Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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"Demonstrationsschwindel für Ballermann-Event"
Eine neue Bürgerinitiative will, dass die Love Parade ´99 die letzte im Tiergarten war

Freitags reisen sie an: junge Leute aus allen Teilen der Republik. Ihre Trillerpfeifen künden von der jährlichen Heimsuchung - der Love Parade. Am Samstag ziehen sie dann zu hunderttausenden durch den Großen Tiergarten, um die größte Veranstaltung der Jugend der neunziger Jahre zu zelebrieren. Zum ohrenbetäubenden Beat aus haushohen Lautsprecheranlagen tanzen sie vom Ernst-Reuter-Platz zum Brandenburger Tor. Am Sonntag ist alles wieder vorbei. Zurück bleiben tonnenweise Müll, Fäkalien und ein zerstörter Park.

Techno zurück in die Keller

"Fußball-Treff" heißt eine Eckkneipe in Moabit. Untrügliche Zeichen für gepflegte Gastlichkeit sind die Geweihe an den holzgetäfelten Wänden, die Pokale auf den Simsen und das Fernsehgerät. Eigentlich ist Montag Ruhetag, doch heute, an einem schwülen Tag im August, treffen sich etwa vierzig Bürger, die ein besonderes Anliegen haben: Der diesjährige Rave sollte der letzte im Tiergarten gewesen sein. Der Belästigungen durch eine derartige Mammut-Veranstaltung überdrüssig, gründen sie eine Bürgerinitiative zur Rettung des Tiergarten vor der Love Parade.

Die Versammlung einberufen hat Margarete Pape, eine Mittdreißigerin mit wallenden roten Locken. Sie prangert die Missstände an: Der Tiergarten sei von den Ravern zerstört worden, die Love Parade sei eine rein kommerzielle Veranstaltung von Geschäftsleuten, die keine Jugendlichen mehr seien; außerdem höre man Techno nicht im Park, sondern in Kellern. Man müsse endlich den "Demonstrationsschwindel" und die "Wirtschaftsintrige" aufdecken. Der Tiergarten sei ein Volkspark für alle, aber für ein "Ballermann-Event von Provinztouristen" nicht geeignet. Die Love Parade sei ohnehin "abgegessen".

Abstoßender Körperkult

Der wüsten Polemik Papes gegen CDU, Kommerzialisierung und Etikettenschwindel will das gutbürgerliche Publikum nicht folgen. Die Anwesenden mahnen zur Mäßigung. Aber tief verletzt sind auch sie, und die Zerstörungen im Tiergarten beklagen sie auch. Während des Zuges, so berichten sie, bebten die Wände ihrer Häuser, die Vorgärten würden mit Exkrementen und Kondomen verunreinigt, der Körperkult der Raver sei abstoßend. Insgesamt, so lautet der Tenor, wolle man den Jugendlichen ihre Veranstaltung nicht nehmen, aber sie solle woanders stattfinden, auf dem Olympiagelände zum Beispiel.

Beim Tiergartener Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen, Horst Porath, stoßen die Klagen auf ein offenes Ohr. Er dringe schon seit 1996 darauf, dass sich der Senat alternative Orte für das zerstörerische Spektakel überlege, aber viel könne er nicht ausrichten. Vor allem will er sich weiterhin öffentlich für die Verlagerung des Mega-Events an einen anderen Ort stark machen. Wenigstens habe jetzt der Senat nach jahrelanger Sprachlosigkeit zum ersten Mal erkannt, dass die Love Parade nicht nur Vorteile für Berlin habe, sondern auch Schattenseiten.

Die Bürger im "Fußball-Treff" sind einstweilen optimistisch. Unter ihnen sind erfahrene BI-Aktivisten, auch Bezirksverordnete, die einiges zu berichten haben. Der "Moabiter Ratschlag" wird als Bündnispartner ausgemacht. Weil sie bereits Medienerfahrung gesammelt habe, wählen sie Pape zur Sprecherin. Ein Sprecherrat wird ihr zur Seite stehen. Ein Hut geht herum, man sammelt etwas Startkapital. Dann kann der Kampf gegen den Goliath namens Love Parade beginnen.

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