Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Schöner Wohnen oder Der Traum vom besseren Leben

Vom Eigentumserwerb bis zum gesellschaftlichen Gegenmodell: Motive und Organisationsformen Berliner Wohnprojekte sind sehr unterschiedlich

Die Szene lebt auch 1999: Es gibt immer noch viele Menschen, die ihre Wohn- und Lebensbedingungen selbst gestalten wollen, auch wenn die Rahmenbedingungen und die finanziellen Möglichkeiten es alternativen Hausprojekten nicht gerade einfach machen, die Sache in die eigene Hand zu nehmen.

Die einen wollen einfach nur in ihrem Haus bleiben, das der Besitzer, zumeist eine Wohnungsbaugesellschaft, verkaufen will oder muss. Wenn sie Glück haben, erfahren sie überhaupt davon, bekommen gar ein Kaufangebot für ihre Wohnungen oder das ganze Gebäude. Und was jetzt? Kein Eigenkapital, ein unsaniertes, teils unbewohnbares Haus, Millionensummen sind für Kauf wie Sanierung nötig. Also treiben die Mieter doch Geld auf, über Familie, Freunde, vorzeitig ausgezahlte Erbschaften, finden eine Bank, die Kredit gibt, gründen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und bewerben sich für das Förderprogramm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" - so zum Beispiel die Schwedter Straße 5 im Prenzlauer Berg.

Die anderen haben 1990 ein Haus in Friedrichshain besetzt, um (wenigstens) den Ort, an dem sie wohnen, zum selbstbestimmten Freiraum zu machen die Jessnerstraße 41. Besitzer ist hier die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF). Ab 1992 werden die BewohnerInnen "geduldet", 1994 erhalten sie Einzelmietverträge. 1995 gründen die ehemaligen BesetzerInnen der "Jessi" und zweier anderer Häuser die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft (SOG). Ziel auch hier: Kauf der Häuser und Sanierung im Rahmen der "Wohnungspolitischen Selbsthilfe" - und damit der dauerhafte Erhalt ihres Biotops.

Die dritten suchen nicht nur billigen, selbstbestimmten Wohnraum mit Gleichgesinnten, sondern wollen eine Kommune aufbauen: zusammen leben, arbeiten und wirtschaften. Doch der Weg einer Hausbesetzung ist im Berlin des Jahres 1999 praktisch verschlossen, und das Eigenkapital zum Erwerb eines geeigneten Objekts fehlt auch ihnen. Mietwohnungen oder -häuser für 10 bis 15 Leute plus Arbeitsräume scheint es aber ebenfalls nicht zu geben. Um zumindest mit dem Zusammenleben schon mal anzufangen, mieten sie sich drei teure Wohnungen in der Gürtelstraße 35 in Friedrichshain, finden nach einem Jahr im Sommer 1999 zwei billigere Fabriketagen im gleichen Stadtteil und gründen den Verein "gemein und nützlich e.V.", um die eigentlich als gewerblich ausgewiesenen Räume überhaupt mieten zu können. Ein aufwendiger Umbau ist auch hier nötig, Fördergelder winken erstmal keine.

Selbsterfahrungstrip

Eins haben all diese unterschiedlichen Ansätze gemeinsam: Ein Wohnprojekt von der Idee zur Realisierung zu bringen, ist nicht nur wegen der Finanzierung schwer. Wer sich darauf ein-lässt, mit anderen zusammen ein Haus zu kaufen und zu sanieren, wird zumeist mit seiner eigenen Sozialisation konfrontiert. Geeicht auf Eigentumserwerb und Individualität, muss mensch sich hier mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen. Nachbarn, BesetzerInnen, Kommunemitglieder müssen zusammenarbeiten und Entscheidungen gemeinsam treffen. Privatleben und Privatsphäre verändern sich, müssen teilweise neu definiert werden, und Arbeit ist nicht zugleich mit Geld- oder Eigentumserwerb verbunden. Etwas Gemeinsames entsteht, was sich nachher nicht mehr so einfach in Einzeleigentum aufteilen lässt. Ein Wohnprojekt, eine Haussanierung ist nicht nur ein Kurs im Bauen und Organisieren, sondern auch ein Selbsterfahrungstrip über die eigene Belastbarkeit, die persönlichen Grenzen, das Konsum- und Sozialverhalten. So steht auf der ersten Seite des "Kommune-Buchs" (Verlag Die Werkstatt), einer kritischen Selbstdarstellung deutscher Kommunen: "Wer nach Lektüre dieses (Buches) in eine Kommune eintritt, der/die meint es fraglos ernst."

GbR, Genossenschaft oder Verein?

Eine Kommune hatte Tobias Perlick nicht im Sinn, als er 1987 in eine damals leerstehende Wohnung in der Schwedter Straße 5 einfach einzog - eigentlich auch eine Besetzung. Nach DDR-Recht hatte er allerdings nach anderthalb Jahren Anspruch auf einen Mietvertrag, den er auch von der KWV, Vorläufer der Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg (WIP), bekam. 1997 wollte die WIP das Haus verkaufen. Im Gegensatz zur Praxis der WBM in Mitte benachrichtigte sie jedoch die Mieter und bot ihnen die drei Gebäude mit der grünen Oase im zweiten Hinterhof zum Kauf an. Einige der Bewohner, darunter auch Tobias Perlick, gründeten eine GbR und erwarben 1998 das Haus - nachdem die erste kreditgebende Bank wegen mangelndem Eigenkapital abgesprungen und die WIP mit Mühe hingehalten worden war, bis eine neue Bank gefunden war.

