensymbiose in Musils "Die Schwärmer" etwa, dem Auftakt nach der Neueröffnung, elektrisiert tatsächlich - durch die abseitige Exklusivität eines über-feinsinnigen, fast pathologischen Gebarens.

In "Aminta", dem 500 Jahre alten Hirtenspiel des Renaissance-Dramatikers Torquato Tasso, kommen die Protagonisten so exklusiv daher wie in einer Bravo-Love-Story. Im Leid der Minne, zufällig über einen pubertierenden Hirten gekommen, offenbart sich menschliches Schicksal als göttliches Missgeschick - Amor hat einen Pfeil verloren. Heute wäre das ein Fall für den Bravo-Psychologen.

Also Aminta, wieso nicht zum Baggersee? "Ich tat nie etwas, was ihr missfiel", bekennt der Knabe und jammert: "Weib zu sein verwehrt sie sich, denn sie versagt das Mitgefühl." Da kann Daphne bei der Angebeteten intervenieren wie sie will ("Besinne dich, Närrin die du bist"), Silvia meint: "Jeder rette sein Leben wie er kann." In dieser Art halten die Liebestollen Besprechung - auf einer kahlen Bühne, die eine riesige baldachinartige Dunstabzugshaube überwölbt.

Nun ist es keinesfalls ehrenrührig, die Leiden der Liebe als reines Destillat und in antiquierter Manier auf die Bühne zu hieven. Doch es befremdet zweierlei: Zum einen, dass sämtliches Sehnen göttlich determiniert ist, zum anderen, dass eigentlich einer Annäherung nichts im Wege steht - außer Amintas Angst vor einer Abfuhr durch Silvia, die sich hart, undurchschaubar und selbstbestimmt gibt. Früher Feminismus oder die Ursuppe des Machismo? Kollege Shakespeare, übernehmen sie.

Klemens Vogel

Aminta von Torquato Tasso, DT-Kammerspiele, 30.3., 11.4, 20.4., fon 28441222

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 03 - 2000