Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1899

23. September bis 20. Oktober

Das Fahrrad im Postbetrieb gewinnt an Wichtigkeit. In Berlin werden gegenwärtig bereits über 100 Fahrräder, meist Dreiräder, zu Postdienstzwecken benutzt. Die Beförderung von Briefbeuteln zwischen verschiedenen Stadtpostämtern, die Bestellung von Telegrammen und Rohrpostsendungen, sowie die Leerung der Briefkästen erfolgen in vielen Fällen von Postboten mit Fahrrad. Die auf den Fernbahnhöfen eintreffenden Eilpackete werden von den Bahnhofspostämtern mittels Fahrrad ausgeliefert, wodurch die Sendungen sehr viel früher in die Hände der Adressaten gelangen. Auch Telegraphenleitungs-Revisoren sind von der Telegraphen-Verwaltung mit Fahrrädern ausgerüstet, um die Störungen von Telegraphen- und Telephonleitungen schnell beseitigen zu können.

Nach Übernahme der Karolinen-, Marianen- und Pumo-Inseln durch das Deutsche Reich sollen die Karolinen-Inseln Yap und Ponape, sowie die Marianeninsel Saipan deutsche Postanstalten erhalten. Bis jetzt befinden sich deutsche Postanstalten in der Südsee in Berlinhafen, Friedrich-Wilhelmshafen und Stephansort auf Neu-Guinea (Kaiser Wilhelmsland), in Hubertshöh und Matopi auf Neu-Pommern (Bismarckarchipel) und in Jaluit auf den Marschallinseln. Auch in Apia auf der zu der Samoagruppe gehörigen Insel Upolu ist eine deutsche Postanstalt tätig.

Während die Beseitigung des Mülls in kleinen Städten ohne Schwierigkeiten zusammen mit der Abfuhr der Exkremente erfolgt, muss in Städten, die über eine Kanalisation verfügen, eine geregelte Hausmüllbeseitigung organisiert sein. Schneider hat zur Verbrennung des Kehrichts einen Generatorschmelzofen konstruiert, in dem die Abfallstoffe ohne Vorbehandlung verbrannt und zusammengeschmolzen werden. Die Verbrennungsprodukte werden zum Heizen des Ofens benutzt, der außerdem auf 100 kg Berliner Durchschnittsmüll noch 24 kg billigste Braunkohle verbraucht und dabei 40 kg geschmolzene glasartige Masse liefert, die in Form von Blöcken ein sehr widerstandsfähiges Baumaterial bildet. Durch Einleiten von Wasser bleiben sie in einer Form, die sie als Kissurrogat verwertbar macht.

Die Erfolge der Müllverbrennung hängen sehr von der Beschaffenheit des Mülls ab. Wo viel Braunkohle gebrannt wird, wie in Berlin, ist im Müll selber kaum Kohle enthalten und es herrscht eine staubige Asche vor, die große Schwierigkeiten bereitet. So werden also auch in Zukunft die städtischen Abladeplätze eine wichtige Rolle spielen.

Der städtische Abladeplatz I von Berlin liegt inmitten des künftigen Nordparks, am äußersten Ende der Müllerstraße, unweit der Abzweigung der Dalldorfer Straße von der Tegeler Chaussee. Es ist ein ungeheurer Kehrichthaufen, der von fern wie eine Festung wirkt und auch noch zusätzlich palisadenartig eingezäunt ist. In langen Kolonnen bewegen sich die Müllwagen der verschiedenen Systeme, wie Staubschutz, hygienische Müllabfuhr usw. der Einfahrt zu.

Ein allerliebstes Gärtchen mit hübschen Lauben befindet sich links, das der aufsichtsführende städtische Beamte hier angelegt hat und das er liebevoll pflegt. Zwischen blühenden Georginen und üppigen Sträuchern stehen leicht beschädigte Gipsbüsten von Kaiser Friedrich, Goethe und anderen. An der Wand des kleinen Gartenhäuschens hängen schöne, aber defekte Gipsmedaillons, die aus dem Schutt gerettet wurden.

Ein Teckel, ein Terrier, eine weiße Ziege und ein großer Hühnerschwarm bevölkern den Vorhof. An diesem Eingang wird jeder Müllwagen gewogen, da die von den Hausbesitzer-Vereinen zu zahlenden Beträge sich nach dem Gewicht der Abfälle bemessen. Eine mit Bohlen belegte Rampe führt durch einen schluchtartigen Einschnitt zum Kran und dem offenen Abladeplatz. Die Wände des Einschnittes zeigen eine Menge Schichten von moderndem Müll, mit Scherben untermischt.

Passiert man diesen Einschnitt, natürlich nur mit Genehmigung der Direction der städtischen Straßenreinigung, so liegt vor einem ausgebreitet ein riesengroßes Feld von Müll, Papierfetzen, Blechbüchsen und Scherben. Bunt genug sieht das aus: weiß von Papierfetzen, brauner Müll und Schutt, blau oder weiß glänzende Blecheimer und Conservenbüchsen. Manchmal jagt der Wind eine Staubwolke über das Schuttfeld oder wirbelt Hunderte von Papierfetzen darüber hin. Einige Menschen beleben die weite Fläche.

Am Kran werden die metallenen Müllkästen von den Wagen gehoben, entleert, und der Inhalt wird mit eisernen Harken und Rechen ausgebreitet. Knaben und Mädchen sortieren daraus die festen Abfälle, also Glas, Knochen, Eisenteile, Blechgefäße usw. heraus, die in besonderen Haufen gelagert werden. Die Wagen älterer Konstruktion haben meist Seiten- oder Rückwände zum Umklappen. Ihre Entladung erfolgt durch die Müllkutscher ziemlich rasch, worauf die Wagen durch ein Seitentor am sogenannten "Zigeunerlager" den Abladeplatz verlassen.

Mit dem "Ausschalen", dem Sortieren, sind Männer und Frauen beschäftigt, die bei der Sonnenhitze kein beneidenswertes Dasein führen. Besonders wenn Millionen kleiner Fliegen aus der benachbarten Abdeckerei, in die man vom Müllhaufen blicken kann, in wolkenartigen Schwärmen alles Lebende überfallen. In wenigen Jahren wird man mit Staunen vernehmen, dass der schönste Teil des Nordparks sich auf dem Riesenkehrichthaufen Berlins befindet, von dessen hochgelegenem Teil ein Aussichtsturm die Reichshauptstadt übersieht.
Falko Hennig

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  Ausgabe 09 - 1999