Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Habt Ihr Euch das gut überlegt?

Ich weiß nicht, wie es bei Euch ist, bei uns ist es so: Der Fernseher wird abgeschafft. Das ist eine Technologie aus dem letzten Jahrhundert, das wird nun abgeschafft. Die im Fernsehen merken´s ja auch, dass sie von gestern sind und werden panisch und immer blöder. Wenn man zum Beispiel nachmittags fernsehen will... (Das sag ich mal so als Arbeitsloser, oder Arbeitssuchender sollte ich sagen - nur ernstgemeinte Angebote bitte direkt an: hans.duschke@prenzl.net), nachmittags gibts nur Talkshows. Das sitzen ausschließlich Bekloppte. Und abends kann man in den Comedy-Sendungen die lustigsten Worte aus den Nachmittagssendungen sehen und hören: "Maschendrahtzaun" und "Knallerbsenstrauch". Das ist wohl auch lustig, keine Frage, aber wieso taucht die Frau im rosa Trainingsanzug täglich auch in den Nachrichten der Privatsender auf? Ist Volksverdummung kein Verbrechen?
Und in den ernsthaften Talkshows im III. Programm wird Stefan Raab gelobt, weil er so erfolgreich ist. Von Rudi Carell. Nee, so ein ödes Leben will ich nicht, dass mich sowas interessiert (wenn man mich nicht gut dafür bezahlt).
Der Fernseher wird also abgeschafft. (Manfred Krug hat angeblich sogar kein Telefon, aber der ist auch auf einer viel höheren Bewusstseinsstufe wie ich und kann sogar Gedichte schreiben.)

Zum Abschied noch einmal die 20er-Kanäle durchgeschaltet. FAB zeigt ein interaktives Computerspiel, man kann 0190 anrufen und per Telefon-Tastatur mitspielen und wertvolle Preise gewinnen. 8.-12. Preis: Ein Designer-Profi-Funkwecker. Viele Stunden wertvoller Lebenszeit hab ich schon in stiller Meditation vor diesem Bild verbracht.

Nun aber wollen wir den Fernseher gegen ein Kind austauschen. Nur was für eins, ist uns noch nicht klar.

Bei Viva rappen drei dicke, deutsche Kinder und zerschlagen dabei Garten-zwerge mit dem Vorschlaghammer. "Wir sind die Zukunft. Ich seid Geschichte." heißt ihr Refrain, ansonsten wird tüchtig auf die Elterngeneration geschimpft: "Auf Euch da scheiß ich, Ihr so Mitte 30." Was is? Meint der etwa mich? Ich hör genauer hin; was wollen denn die jungen Leute heutzutage, das will man doch wissen.

Sie wollen, ich darf das hier mal so zusammenfassen, nicht so werden, wie ich geworden bin, und sie wollen tun, was sie tun wollen. Ohne Kompromisse. Und ernst genommen werden.
Ich sage: bitteschön, wie ernst nimmst du deinen 10-jährigen Bruder? So ernst nehm ich dich. Und wenn du mit mir sprichst, dann nicht in diesem Ton. Alles klar? Na also. Ansonsten: weitermachen. Höflich werden.

Ne, so ein Kind wollen wir nicht. Schnell sind meine Frau und ich uns einig. Wenn, dann nur so ein ganz kleines, eines, das noch niedlich ist.

Kaum ein halbes Jahr später besuchen wir einen Vorbereitungskurs. Noch sind wir zu zweit, aber nicht mehr lange. Man sieht´s an dem Fußball, den meine Frau unter dem Pullover mit sich herumträgt. An der Charité laufen zwei Kurse parallel, wir werden in den für alte Eltern eingeteilt. Sechs Paare, mit uns sieben. Sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen hier... oder nein: doch alle gleich! Ein Beruf wurde gefunden, eine Wohnung auch, die Inneneinrichtung ist abgeschlossen, in Urlaub waren sie auch; jetzt wird die Wohnung mit schnell wachsendem Sinn gefüllt.

"Jetzt oder nie", das ist vor allem den Frauen anzumerken. Ab 30 ist die Erstgebärende ein Risiko. In einem fensterlosen Raum sitzen wir auf Matten und lassen uns in die letzten Geheimnisse des Geburtsvorgangs einweihen. Aus der Frau tritt abwechselnd weiße, gelbe und rote Flüssigkeit aus. Dann können - wenn die Frau es wünscht - Schmerzmittel direkt in die Wirbelsäule gespritzt werden, und da ist der kleine Racker schon.

Nun ist es an mir, die Nabelschnur durchzuschneiden. Mit einer Schere. Das wusst ich schon. Aber was geschieht mit dem Rest, der noch am Baby dran ist? Wird daraus später der Penis? Nein. Dieser Rest trocknet ein und fällt nach ein bis zwei Wochen ab wie ein Blatt vom Baum im Herbst.

Um den Po des Babys trocken zu bekommen, empfiehlt die Hebamme den Einsatz eines Föns. Doch obacht, wenn es sich um einen Jungen handelt: Wenn der in den Fön pinkelt, findet man sich schnell wieder auf der Witzseite des Tagesspiegel (hinzu kommen die nicht unbeträchtlichen Begräbniskosten).


Hans Duschke

Warum dann doch alles ganz anders gekommen ist und ob wir unser Umtauschrecht in Anspruch genommen haben, erfahrt ihr beim nächsten Mal.

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