Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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"Ich komme von den Worten her."

Ein Gespräch mit Thomas Brussig.

Bis auf den letzten Platz ist die Buchhandlung besetzt. Es ist warm und die Tür bleibt geöffnet, bis die Lesung Thomas Brussigs beginnt. Vorgestellt wird das Buch "Am kürzeren Ende der Sonnenallee". Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Fat Garlic", irgendein Restaurant im englischsprachigen Raum. Erst einmal sagt er, daß das hier ein Heimspiel ist, weil er fünf Minuten entfernt wohnt. Er spricht wohltuend vertrautes Ostberlinisch. Keine Attitüde, richtig sympathisch. Dann erzählt er noch von der ersten Lesung in der Baumschulenstraße, vor "Experten" in Sachen Sonnenallee sozusagen: Davor hatte er ein wenig Angst, daß die sagen könnten: "Nee, Herr Brussig, so war das gar nicht". "War dann aber doch nicht so schlimm", sagt er und grinst.


Bei der Lesung ist er sehr lebendig, gestikuliert und verstellt die Stimme. Die Akzente sind geschickt gesetzt. Es wird gelacht. Wer so liest, muß mit dem, was er liest, zufrieden sein. Das betont er später im Gespräch. Und, daß er eigentlich schüchtern ist und es erst lernen mußte, locker mit Lesereisen und Befragungen umzugehen. Im Urlaub hat er sich gleichsam selbst therapiert in einem stillgelegten Steinbruch: "Da habe ich dann drei Tage lang die Wände angeschrien" Betont wird auch die Tatsache, daß "Helden wie wir" sein zweites Buch ist. Das erste war das unter Pseudonym erschienene "Wasserfarben", das kein kommerzieller Erfolg war. In der Nachwendezeit einfach untergegangen. An diesem Erstling liegt ihm sehr viel, wenn es auch die Schwächen eines Erstlings hat, wie er selbst sagt. Auch weil es sein persönlichstes Buch ist, inspiriert vom "Fänger im Roggen" von J.D.Salinger. Es geht um einen achtzehnjährigen jungen Mann, der nicht genau weiß, was aus ihm werden soll. Genau wie Brussig nach der Berufsausbildung mit Abitur und der Armeezeit. Da hat er sich lange mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Das Manuskript hat er übrigens am 9. November 1989 zum Aufbau-Verlag gebracht: "Ist Tatsache".

Buchstaben und Zeichen hatten schon als Kind eine magische Anziehungskraft für ihn: "Meine Mutter wollte nicht, daß ich vor der Schule lesen lerne. Deshalb hatte ich immer den Verdacht, daß mir was vorenthalten wird , daß ich was verpasse. Ich hab dann ganz schnell lesen und schreiben gelernt. Ich komme einfach von den Worten her". Literaturzirkel hat er niemals besucht. Schreiben ging ihm leicht von der Hand, Das war aber noch nicht literarisch, die Abschlußzeitung der Schule beispielsweise oder ein ganzer Text im Armeejargon bei der NVA.

Literarisch zu schreiben hat er begonnen, weil "ich in den Büchern, die ich gelesen habe, meine Lebenswirklichkeit nicht wiedergefunden habe. Irgendwann habe ich gesagt, wenn keiner die Bücher schreibt, die mich interessieren, dann muß ich das selber machen. Und so habe ich mit zwanzig angefangen, meinen ersten Roman zu schreiben."

Freimütig gibt er zu, daß er "Helden wie wir" geschrieben hat, um berühmt zu werden. Es sollte ein "Knaller" werden. "Dazu braucht man Gegner". Darum ist es auch so drastisch geworden. "Helden wie wir" ist allerdings auch aus der Enttäuschung über eine nicht stattfindende Auseinandersetzung mit der DDR. geschrieben worden, als literarischer Kommentar zum Vorgang der Wiedervereinigung. (Ein verklemmter Trottel bringt die Mauer zu Fall). Der Erstling ist hingegen viel stiller, "Sonnenallee" versöhnlicher. Er verweist darauf, daß bei vielen anderen Autoren der Durchbruch so um die dreißig kam und sie danach nie wieder so einen Erfolg hatten. Bei Erscheinen des Buches war er 29, und es war unklar, ob es mit dem Durchbruch klappen würde. Der kleine Verlag Volk und Welt war ein Risiko eingegangen mit einer ziemlich hohen Startauflage. Der Rest ist bekannt.

Seine Bücher versteht Brussig auch als Reflexion auf das aktuelle Geschehen, "keine DDR-Analyse", betont er, obwohl sie in der DDR spielen. Trotzdem werden Analysen wohl immer wieder von ihm verlangt. Und er muß als Ostexperte auf seinen Lesereisen in Westdeutschland herhalten. Die fragen dann so Sachen wie: "Darf man über die Stasi lachen?."

Wie so vielen ging ihm die DDR ziemlich " auf den Sack." Sie verlassen wollte er nicht, weil sie sein Zuhause war. "Ich könnte mir vorstellen, daß ich weggegangen wäre, wenn so was passiert wäre wie damals in China." Für ihn war die Veränderung vor Ort das Entscheidende und nicht die Ortsveränderung. "Ich hab«s eigentlich nicht ausgehalten, aber ich wollte auch nicht weg. Trotzdem sind die Erinnerungen positiv. Aber das gehört wohl dazu." Solche Schieflagen interessieren ihn: "Zu Ostzeiten hatten sie alles satt, und jetzt reden sie alles schön. Da stimmt doch was nicht."

