Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
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Weihnachtsmänner gegen soziale Verelendung

Quartiersmanagement Boxhagener Platz - eine Zwischenbilanz

Vor rund einem Jahr wurde in 15 so genannten Problemkiezen Quartiersmanager eingesetzt, um soziale Spannungen, den Fortzug von Familien und die Verwahrlosung des öffentlichen Raums zu stoppen, - unter anderem auch im Gebiet um den Boxhagener Platz in Friedrichshain. Das erste Jahr ihrer Arbeit bewerten die Quartiersmanager als erfolgreich. Die Skeptiker sehen sich in ihrer anfänglichen Kritik hingegen bestätigt.

1998 stellten die Studie "Sozialorientierte Stadtentwicklung" des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und der Sozialstrukturatlas in bestimmten Vierteln Tendenzen der "Verslummung" fest. Bei aller Fragwürdigkeit des Häußermann-Gutachtens - ein hoher Ausländeranteil gilt dort bereits als Anzeichen von sozialen Problemen - war es für den Senat Grund genug, ein neues Instrument aus der Taufe zu heben, dessen Name Professionalität, Erfolgsorientierung und Effizienz verspricht: das Quartiersmanagement. Zehn der 15 "Problemgebiete" fielen in die Zuständigkeit des damaligen Bausenators Jürgen Klemann (CDU), fünf in die des Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD), der mit ungleich größerem Öffentlichkeitsaufruhr das Quartiersmanagement propagierte. Nach dem Zusammenschluss der beiden Senatsressorts ist Strieder nun für alle Quartiersmanagementgebiete federführend.

Mit seinem Medienrummel hatte Strieder die Erwartungshaltung an die Quartiersmanager extrem hochgeschraubt. Die Manager sollten in großem Umfang Fördergelder von der EU in die Kieze lenken, den Bewohnern Arbeits- und Ausbildungsplätze besorgen und mit Kampagnen das Image der benachteiligten Stadtviertel aufpolieren, damit sich die Leute wieder mit ihrem Wohnumfeld identifizieren und Initiative ergreifen. Kurz: Die Manager sollten im Stile eines Entwicklungshelfers die Anwohner dazu anleiten, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.

Muss das Rad neu erfunden werden?

Dagegen regte sich in den Vierteln, in denen Strieder für sein Management wortreich warb, sofort Unmut und Misstrauen - darunter auch am Boxhagener Platz. Wer will sich schon gerne managen lassen? Kritik gab es vor allem von den Initiativen und Projekten, die in den betroffenen Quartieren bereits arbeiteten. Der Sozialhilfeverein "Hängematten" oder der Mieterladen fühlten sich beispielsweise in ihrer Arbeit von der Sparpolitik des Senats jahrelang behindert. Plötzlich wurden ihnen vom dafür verantwortlichen Senat Manager vor die Nase gesetzt, die das Rad neu erfinden sollen. Am Boxhagener Platz sind es gleich vier Quartiersmanager: zwei von der Mieterberatungsgesellschaft ASUM, und je einer vom Büro für Wirtschafts- und Projektberatung sowie von der "Kairos Organisationsberatung".

Im krassen Gegensatz zu den großen Aufgaben, die die Quartiersmanager erledigen sollen, steht ihre finanzielle Ausstattung. Jedes Quartiersmanagement erhält jährlich 300 000 Mark. Für konkrete Maßnahmen im Kiez steht hingegen nur ein Aktionsfonds mit jährlich 30 000 Mark zur Verfügung. Bei der Frage, wie dieses Geld verteilt werden soll, dürfen die Anwohner in einem Vergabebeirat mitreden.

Probleme längst bekannt

Im vergangenen Jahr wurden aus diesem Topf ein Weihnachtsmann, der auf dem Wochenmarkt Süßigkeiten verteilt, eine Adventswerkstatt, eine Kiezzeitung, eine Gesundheitsberatung, ein Tag- und Nachtcafé für Obdachlose, ein Fest des Migrantenbeirates und ähnliches finanziert bzw. bezuschusst. Weitere, wirklich greifbare Ergebnisse können die Quartiersmanager - mehr als ein halbes Jahr, nachdem sie ihre Arbeit aufnahmen - noch nicht vorweisen. Vorrangiges Ziel sei es zunächst gewesen, im Viertel bekannt zu werden, so Quartiersmanagerin Erika Hausotter. Dieses Ziel habe man erreicht.

