Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1900

24. Februar bis 22. März

Eine interessante Theorie zu Sonnenschein und Influenza stellt der Berliner Arzt Dr. Ruhemann in der "Berl. Klinischen Wochenschrift" auf. Die Ursache für das diesjährige außergewöhnlich heftige Auftreten der Influenza sieht er in dem auffallenden Mangel an Sonnenschein, unter dem wir in diesem Winter, besonders im Januar zu leiden hatten. Ruhemann führt aus, dass Berlin in diesem Januar die geringste Sonnenscheinmenge seit 1893 hat. Nach den registrierenden Aufzeichnungen der meteorologischen Warte in der Seestraße hat die Sonne nur in 9,8 Stunden geschienen, während das achtjährige Mittel für den Monat Januar 36,4 Stunden beträgt. Außerdem kamen die 9,8 Stunden Sonnenschein auf die erste Hälfte des Januar, in der die Influenza-Fälle nicht so reichlich waren, während vom 16. bis zum 31. Januar überhaupt kein Sonnenlicht zu verzeichnen war. Gerade in dieser Zeit wuchs die Epidemie mächtig an. Im Jahr 1889 hatte Berlin 22 sonnenscheinlose Tage, und auch damals trat die Influenza ungemein bösartig in weitem Umfang auf. Die Sonne ist eben der größte Feind der Bakterien, Sonnenlicht wirkt, wie nachgewiesen ist, bakterientötend.

Offenbar schwer krank ist der Arbeiter Br., auch quillt Blut unter seinem Hut hervor. Man holt ihn deshalb vom Verdeck des Omnibusses herunter und ein Schutzmann bringt ihn zur Station. Als ihm dort der Hut abgenommen wird, fallen große geronnene Blutstücke von fast einem Kilogramm Gewicht zu Boden. Zugleich klappt ein Stück Kopfhaut von mehr als Handgröße nach hinten über, so dass die blutige, kahle Schädeldecke sichtbar wird. Die Wunde verläuft vom rechten Ohr um die Stirn herum und dann auf der Mitte des Kopfes weiter.

Trotz dieser Verwundung hatte der Mann die Kraft gehabt, das Verdeck des Omnibus zu erklettern. Auf der Unfallstation müssen dem Verletzten, der wegen des großen Blutverlustes ohnmächtig zu werden droht, Äthereinspritzungen gemacht werden. Der anwesende Arzt bringt Br. nach Anlegung eines Notverbandes zum Elisabeth-Krankenhaus, wo die schwere Wunde genäht wird. Br., der Frau und Kinder hat, befindet sich in Lebensgefahr. Auf welche Weise Br. verunglückt ist, bedarf noch der Aufklärung. Er selbst gibt an, dass ihm von einem Neubau in Schöneberg ein Gegenstand auf den Kopf gefallen sei. Er habe wohl gemerkt, dass er verletzt sei, doch habe er geglaubt, es genüge, wenn er durch Festdrücken seines Hutes versuche, allzu großen Blutverlust zu verhindern.

Wichtig für Rad- und Motor-Fahrer sind die Bestimmungen einer neuen Polizeiverordnung, die soeben für den Gemeindebezirk Grunewald in Kraft getreten ist. Nach der Polizeiverordnung müssen Fahrräder und Motoren sich auf der ihnen rechts liegenden Seite der Fahrstraße halten, eine Bestimmung, welche angesichts der zahlreichen im Grunewald angelegten Mittelpromenaden wohl zu beachten ist. In der Hubertus- und Bismarck-Allee muss beim Fahren der vom Reitweg in der Fahrrichtung rechts liegende Teil der Fahrstraße eingehalten werden. Für den Verkehr von und nach Grundstücken, welche an diesen beiden Straßen liegen, sowie von und nach Seitenstraßen, welche von denselben abzweigen und welche nicht durch den Reitweg geführt sind, ist das Befahren auch des in der Fahrrichtung links vom Reitweg liegenden Teils der Fahrstraße bis zum nächsten Reitwegübergang gestattet. Alles Wettfahren ist verboten. Eine größere Geschwindigkeit als 15 Kilometer in der Stunde, das sind 250 Meter in der Minute (der sogenannte schnelle Trab) ist in den Straßen des Amtsbezirks sowohl für Radfahrer als auch für Automobilisten nicht gestattet. Während der Dunkelheit, also der Zeit, in der die Straßen beleuchtet werden, müssen alle in den Straßen verkehrenden Automobile und Fahrräder beleuchtet sein. Fahrräder, welche geführt werden, brauchen nicht beleuchtet zu sein.

Ein elektrischer Probezug der Wannseebahn fährt nun erstmalig zur Nachtzeit, wenn auf der Strecke der Dampfverkehr ruht. Vom 1. April an soll ein solcher Zug sogar zwischen den Dampfzügen verkehren. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass diese Einrichtung von Seiten der Eisenbahndirektion nur zum Studium des elektrischen Betriebes getroffen wird, und dass man, im Gegensatz zu einer im Publikum vielfach verbreiteten Annahme, gar nicht daran denkt, den ganzen Wannseebahnbetrieb mit der Zeit "elektrisch" umzugestalten. Vielmehr wird, wenn durch den Versuch hinreichende Erfahrungen gesammelt sind, der elektrisch betriebene Zug von der Wannseebahn wieder verschwinden.

Das Gleisdreieck der elektrischen Hochbahn auf dem Gelände des ehemaligen Dresdener Bahnhofes ist eins der interessantesten Bauwerke. Der moderne Schnellverkehr versucht, größte Leistungsfähigkeit mit voller Betriebssicherheit zu verbinden. Für beides sind auf den Bahnlinien direkte Schienenkreuzungen möglichst oder ganz zu vermeiden. Am Gleisdreieck nun zweigt aus der durchgehenden Linie Warschauer Brücke - Zoologischer Garten die nach dem Potsdamer Bahnhof verlaufende Bahnlinie ab. Da diese Linie sowohl nach Osten als nach Westen Anschlüsse erhält, entstehen innerhalb des Gleisdreiecks 3 doppelte Abzweigungen mit 6 Weichen und 3 Gleiskreuzungen. Um diese Kreuzungen zu vermeiden, lässt man die Bahnkreuzungen nicht in gleicher Höhe stattfinden, sondern führt die einzelnen Linien über- und untereinander weg. Auch der Bahhof Gesundbrunnen wurde so umgebaut.
Falko Hennig

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