Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Neuer Schlüsselservice der Polizei

Ausbauen, durchsuchen, austauschen
Wie ein Fotograf Opfer einer Hausdurchsuchung wurde

Dave Gannon staunte nicht schlecht, als er neulich nach Hause kam, seine Friedrichshainer Wohnung aufschliessen wollte. Denn nicht nur, dass der Schlüssel nicht mehr passte - ein kleiner Schmierzettel verriet dem Fotografen das Geheimnis. "Sehr geehrter Herr Gannon, in ihrer Abwesenheit wurde ihre Wohnung geöffnet. Die Tür wurde mit einem neuen Schloss versehen. Den Schlüssel können Sie jederzeit auf dem Polizeiabschnitt 62 abholen." Einziger Zeuge der Aktion war ein Mitarbeiter des Bezirksamts Friedrichshain. Was dahinter steckte, erfuhr Gannon erst später. Vor Jahren hatte er einmal Aufnahmen einer Demo von Neonazis geschossen, die sich mit Autonomen eine Strassenschlacht lieferten. Nun läuft deswegen derzeit vor dem Berliner Landgericht ein Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung - und der Bild-Reporter ist als Zeuge geladen. Nicht mehr und nicht weniger. Dennoch brach die Polizei mit richterlichem Durchsuchungs-Befehl in der Tasche die Wohnung auf, um "Beweismittel sicher zu stellen". Aus Polizei-Kreisen sickerte auch durch, dass die Beamten nach eigener Aussage mindestens drei Mal vorher bei Gannon vorbei geguckt haben wollen. Weil der nie da war, riefen die Polizisten dann einen Schlüsseldienst - und durchforsteten das Archiv des Fotografen nach Beweisen. Drei Abzüge fanden sie und steckten sie ein. Sie sollen wenig Beweiskraft besitzen.

Zusammen mit Berufsorganisationen protestierte auch die "Verlag 8. Mai GmbH" gegen die Durchsuchung. In einem Brief an Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. So sind 40 Tage zwischen der Ausstellung des Durchsuchungsbeschlusses (15.07.1999) und der Durchsuchung (24.08.1999) vergangen - ohne, dass vorher Gespräche geführt worden waren. Auch hätte die Polizei nicht versucht, Gannon an seinem Arbeitsplatz zu erreichen, obwohl dieser der Polizei bekannt sei. Außerdem war Gannon bei der Durchsuchung nicht selbst anwesend, weshalb der Fotograf nicht genau weiß, welche und wieviele Bilder tatsächlich von der Polizei mitgenommen und gesehen wurden. Bleibt die Verhältnismäßigkeit der Mittel: Nicht nur, dass hier die Wohnung eines Zeugen durchsucht wurde, als sei er angeklagt. Der Verlag wertet die Aktion als "Angriff auf unabhängigen Journalismus".
maurice

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