Außerdem ging es darum, die Sorgen und Nöte der Kiezbewohner kennenzulernen. Mit einem eigenen Stand ziehen die Manager regelmäßig auf den Wochenmarkt am Boxhagener Platz und suchen das Gespräch mit den Menschen. Zu diesem Zweck wurde im November auch ein Bürgerforum einberufen. Die Ergebnisse der Befragungen können nicht verwundern. Die Probleme, die die Leute im Kiez bewegen, sind offensichtlich und landläufig bekannt: Armut, die Mietenentwicklung, Jugend und Schule, der überbordende Autoverkehr sowie Hunde und Hundekot auf den Straßen und Plätzen.

Es fehlt Geld

Die Möglichkeiten der Quartiersmanager, dagegen etwas zu bewirken, sind gering. Sie können schwerlich gesamtgesellschaftliche Probleme wie Verarmung oder Erwerbslosigkeit lösen oder die Mietsteigerungen stoppen. Auch den maroden Zustand mancher Schul- und Kitagebäude werden sie höchstens ansatzweise beheben können, und für verkehrsberuhigende Maßnahmen gibt es vom Senat schon lange überhaupt keine Mittel mehr. Was bei diesen Themen fehlt, ist nicht Bürgerengagement, sondern schlicht Geld. Der Senat stiehlt sich aus der Verantwortung für seine ureigensten Aufgaben und verweist darauf, man könne ja bei der EU Fördergelder beantragen.

Für Verbesserungen des Wohnumfeldes haben sich einige Bewohner zur Arbeitsgruppe Kiezgrün zusammengeschlossen. In diesem Jahr sollen Bäume an der Wühlisch-, Scharnweber- und Glatzer Straße gepflanzt und das WC-Häuschen auf dem Boxhagener Platz wiedereröffnet werden. Auch die Umgestaltung des Wismarplatzes soll in Angriff genommen werden, doch Antragstellung und Mittelbewilligung dauern sicher ein paar Jahre, so Quartiersmanager Michael Stiefel. Mit einem Senatssonderprogramm sollen darüber hinaus Hofbegrünungen bezuschusst werden. Quartiersmanger Tilo Tragsdorf schätzt, dass die Mittel im Jahr 2000 für sieben bis acht Wohnhöfe reicht.

Kampfhundekonfliktvermittlung

Auch für das Problem der Hunde auf dem Boxhagener Platz hat sich eine AG gegründet, in der sowohl Hundefreunde als auch Hundegegner sitzen. "Ein schwerwiegender Konflikt, der noch ausgetragen werden muss", meint Erika Hausotter, die zu vermitteln versucht. Doch spätestens nach dem tödlichen Unfall (siehe untenstehenden Artikel) dürfte es da nichts mehr zu diskutieren geben. Bedrohungen durch Kampfhunde kann man ebensowenig tolerieren wie Bissschäden an Bäumen und Hundehaufen auf dem Rasen. Auf dem Platz herrscht Leinenzwang und die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner haben die Hundehalter ohnehin zu beseitigen.

Kritiker des Quartiersmanagements wie Heike Weingarten vom Mieterladen halten an ihren grundsätzlichen Bedenken fest. "Aber wir haben keine Lust mehr, uns am Quartiersmanagement abzuarbeiten", sagt sie, "es gibt im Kiez wirklich Wichtigeres zu tun."

Senator Strieder erkannte in seiner Zwischenbilanz hingegen im Quartiersmanagement schon ein "vielversprechendes Instrument". Er kündigte an, in fünf weiteren Gebieten ein Management einzusetzen. An welchen Standorten, steht noch nicht fest.
Jens Sethmann

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