20 Jahre nach Auszahlung der Sanierungsgelder dürfen die Wohnungen in Eigentum umgewandelt werden. So teilen sich die 22 Mitglieder der GbR in zwei Gruppen: Die einen wollen einfach hier wohnen (bleiben), die anderen sehen es auch als Kapitalanlage. Tobias Perlick wirkt derweil etwas angestrengt. Bei all den vielen Entscheidungen, die in letzter Zeit zu treffen waren, sagt er, zum Beispiel darüber, wer welche Wohnung bekommt, habe es Diskussionen bis hin zu Streit gegeben. Jetzt seien alle froh, dass es im November endlich mit der Sanierung losgehe.

Die Eigentumsfrage anders gelöst hat die "SOG": Das Eigenkapital zum Kauf der Gebäude wurde auch hier über Bürgschaften oder Privatgeld beschafft, floss aber als Anteile der Mitglieder in die Genossenschaft. Die kann man zwar kündigen und sich auszahlen lassen, die Wohnungen aber bleiben Eigentum der SOG. So streitet die sich dann eher mit den Häusern darüber, ob man nicht endlich eine bezahlte Verwaltungsstelle einrichtet oder doch die Unkosten und damit die Miete der Wohnräume so niedrig wie möglich hält. Aber, so Veronika Gottman, Vorstandsmitglied seit 1996, "die Häuser sind die SOG", das heißt, so gut wie alle Hausbewohner sind Mitglieder der Genossenschaft, sie streiten sich also mit sich selbst.

Streit mit sich selbst

Sich mit sich selbst streiten? "Das geht", lacht Ossi aus der Jessnerstraße 41 und rekelt sich behaglich auf seinem Stuhl in der großen Küche im 1.Stock des Vorderhauses, während auf dem Herd die Maxi-Ausführung einer einfachen italienischen Espressomaschine brodelt. Das Projekt sei ein âSelbstläufer, der seit neun Jahren in die gleiche Richtung läuft", sagt Ossi, der wie die Hälfte der etwa 20 ursprünglichen BesetzerInnen von 1990 noch immer hier wohnt. Im Moment leben etwa 45 Menschen in der "Jessi", vom Säugling bis zum 40-Jährigen. Die Wohnungszuschnitte wurden stark verändert, das Zusammenleben ist nicht in WGs, sondern um Gemeinschaftsküchen herum organisiert. Feste Regeln scheinen die Bewohner eher vermeiden zu wollen. Es sei eben Vertrauen da durch das lange Zusammenleben und die Homogenität der Gruppe. Es gebe auch keine pc-Diskussionen, und Dogmatismusbestrebungen wie Ego-Trips verliefen regelmäßig im Sande - das "Prinzip der Trägheit der Schnecke" nennt Ossi das.

Thomas, der seit 1994 hier lebt, meint, dass die gemeinsame Klammer des Projekts am ehesten noch der Kulturverein "Jessica Proll e.V." sei. Der betreibt im Erdgeschoss des Vorderhauses die Kneipe "Supamolli", veranstaltet Konzerte, im Winter die "Besonders-Gala" - und sei ihm schon wichtig, so Thomas.

"Kommune im Entstehen"

Während in der "Jessi" die BewohnerInnen ansonsten für ihre eigene Existenz, z. B. den Lebensunterhalt, sorgen müssen, will der "gemein und nützlich e.V." in der Gürtelstraße auch diesen Punkt angehen. Jörg, der die Gruppe im Frühjahr 1998 mitbegründet hat, nennt das Projekt eine "Kommune im Entstehen". Der Verein soll gemeinnützig werden und später auch Arbeitsplätze schaffen. Ideen gibt es für eine Gästeetage und einen Wissenschaftsladen.

Die Gruppe besteht im Moment nach einigen Ein- und Auszügen im letzten Jahr aus sechs Erwachsenen zwischen 23 und 40 Jahren, zwei Jugendlichen und einem Kleinkind und öffnet sich gerade für neue Mitglieder. Der Verein soll auch den Umbau der Fabriketagen in Friedrichshain tragen - Privatgeld geht als Kredit an den Verein. Als ersten Kommune-Schritt will man die Miete nach dem Einkommen staffeln. Später soll es auch darum gehen, die Trennung bzw. Hierarchie zwischen "Hausarbeit" und "Erwerbsarbeit" aufzuheben. Im Moment scheinen die hohen Ansprüche und die bevorstehende Renovierung die Gürtelsträßler manchmal eher zu lähmen. "Ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt schon ein Projekt sind", winkt Mitinitiatorin Lena sogar mit erschöpfter Miene ab.

Und bei aller Mühe: Mit einer Kommune "wird jedoch lediglich eine geduldete Nische im System ergattert, in der mensch persönlich «besser leben´ kann, nicht eine Machtstruktur wird «aufgelöst´" (Interim 3/93).

Die "Machtfrage" wird also mit den Wohnprojekten nicht gleich gestellt, aber, so schreibt die SelbstBau e.G., eine Genossenschaft aus Prenzlauer Berg: "...steht hinter der Entscheidung für ein genossenschaftliches Modell die politische Überzeugung, dass ein Wohnhaus nicht in den Pool der Spekulationsobjekte im freien Kapitalverkehr gehört."
Bernd Hettlage

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