Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

CoverArt

Don´t judge a book by its cover. Inhalt und Form schön brav trennen. In Zeiten winziger CD-Covers eigentlich kein Problem. Doch ab und an gibt es jene vielbeschworenen Ausnahmen. Zum Beispiel Muslimgauze. An dieser Stelle stand Anfang des Jahres ein Nachruf auf Bryn Jones, der als Ein-Mann-Band Muslimgauze repräsentierte. Die verbliebenen Arbeiten aus seinem recht großen Nachlass veröffentlicht Staalplaat nun nach und nach. Aus einer Mischung von arabischem Dub und elektronischen Störfeuer varierte Jones ein Soundgeflecht zwischen Kontemplation und Angriff. Nun ist eine weitere CD erschienen, die hier nur allein wegen ihres genialen Artwork besprochen wird: Auf die durchsichtige Front ist der Titel "Azad" gleichsam eingebrannt, während sich auf der schwarzen Hochglanz-Rückseite die Titel kunstvoll dreidimensional durchdrücken. Anstelle eines Inlays liegt ein Stück arabischer Zeitung bei, in welches via Lasercut "Muslimgauze" geschnitten ist, und im Innenteil befindet sich ein arabischer Geldschein, der neben dem Inlay seitlich zu sehen ist. Mal abgesehen von der Heidenarbeit, die diese Unikate erfordern, schreit dieses Cover geradezu nach einem besonderen Platz jenseits der CD-Sammlung.

"Showtime" heißt die neue CD von Rocko Schamoni (Trikont). Und da ohne Geld auf dieser Welt und im Showgeschäft erst recht nichts läuft, bietet "Bodycommercial" die nackte Haut des Künsters zur Tätowierung für Firmenlogos an. Entfaltet man das Cover, posiert Rocko Schamoni mit Tatoos auf seiner Haut diverser Markenlogos von VW über Aigner und Cartier bis hin zu Apple und Nike . Hier geht es um die Vermarktung eines vielversprechenden Künstlers. Tatsächlich ist es aber gar nicht so schlimm, denn mit "Showtime" taucht Schamoni rechtzeitig aus der musikalischen Versenkung auf, um in charmant-swingender Weise der frustrierten Pop-linken dem Weg aus dem Tal der Tränen zu weisen. "Anders Sein" ist ein Titel und gleichzeitig Programm: Als musikalische Opposition vor Jahren nur via Punk oder Hardcore möglich schien, lag die Subversion Schamonis schon damals im Schlager und Chansonbereich. Während das alles im Schlagerrevival uninspiriert und triefig abgekocht wurde, fegt King Shamoni genau diese Platitüden mit elegantem Hüftschwung und zielsicherem Wortspiel von der Bühne. In der Manier eines Bohemiens untergräbt er das, wofür Schlager auf der einen und bierernste, linksalternative Politik auf der anderen Seite stehen: Langeweile und Unglaubwürdigkeit. Auf "Showtime" geben sich Hedonismus und Subversion die Hand und laufen über die Blumenwiese der bitteren Realität. Fronten überall, Feinde nirgends - entweder schämen sie sich ob ihrer schlechten Taten in Grund und Boden oder sie schmeißen ihre Designerklamotten weg und swingen mit in die blumenumkränzte Zukunft.
Marcus Peter

Rocko Schamoni spielt am 16. Oktober im Maria am Ostbahnhof.

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  Ausgabe 09 - 1999