Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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"Ey, wir sind «ne Heavy-Metal-Combo - aber jetzt spielen wir nur noch die Intros"

Iron Henning veröffentlichen ihr drittes Album "Asche und Diamant"

1988, Ostberlin. Hervorgegangen aus der Adlershofer Darkwave-Band Mildernde Umstände, mit Auftrittsverbot belegt, gründen Henning (Texte, Gesang) und Meister Dorschan (Bass) unterstützt von Mr. Fox (Gitarre) und Pit Findig (Schlagzeug) Iron Henning. Die ersten Konzerte finden im Friedrichsfelder Eck sowie im Schmenkel/Baumschulenweg statt. Der Einstufung unterzieht man sich im Frühjahr 1989 im völlig überfüllten Kreiskulturhaus Karlshorst. Für Dorschan, der 1993 nach Chicago emigriert, kommt der Deutschrumäne Mircea Ionascu (Herbst in Peking), für diesen 1996 wiederum Mr. Hit, vormals Sänger und Bassist der Anoraks. Mr. Fox wird 1994 durch Christoph Buntrock (Die Skeptiker) ersetzt. Nach "Poesie der Ekstase" und "Lieder of the Pack" ist die kürzlich erschienene CD "Asche und Diamant" das nunmehr dritte Album.


scheinschlag: Henning, zwischen Aufnahme und Veröffentlichung eurer neuen CD lagen fast 12 Monate. Welche Gründe gab es für diese Verzögerung?
Henning: Wir haben uns in dieser Zeit ein vernünftiges Label gesucht. Bei den verschiedenen Leuten mit denen Kontakt bestand, habe ich nach einiger Zeit unterschieden nach Leuten, die eine alte Dinosaur jr.-Platte im Schrank zu stehen hatten, und Leuten, die sie nicht hatten. Mit letzteren Labelchefs wollten wir dann deshalb nichts zu tun haben, weil sie nicht verstehen und begreifen was wir wollen, was wir bedeuten und wo wir herkommen. Bei der Vermarktung und der Werbung wären wir von diesen Leuten in eine völlig falsche Ecke gesteckt worden. Dieses Chemnitzer Label, Noiseworks Records, bei denen wir jetzt unter Vertrag sind, waren letztendlich diejenigen mit einer alten Dinosaur jr.-Platte im Schrank.

Welche Läden führen "Asche und Diamant"?
Zwei Ketten haben es bisher abgelehnt, die neue Scheibe in ihre Regale zu stellen, da sie die spanischen Katholiken auf dem Cover mit dem Ku-Klux-Klan verwechseln. Man kann denen zwar erzählen, daß wir völlig positiv eingestellte Menschen sind, proletarische Internationalisten, Fackelträger der hoffnungsvollen Musikkultur, aber die haben einfach Angst, daß die Leute die die Band nicht kennen, denken, wir sind rechtsradikal. Deshalb steht "Asche und Diamant" auch nicht bei Saturn. Ab Februar haben wir allerdings eine Website, außerdem gibt es zwei Mailordervertriebe und bei Buschfunk stehen wir jetzt im Katalog. In einigen kleineren Läden gibt es die CD auch seit ein paar Tagen.

Ronald Galenza und Heinz Havemeister haben kürzlich ein Buch unter dem Namen "Wir wollen immer artig sein... Punk, New Wave, Hip Hop, Independent "Szene in der DDR 1980 - 1990" herausgegeben. Auf über 400 Seiten werden Iron Henning aber lediglich nur dreimal kurz erwähnt. Bist du darüber nicht ein wenig enttäuscht?
Dieses Buch hat eine andere Ausrichtung und ist eher als soziologisch anzusehen. Das Hauptaugenmerk sind Punkbands, Künstlerbands - also Jazz und Avantgarde, illegal gedruckte Prenzlauer Berg - Zeitschriften usw.. Um Bands, die politisch nicht so engagiert waren und einfach nur geschmeidige Musik machen wollten, geht es in diesem Buch nicht. Deshalb ist es folgerichtig, das wir da nur kurz genannt werden. Wir waren ja nicht in diesem Sinne Opposition. Natürlich haben wir opponiert, indem wir gestandene DDR-Bands auf die Schippe genommen, karikiert und nachgesungen haben. Ich meine, wenn eine Electra-Nummer Dreck ist, muß man Electra durch den Kakao ziehen. Ansonsten war die alte Führungsriege für uns nicht der Erwähnung wert. Wir haben uns auf das Ästhetische beschränkt, für das andere fühlten wir uns nicht zuständig. Wir haben halt Stern Combo Meißen oder Ost-Heavy-Metal-Bands verarscht, am Anfang noch mit gestreiften Hosen und Lederjacken auf der Bühne. Diese fade DDR-Rockmusik, dagegen haben wir opponiert.

