Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Riesige Sprünge, absurde Spannen, unlogische Kategorien

Lauter Ungereimtheiten im neuen Ost-Mietspiegel

Der zweite Ostberliner Mietspiegel ist veröffentlicht worden. Es wird auch der letzte Ost-Mietspiegel sein. Die Mieten im Ost- und Westteil der Stadt haben sich so sehr aneinander angeglichen, dass im Sommer 2000 erstmals ein Gesamtberliner Mietspiegel erscheinen soll. Im Durchschnitt sind die Mieten im Ostteil nur noch 80 Pfennig pro Quadratmeter niedriger als im Westen.

Mit dem allerersten Mietspiegel Ost war zum 1. Januar 1998 das Vergleichsmietensystem in den Ostbezirken und West-Staaken eingeführt worden. In ihm sind die ortsüblichen Vergleichsmieten festgeschrieben. Ermittelt werden diese Durchschnittswerte durch eine statistische Erfassung, welche Mieten in welchen Wohnungen aktuell gezahlt werden. Der so erhobene Ist-Zustand wird als Vergleichsmiete zum Maßstab für Mieterhöhungen: Mehr als ortsüblich gezahlt wird, darf der Vermieter nicht verlangen.

Renovierter Altbau deutlich teurer

Im Vergleich zum ersten Mietspiegel 98 sind im neuen Mietspiegel vor allem Altbauwohnungen mit Vollstandard teils erheblich teurer geworden. Auch die vorher schon teuren Neubauwohnungen zogen im Mietpreis nochmal an. Etwas günstiger geworden sind hingegen Teilstandard-Wohnungen im Altbaubestand. Substandard-Wohnungen ohne Sammelheizung, Bad und Innen-WC sind wiederum teilweise deutlich teurer geworden. Der Blick auf die Durchschnittswerte lässt allerdings die gespaltene Gesellschaftsentwicklung außer Acht. Er verschleiert, dass nicht alle auf dem Wohnungsmarkt die gleichen Chancen haben.

Extreme Spannen

Im Einzelfall sind die Mittelwerte jedoch nicht entscheidend. Wichtig ist die Einordnung in die Spannen, die sich aus der Ausstattung der Wohnung ergibt. Die Ober- und Unterwerte liegen in einigen Feldern des neuen Mietspiegels noch viel weiter auseinander als beim vorherigen. So können allein die Ausstattungsmerkmale über eine Differenz von 11 Mark beim Quadratmeterpreis bestimmen. Eine kleine Vollstandard-Wohnung, die bis 1949 gebaut wurde und in einfacher Wohnlage liegt, kann 5,65 DM oder aber auch 16,84 DM/qm nettokalt kosten. Ein einziges Positiv-Merkmal wie z.B. ein Kabelanschluss (egal, ob der Mieter ihn nutzt oder nicht) kann dabei den Mieterhöhungsspielraum schon um 1,75 DM/qm heraufsetzen.

Die Kriterien der Ausstattungsmerkmale sind dabei so festgelegt, dass die wohnwerterhöhenden Merkmale die wohnwertmindernden fast immer überwiegen - und die Miete meist gegen den oberen Spannenwert tendiert.

In sanierten Wohnungen kann sich der Vermieter zudem die Modernisierungsmaßnahmen, die der Mieter schon über die Umlage bezahlt, später nochmal über die wohnwerterhöhenden Merkmale bei der Spanneneinordnung vergolden lassen. Der Mieter zahlt doppelt.

44 Prozent Steigerung in eineinhalb Jahren

Stutzig macht ein Vergleich mit dem vorherigen Mietspiegel: In einigen Feldern sind die Werte weit stärker gestiegen als es im Einzelfall eine rechtmäßige Mieterhöhung zulassen würde. Wies das Mietspiegelfeld 1998 der oben genannten Beispielswohnung noch einen Mittelwert von 6,83 DM auf, so stieg dieser Wert im aktuellen Mietspiegel auf 9,85 DM/qm, also um 44 Prozent. Da aber in einem Zeitraum von drei Jahren die Miete höchstens um 30 Prozent erhöht werden darf, dürfte die Steigerung der Durchschnittsmiete in den eineinhalb Jahren zwischen den beiden Mietspiegel-Erhebungen theoretisch nur 15 Prozent betragen.

Zu erklären ist das vermutlich dadurch, dass viele Teilstandard-Wohnungen auf Vollstandard aufgerüstet worden sind und die dadurch fälligen Modernisierungsumlagen in den Mietspiegel eingeflossen sind. Somit wird auch das Mietniveau derjenigen Wohnungen hochgetrieben, die nicht von Modernisierungen betroffen sind.

Schlechte Wohnlage teurer als gute

Gegenüber seinem Vorgänger sind im neuen Mietspiegel einige Gebiete in ihrer Wohnlage hochgestuft worden. So ist jetzt z.B. die gesamte Hellersdorfer Plattenbausiedlung eine mittlere statt einfache Wohnlage. Doch das hat nicht viel zu sagen: Auffällig oft sind Wohnungen in einfacher Wohnlage teurer als in mittlerer oder sogar guter Wohnlage.

Das zeigt entweder, dass die Kriterien zur Wohnlageneinordnug nicht stimmen oder dass sich der Wohnungsmarkt nicht daran hält. Wenn in einem schlechten Wohnumfeld höhere Mieten gezahlt werden sollen als in einem guten, hat der Mietspiegel als Instrument zur Regulierung der Mieten versagt. Der Mietspiegel bildet lediglich die Entwicklung des Mietwohnungsmarktes ab und schreibt sie in die Zukunft fort. So wie er heute gehandhabt wird, ist der Mietspiegel kein Steuerungsinstrument, mit dem Fehlentwicklungen des Wohnungsmarktes verhindert werden können. Statt dessen hält er die Mietsteigerungsspirale am Laufen und sanktioniert den Mietwucher.

All die Ungereimtheiten des neuen Mietspiegels zeigen, dass politisch in die Marktmechanismen eingegriffen werden muss, um die Mieterstadt Berlin zu erhalten. Aber genau das Gegenteil ist ja das erklärte Ziel des jetzigen Senats.
Jens Sethmann

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  Ausgabe 08 - 1999