Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Der Schein vom Sein scheint Schwein zu sein

Ganz gleich ob Hähnchen, Schweine- oder Rinder-Steaks, Tomaten, Mais, Cola, Fisch oder Eier: Wer sich heute noch konventionell ernährt, der schließt vom ersten Augenblick ein festes Bündnis mit dem Glück. Dem Glück auf etwas Unverdorbenes, Unverfälschtes. Denn fast kein sogenanntes "Lebens-Mittel" ist im vergangenen halben Jahr ohne eigenen Skandal über die Runden gekommen. Was fehlt, sind Atom-Äpfel und Gift-Gurken. Die Angst isst ab jetzt immer mit. Wer da nicht auf rettende Netzwerke in der Öko-Szene bauen kann, ist bzw. isst aufgeschmissen.

Was also tun? Eine Minderheit verlacht, verpönt und unverstanden rückt in dieser krisengeschüttelten Zeit jetzt wieder voll in den Mittelpunkt einer geschockten Öffentlichkeit: die Veganer. Gestern noch unbekannt, kennt sie heute jeder. "Veganer - was ist das eigentlich?", fragte neulich besorgt eine Großmutter in einer großen Berliner Boulevardzeitung. Ihr Problem: "Meine Enkeltochter (17) sagt, sie sei Veganerin. Was ist das? Bekommt das Kind auch genug Nährstoffe?" Die Expertin weiß Rat. Sie erklärt, dass sich Veganer nur mit Lebensmitteln ernähren, die rein pflanzlichen Ursprungs sind. Deshalb sollten die veganischen Gerichte so kombiniert sein, dass der Körper der Enkelin nicht Mangel leiden muss an Eiweiß, Eisen und Calcium. Das Restrisiko - Jod- und Vitamin B12-Mangel - bleibt. Dafür kann sich die kleine Enkelin abends immer mit ruhigem Gewissen ins Bett legen: Kein Tier auf dem Gewissen, keinem Eigelb die Chance auf eine Zukunft als glückliches Huhn verbaut. Wenn Tiere "Danke" sagen könnten...

Wie aber leben wir weiter, wir, die wir nicht mehr unbewusst alles in uns reinfuttern wollen, was uns auf die Gabel fällt? Was tun wir, wenn wir der Meinung einen wahren Kern abgewinnen könnten, dass erstmal die Tiere selbst aufhören sollten, sich gegenseitig aufzufressen, bevor auch wir Menschen ins Vegetarier- oder Veganer-Lager überlaufen? Wir beruhigen uns mit kritischen Zeitungsartikeln, glauben unserem Ökoladenbesitzer, kaufen direkt beim Bauern. Doch auch hier lügen wir uns in die Tasche. Liebe Leserinnen und Leser: Schon mal was vom Schweine-Zyklus gehört? Eben. Irgendwie finden die fiesen Gifte ja doch immer einen Weg zurück in die Nahrungskette. Mal als radioaktive Isotope, mal als Fäkalschlamm, mal als Schwermetall oder Säure nisten sich die Schadstoffe überall ein.

Ein Weg könnte hier das Dilemma beenden: Der Griff ins Chemieregal. Das hat heute jeder Supermarkt: Vitamine von A bis C, Calcium, Magnesium, Zink, Eisen und weiß der Teufel was nicht noch alles. Der Vorteil: Das Zeug gibt uns täglich alles, was wir zum Weitermachen brauchen. In chemisch reiner Form veredelt, als Pulver, Pille oder Tablette. Das bisschen Ballaststoff, was fehlt, ist leicht zu beschaffen: Wir beißen einfach fest ins Gras.
maurice

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