Welches sind die Eckpunkte der musikalischen Entwicklung von Iron Henning und worin siehst du die Stärken eurer neuen Platte?
Wir haben uns anfänglich auf die Bühne gestellt und gerufen "Ey, wir sind «ne Heavy-Metal-Combo" die Hauptausrichtung aber war Indie-Rock, beeinflußt von den Wedding Present, Dinosaur jr. und Hüsker Dü. In irgendeiner Zeitung stand mal, daß wir die "wahren ostdeutschen Hüsker Dü-Epigonen" sind, darüber war die Freude natürlich riesengroß. Mit der Zeit haben wir dann immer mehr deutsche Songs einfließen lassen und waren «94 auf der "Poesie der Ekstase" eher härter orientiert, wollten eigentlich die zeitgemäß harte Musik machen, hatten aber gleichzeitig auch die eher witzigen lokalkolorierten Sachen dabei. Die 1996 erschienende "Lieder of the Pack" stellt diese Ambivalenz noch mal richtig dar: Die A-Seite ist richtig Grunge und auf der zweiten Seite kommen dann die eher witzigen deutschen Sachen. Dann aber haben wir uns gesagt, wir machen jetzt mal eine homogene Platte, in der man sich darauf beschränkt, wirklich originäre Dinge zu tun, wie jetzt z.B. bei dem harten ungarischen Titel "Nincs Semmi Mondanivalonk Egymasnak" aber auch bei Stücken wie "St. Tropez" oder "Weißes Boot" (Coverversion der polnischen Schlagerband Rote Gitarren, Anm. d. Red.), die dann schon eher in Richtung Schlager, 70er Jahre und Sunshine gehen. Gerade diese Brechung ist das Spannende. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, sollten zwischen diesem Schlager/Easy Listening und dem Metal bleiben. Die Sache ist sehr fluffig und homogen und wenn diese blöden CD-Ketten keine Angst vor dem Cover hätten, wären wir jetzt schon etwas reicher.

Neben Iron Henning hast du noch andere Projekte, wie "Der todtraurige Henning" oder "Stalker" zu laufen, außerdem legst du in verschiedenen Clubs Platten auf. Wo setzt du deine Prioritäten?
Das wichtigste ist "Der todtraurige Henning" mit dem ich die meisten Auftritte habe und demnächst auch eine neue Platte mache. Dieses Format kann man mit einem 8mm Film vergleichen, den man aufgrund der Körnigkeit nicht auf 70mm aufblasen kann. Die Songs der Solosache beinhalten Klangstudien, die man einfach nicht mit einer kompletten Rock«nRoll-Band einspielen sollte. Manches Material fand die Band auch nicht so großartig, daß wir es nun unbedingt zusammen spielen müßten. Einen Zentimeter hinter der todtraurigen Sologeschichte kommt dann natürlich Iron Henning, die Konzerte, die Platten ...

