Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
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Narrenkappe mit rosa Winkel

Schwule Autoren erinnern an Detlev Meyer

Der Anlaß war ein trauriger. Seinen 50. Geburtstag, an dessen Vorabend man zu einer Hommage an Detlev Meyer in die literaturWERKstatt lud, hat dieser nicht mehr erlebt. Im Oktober vergangenen Jahres erlag der Berliner Schriftsteller den Folgen einer HIV-Infektion. Auf dem Podium saßen am 12. Februar wieder einmal die, die man als Berlins berufsschwule Autoren bezeichnen könnte: Mario Wirz, Michael Sollorz und Christoph Klimke. Im Jahr zuvor hatte, noch unter Mitwirkung von Detlev Meyer, am selben Ort eine "gay poetry Nacht" in ähnlicher Besetzung stattgefunden. Der "einzige Dandy der deutschen Gegenwartsliteratur", wie der Verstorbene genannt wurde, war sicherlich der brillianteste Kopf in dieser Riege von Autoren, zu der man noch Napoleon Seyfarth und Micha Schmidt zählen könnte oder Karen-Susan Fessel als lesbische Vertreterin. Sie schreiben häufig Geschichten und Kolumnen in jenen kostenlosen Magazinen, in denen um die schwulen Konsumenten von Nachtleben, Lifestyle und Trash-Kultur geworben wird und sie veröffentlichen in Verlagen wie rosa Winkel oder Männerschwarm Skript. Das heißt: Sie werden im Literaturbetrieb außerhalb der schwulen Verlage und Buchhandlungen nur sehr bedingt wahrgenommen. Von Schriftstellern wie Christoph Geiser oder Josef Winkler, die ihnen ja thematisch durchaus nahestehen, unterscheiden sich die Berufsschwulen dadurch, daß sie sich mit ihren Texten ganz bewußt in diesen Rahmen stellen. Was auf den ersten Blick wie ein Emanzipationsschritt aussieht, endet in der Selbstbespiegelung der "Community". Wenn dann in einem Text von Tom´s Bar die Rede ist, kichern die Zuhörer verständig - Zuhörer, denen man im übrigen mit größerer Wahrscheinlichkeit in dieser Kneipe wiederbegegnen wird als auf einer anderen literarischen Veranstaltung.

"Wenn meine Literatur schwul ist, dann ist ´Der Butt´ von Günter Grass, Sie verzeihen, Herr Präsident, ein heterosexuelles Kochbuch." Mit dieser Klarstellung wollte Detlev Meyers Alter ego Dorn der Akademie der Künste die Stirn bieten. Es ist aber doch so: Es gibt den Literaturbetrieb und es gibt ein literarisches Minderheitenprogramm "für Schwule". Was in den siebziger Jahren mit Verlagsgründungen als publizistische Selbsthilfe begann, ist heute, da die Reste der Schwulenbewegung zu einer regierungstreuen Lobby verkommen sind, bloß noch die gezielte Belieferung einer Marktnische. Jedem das Seine. Wenn schwule Ästhetik noch etwas Subversives hätte, dann wäre jedenfalls dafür gesorgt, daß niemand davon erfährt. Aber vermutlich hat der französische Romancier Dominique Fernandez mit seiner These recht, eine genuin homosexuelle Literatur habe es nur in den Jahren 1869 bis 1968 gegeben. Am Beginn stünde demnach die identitätsstiftende Erfindung der Kategorie "homosexuell" durch die Medizin, am Ende eine Liberalisierung, die es nicht mehr länger nötig macht, sich literarischer Maskeraden und Codierungen bei der Behandlung schwuler Themen zu bedienen. Nun, Emanzipation hin oder her, es wird weiterhin schwule Bücher geben und Buchhandlungen, wo man neben "einschlägiger" Belletristik Pornos und Gleitcreme kaufen kann. Die pathetischen Gedichte von Mario Wirz und die Geschichtchen von Michael Sollorz mögen ihre Leser finden, auch die immer leichtfüßigen, oft leichtgewichtigen Texte von Detlev Meyer.
Florian Neuner

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