Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
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Flimmern im Kloster

Im Ganzen schwer sakral, im Detail auch spannend: Auf der "transmediale", dem Medienkunst-Festival im Podewil, trifft sich die Avantgarde der neuen Kleriker

Heute schon mit Gott telefoniert? Andy Warhol soll es probiert haben, aber es hat wohl keiner abgenommen. Ein klassischer Fall von "disconnected", das falsche Interface für die falsche Verbindung. Der alte Gott war zu jener Zeit schon tot, der neue noch nicht online. Damals gab es noch keine "User" und Warhol selbst war das Medium. Dann kamen die Mikrochips, der erste Personalcomputer, der Apple Macintosh, und die Menschheit teilte sich: in Programmierer und User. Die Erfindung des Users könnte epochal sein, lukrativ ist sie allemal, vergleichbar höchstens mit der frühchristlichen Weichenstellung, in Kleriker und Laien zu unterscheiden. User sind verdammt zu glauben, denn der neue "deus in machina" hält - wie der alte - ihr Leben am laufen: e-mail, On-line-Banking, e-commerce, Schreiben-Basteln-Malen. Der User ist immer der Looser, spätestens beim nächsten "schweren Ausnahmefehler an der Adresse E01AA000 etc.pp". Für die spirituelle Krise, fürs Erhabene zwischendurch, ist den Programmierern jedoch was hübsches eingefallen: die Medienkunst.

Einmal User immer Looser: "We travel around the world of typography." Achim Helmling stellt gerade im Festival-Saal der transmediale seine interaktive CD-ROM zum Buchstabenbasteln vor. Während er erzählt, versucht er per Mauszeiger einen zuckenden Buchstaben auf dem Schirm einzufangen. Wer das nicht schafft, dringt nicht zur eigentlichen Anwendung vor. "Etwas benutzerunfreundlich", kommentiert der Medienjournalist Tilman Baumgärtel, Helming rechtfertigt sich mit dem Spielreiz. Zuckende Buchstaben fangen? Klare Botschaft: Es ist nicht immer der gerade Weg, der zu Gott führt.

Nach der Präsentation strömt das Festival-Volk auf die klösterlich, fast aseptisch anmutenden Flure. Vielleicht zu einer jener interaktiven Installationen: Inmitten eines abgedunkelten Raumes wartet ein monolithischer Tisch darauf, das Menschen die bereitliegenden Kieselsteine intuitiv auf der druckempfindlichen Oberfläche platzieren und so die Projektion beeinflussen. Abstrakte Farbstreifen "morphen" sich auf dem altarähnlichen Quader.

Die sakralen Qualitäten dieses "ursprünglichen Interfaces" (Programmheft) sind unverkennbar. Diese einfache spirituelle Geste des Steine-Arrangierens, auf die neue digitale Transzendenz gerichtet - letzlich verheisst sie die Demokratisierung der Gnosis: nun kann jeder Gott schauen. Und endlich, Gott antwortet. Aber was?

Affen vor dem schwarzen Quader

Seit der Kanadier McLuhan die griffige Formel "the medium is the message" aufstellte, überschlagen sich die Exegeten des User-Zeitalters darin, die sinnlichen und kognitiven Effekte an der Mensch/Medien-Schnittstelle zu benennen. Der Medientheoretiker Norbert Bolz findet etwa, dass sich die spirituelle Energie des Menschen von Stund` an auf die Ästhetik der Oberfläche, auf den schönen Schein richtet -Trend als Religion.

Nett gedacht, nett vepackt. Die Apologeten der digitalen Weltordnung eint eines: die Begeisterung - über die Dummheit des Users. "Auf die Experten kommt viel Arbeit zu", mahnt ein österreichischer Medienprofessor bei einer der Podiumsdiskussionen, Ansonsten inflationiert er vor allem die Worte Komplexitätsanstieg und Schizophrenie. Leidenschaftlich wird gefordert, zur neuen Handy/Internet-Technik künstlerische Statements zu liefern. Maßstab ist der Output der Chipfabriken, Medienkunst ist zuforderst am Machbaren orientiert. Die Avantgarde der Programmierer denkt affirmativ, Kunst als Kritik ist irgendwo in den dialektischen Mühlen der Aufklärung versandet.

Blöd wie die Affen vor dem schwarzen Quader aus dem All in Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" steht so der User in den Andachtsräumen. Über manche Installation könnte einfach gelacht werden, wäre nicht alles von einer Aura des esoterischen Ernstes umflort.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wo mit selbstironischem Witz oder humanem Focus die Potentiale multimedialer Darstellungsformen ausgelotet werden, löst sich die klerikale Geste auf: Etwa bei der studentischen Videoarbeit über die Leiden einer tele-tubby-mäßigen Boy-Group namens "Ron und Leo", wo die generierten Umwelten plötzlich zur Chiffre für das teflonhafte des Show-Biz werden. Oder die Videodokumentationen aus Brasilien über den Bürgerkrieg in den Favelas, wo nicht nur gefilmt, wo auch gefragt wird. Hier wirken die technischen Möglichkeiten nicht als Selbstzweck, sondern als Bedeutungselement der Story. Die Technik im Dienst der Geschichte und der Geschichten, der genuin menschlichen Form, Wirklichkeit zu verarbeiten - vielleicht eine Perspektive, die die neue User-Welt nicht beschneidet, sondern um eine spannende Komponente erweitert.
Klemens Vogel

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