Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Klaus Kinski - Wahn Gottes

Blau-schwarzes Bühnendunkel zerreißt, als Klaus Kinski wie eine Art satanischer Jesus Christ Superstar auftaucht und das Publikum aufs Übelste beschimpft. Eine seiner berüchtigten Jesus-Tourneen, die Werner Herzogs Dokumentation über seinen "liebsten Feind" einrahmen. So hat ihn die Nachwelt wahrscheinlich im Gedächtnis behalten - als einen mitunter genialisch, jedoch meist verrückten Star, der seine Umwelt durch sein exzentrisches Verhalten zur Weißglut brachte. Acht Jahre nach Kinskis Tod blickt der Regisseur zurück auf die gemeinsame Zusammenarbeit, die von gegenseitigen Mordabsichten wie auch tiefem Vertrauen geprägt war. Denn wie läßt es sich erklären, daß Herzog fünf Filme mit ihm drehen sollte?

Der Regisseur kehrt an den Ort seiner ersten Begegnung mit Kinski zurück - eine großbürgerliche Wohnung in München, die einst als Künstlerpension diente. Dort lernte der dreizehnjährige Herzog den meist tobenden und randalierenden Kinski kennen, der sich zu der Zeit als hungernder Künstler stilisierte, der nackt und im Laub raschelnd, den Dachboden bewohnte. Davon ausgehend berichtet er über ihre Zusammenarbeit, in der sich offensichtlich zwei Verrückte immer wieder zusammen-rauften und füreinander bestimmt zu sein schienen. Dabei entstand ein sehr persönlich gefärbtes, schon beinahe zärtliches Männerportrait.


Ungerührt erzählt er von Kinskis stundenlangen Tobsuchtsanfällen und seinem an sich unbeschreiblichen Verhalten, mit dem er ganze Drehteams terrorisierte. So bot der Indiohäuptling, der in Fitzcarraldo mitspielte, Herzog am Ende der Dreharbeiten an, Kinski von seinem Stamm umbringen zu lassen. Doch nicht nur die Indianer hegten offene Mordpläne gegen den schwierigen Schauspieler - auch Herzog selbst plante eine Brandüberfall auf Kinskis Haus in München, welcher dann von dessen wachsamem Schäferhund vereitelt wurde.

An den Originalschauplätzen in Peru beschreibt der Regisseur die Strapazen der Dreharbeiten für Filme wie Fitzcarraldo, 1981, oder Aguirre, der Zorn Gottes, 1972, die eher einem beschwerlichen Feldzug gegen die Natur und gegen einen aufsässigen Star glichen. Seine Aussagen werden durch Interviews mit Filmpartnern und Mitgliedern des Drehteams ergänzt, wobei auch Probeszenen mit Kinskis berühmten Tobsuchtsanfällen gezeigt werden.

Daß Kinksi verrückt, schwierig, exzentrisch, gar unerträglich war, scheint ein Gemeinplatz zu sein, dem entgegenzuhalten ist, daß die im Film interviewten weiblichen Filmpartnerinnen, Claudia Cardinale und Eva Mattes, nur Gutes über ihn sagen.

Ebenso wirft der Film auch ein Licht auf Kinski den Perfektionisten, der seinen Rollen mit seiner animalischen Präsenz eine unglaubliche Intensität verlieh und sie zu seinem Eigentum machte wie zum Beispiel als Woyzeck, 1978 oder Nosferatu. Kinski hatte es Zeit seines Lebens abgelehnt, mit berühmten Regisseuren zu arbeiten, um sich nicht einem eitlen Ruhmesstreben zu unterwerfen. Publikum und Kritik waren für ihn "gemeines Geschmeiß", das er zu ignorien trachtete.

Überhaupt läßt Kinskis Egomanie den Verdacht aufkommen, daß er seine eigentliche Rolle und künstlerische Autonomie nur als ein Regisseur finden könnte, was er dann in seiner Paganini-Verfilmung verwirklichen sollte. Einen Stoff, den Herzog, als er von Kinski um dessen Verfilmung gebeten wurde, ablehnte, da er ihn für unverfilmbar hielt.

Als ich zum ersten Mal von Klaus Kinskis erster und letzter Regiearbeit hörte, einer Biographie des italienischen "Teufelsgeigers" Niccolo Paganini (1782-1840) nach einem Drehbuch von Kinski und mit Kinski selbst in der Hauptrolle, hatte ich folgende Assoziation: der Auteur Kinski, der mit typisch besessenem Blick überdimensionale Filmrollen über einen Berg zerren läßt, wie sein filmisches Alter ego Fitzcarraldo. Kinski Paganini ist zweifelsohne das Werk eines Besessenen, aber seine Obsessionen - die Gratlinie zwischen Genie und Wahnsinn, der Zusammenhang zwischen Sexualität und künstlerischem Ausdruck - sind auch für Außenstehende interessant.

Zunächst erscheint es, daß Kinski durch die verehrende Darstellung Paganinis in erster Linie sich selbst ein Denkmal setzen wollte. Aber die Szenen mit hysterisch jubelnden Massen und sich nach Kinski Paganini verzehrenden Frauen (darunter Kinskis letzte Ehefrau Debora Caprioglio Kinski) wechseln sich mit Momenten ab, in denen Paganinis zwischenmenschliche "Schwierigkeiten" thematisiert werden. Einzig mit seinem Sohn Achille (gespielt von Kinskis Sohn Nanhoi "Niccolo" ) führt Paganini eine beständige und liebevolle Beziehung, und in ihren gemeinsamen Szenen wirkt Kinski sen. gelöst und fürsorglich.

Erwartungsgemäß wollte Kinski die totale Kontrolle behalten, z.B. lehnte er eine Zusammenarbeit mit Ingmar Bergmans und Woody Allens Kameramann Sven Nykvist ab, aus Angst vor zu starker Einflußnahme. Jedoch gehen einige von Kinskis künstlerischen Entscheidungen auf. Die Verwendung ausschließlich natürlichen Lichtes verleiht dem Film streckenweise eine unwirkliche Schönheit, auch wenn manche Sequenzen in David-Hamilton-Weichzeichnerpornographie abgleiten. Die Aufnahme der Musikpassagen (eingespielt vom Paganini-Spezialisten Salvatore Accardo) mit mehreren, im Raum verteilten Mikrophonen statt der üblichen zwei läßt den Ton sehr plastisch wirken. Im Gegensatz zu vielen anderen Kostümfilmen besticht Kinski Paganini durch Tempo, dank des Handkameraeinsatzes von Pier Luigi Santi und Kinskis Schnitt, der Paganinis fieberhaftes Spiel nachempfindet.

Kinski starb 1991, zwei Jahre nach der Vollendung des Werkes, dem er über ein Jahrzehnt seines Lebens gewidmet hat, ohne daß der Film in seiner langjährigen Wahlheimat Deutschland aufgeführt wurde (lediglich in Italien und Japan lief der Film verhältnismäßig erfolgreich). Carsten Frank hat für die Distribution des Filmes eigens ein Verleih gegründet und startet nun den Film in der deutsch untertitelten englischen Synchronfassung (im schelmischen Bewußtsein dieser Aberwitzigkeit). Ist Kinski Paganini ein verkanntes Meisterwerk? Nein. Der Film ist eine überkandidelte, aber unterhaltsame Annäherung an Paganinis Genie und innere Zerissenheit sowie eine Auseinandersetzung mit dem Kinski-Mythos.
Mareike Meyer, Natalie Gravenor

Kinostart: 7. Oktober

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