Er sagt sehr oft ich weiß nicht oder ich könnte mir vorstellen, ist in den Formulierungen um Prägnanz bemüht. Da merkt man den Wortmenschen sehr, der seine Umwelt genau beobachtet, U-Bahn fährt, sich nicht abschottet. Genervtsein über die zum fünfzigsten mal gestellte Frage läßt er sich nicht anmerken, verweist nur darauf, daß er jetzt nicht die Standardantwort gibt. Und hat sehr viel Geduld, obwohl er viel zu tun hat. Es ist ihm aber anzumerken, daß er sehr gerne erzählt, auch über seine Arbeit, seine Bücher. Selbsterlebnisliteratur findet er auf Dauer langweilig. "Wasserfarben" war als Erstling wichtig, als Herzblut sozusagen. Und "Helden wie wir" als Bestätigung, daß er allein mit Fiktion etwas sagen kann. Die ist für ihn wichtiger. Und die Moral: "Ich bin ein moralischer Autor, aber sehr unterhaltsam. Daß beides zusammengehört, habe ich bei Kästner gelernt, und den lese ich immer wieder gerne." Wer weiß, vielleicht steht eines seiner Bücher bald auf dem Lesekanon für Schulen. Dann hätten die Schüler mal was zu Lachen.

Da der Buchladen schließen will, ziehen wir in eine benachbarte Kneipe um. Und obwohl es laut ist und Thomas Brussig unübersehbar müde, erzählt er weiter. Zum Beispiel, daß er viel Zeitung liest. Dort hat er auch die Idee für Sonnenallee her. In einer Rezension über einen in der DDR spielenden Film wünschte sich der Rezensent so einen Film über die DDR. wie Radio Days von Woody Allen. Da dachte ich, der hat recht. Sowas müßte man mal machen. Ich wollte aber keine Radio- sondern Mauerepisoden machen, weil für mich die DDR die Mauer ist und nicht die Stasi. Die Sonnenallee kannte ich schon. Das ist ein sehr schöner, auffälliger Ort dafür, wo jedem auch klar wird, wie absurd das Ding war. Das hat was Universelles." Die Filmidee war da. Auf Leander Haußmann ist er auch über die Zeitung gekommen. Dieser hatte in einem Interview behauptet, daß die DDR die letzte Hippie-Republik war. Nirgendwo sonst haben sich wohl Römerlatschen modisch solange halten können. Haußmann war von der Idee begeistert. Das Ergebnis gibt es als Buch und Film, den der Autor selbst noch nicht gesehen hat. " Es ist was anderes, ob man einen Film mit dreihundert anderen Leuten sieht und mit denen lacht, als alleine." Wie es aussieht, haben die beiden da einen ganz großen Coup gelandet, denn der Buch und Film sind sehr komisch, wenn der Akzent auch jeweils woanders liegt. Eine Frauenzeitschrift hat nunmehr die Hauptdarstellerin in sonnenallee-mäßigen Klamotten abgelichtet, die natürlich nicht aus dem VEB Sonnidee stammen, sondern von irgendwelchen Designern. Insofern ist der verkündete Anspruch, einen Film machen zu wollen, bei dem die Westler neidisch werden, nicht in der DDR gelebt haben zu dürfen, aufgegangen. Obwohl Thomas Brussig niemandem wünscht, in der DDR gelebt haben zu müssen. Dem Siebziger-ist-cool-Hype sei hier Dank.

Das Drehbuchschreiben kann er übrigens auch im Streß, Romaneschreiben nicht, weil man dazu Ruhe braucht. Also wird er weiter an dem neuen Projekt mit Edgar Reitz arbeiten, der dritten Staffel von Heimat, trotz Lesereisen. Er ist dort Co-Autor und nicht ausschließlich für die Ostschiene zuständig. "Es kann auch sein, daß er sagt, zu dem Charakter hast du eine besseren Zugang, deshalb schreibst du mal die Szene." Es geht um die Jahre 1989 bis 2000, also Gesamtdeutschland nach der Wiedervereinigung, mit der er sich lange Zeit nicht anfreunden konnte. "Ich versuche auch nach Kräften, den Begriff Wiedervereinigung zu vermeiden. Ich rede immer von deutscher Einheit, aber nur, wenn ich mich konzentriere. Ich hab mir die Einheit auch nicht gewünscht." Aber was wünscht er sich?

"Über Freiheit müßte noch ein Buch geschrieben werden." Es ist ein geschundener Begriff, das ist wahr. Freiheit ist ein Erlebnis, eine Definition von Thomas Brussig. "Ich meine das eher in einem existentialistischen Sinn. Daß jeder Mensch zur Freiheit verurteilt ist und in der Lage, für sich seine Entscheidung zu treffen, aber auch an seinem Unglück Schuld. Und: Wer frei ist, macht auch andere frei. Ich muß mit diesem Buch auch selber wachsen, muß das was ich schreibe auch leben. Das ist die eigentliche Herausforderung. Wenn ich ein Buch über Freiheit schreibe, soll das so sein, daß die Leute es zuklappen und begeistert sind von der Idee der Freiheit und sie wirklich wollen." Und sonst?

Ich hätte gerne mal mit Woody Allen zusammengearbeitet. Das wäre was. Man wird doch wohl noch träumen dürfen."
Ingrid Beerbaum

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