Sind deine Songtexte - oft dreht es sich ja um Liebe und Beziehungskram - eigentlich ein Produkt eigener Erlebnisse und Erfahrungen?
Eigene Erfahrungen sind ja entweder Erfahrungen am eigenen Leibe oder das Vorfinden bestimmter Situationen in der Literatur oder im Film. Ich denke, daß Songtexte wie auch Literatur und Film einfach fiktiv sind, man muß sie nur möglichst gut und authentisch machen. Was im Film das Cinema Verite macht oder Bela Tarr in Ungarn möchte ich in der Unterhaltungsmusik machen: Richtig dran sein am Leben, mit der Handkamera bist du richtig drin und dabei! Ich mache die Musik nicht, um mir irgend etwas von der Seele zu schreien oder negative Dinge zu verarbeiten, dafür geht es mir einfach zu gut. Aber man kennt diese Situationen von Freunden, von Bekannten, selbst nach dem Konzert sind schon Leute mit den Worten zu mir gekommen "...dieser Song hat mir aus dem Herzen gesprochen, dies und das ist mir passiert".

Was macht den erfolgreichen Plattenaufleger aus?
Man sollte nicht versuchen cool zu sein, sondern Musik spielen, die die Leute kennen, also das Publikum mit Musik entertainen. Ich kann auch gerne drei Stunden ein Drum n` Bass-Set hinlegen, bloß, wen interessiert das. Wer kennt Roni Size, wer kennt Bill Lasswell oder Clint Mansell? Wer kennt diese Musik? Zumindest in den Clubs, in denen ich arbeite, will keiner nach sowas tanzen. Ich bin echt dafür, diese Doors, The Cure und Bee Gees-Schiene zu fahren weil es den Leuten Freude macht und um so mehr Freude macht es mir auch.

Du legst aber auch bei "Ostrock test the West" in der Kulturbrauerei auf...
Am Anfang fand ich das schon ein bißchen komisch. Ich hab damals noch mit Alex zusammen unter dem Namen "Sküs Nagellackinferno" aufgelegt und wir sind aus dem Duncker, diesem winzigen Club in die Kulturbrauerei gekommen, in die im Sommer bis zu 900 Leute gehen. Das hat uns dermaßen Spaß gemacht, da haben wir uns sogar mit Silly angefreundet. Das Problem am Anfang aber war, daß wir uns erweitern mußten. Die Ostrock-Combos machen ja größtenteils nicht wirklich wertvolle Musik. Die Sachen aus dem Osten, die ich richtig gut fand, wie die erste Puhdys-Platte, einige Stücke von City aber auch die RGW-Mucke, haben für die Disko bald nicht mehr ausgereicht. Da mußten wir uns Musik besorgen, die den Leuten dort gefiel uns aber nicht unbedingt ansprach. Als DJ muß man sich fragen, ob man seine eigene Kiste macht oder ob man die Leute unterhalten will. Wir haben uns für letzteres entschieden. Ich hab mir dann auch eine Rockhaus-CD gekauft und sogar voll dafür bezahlt.

Viele Kapellen aus DDR-Zeiten haben sich aufgelöst, euch gibt es noch, Bands wie "die anderen" haben sich jetzt wieder zusammengetan...
Das hat mich wirklich sehr gefreut. Ich hab "die anderen" wahrscheinlich 15 mal im Konzert gesehen und immer im Stillen und für mich bewundert, ich hab nicht mal getanzt, was ja damals noch üblich war. Dann hab ich Toaster (Olaf Tost, Sänger und Texter bei "die anderen", Anm. d. Red.) im Dezember in einer Kneipe getroffen und kennengelernt. Obwohl es schon spät war und alle nach Hause wollten, haben wir lange miteinander gequatscht und waren uns in vielen Dingen ähnlich und einig, obwohl wir eigentlich völlig verschiedene Musikansätze haben. Das war wirklich toll. Aber ich wollte diese Band auch vorher immer noch einmal sehen.

...und sie spielen demnächst.
Genau. Und zwar am 25. Februar in der Kulturfabrik Lehrter Straße zusammen mit dem todtraurigen Henning. Aus gegebenem Anlaß verlosen wir 3 handsignierte CD«s der neuen "Asche und Diamanten". Interview und Foto:
Christoph Eckelt

Aussagekräftige Antworten mit Bild bitte an scheinschlag/fotoredaktion

Internet: http://www.iron-henning.de

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