Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Stacheldraht durch die gute Stube

Die Sicherheitsvorkehrungen für die geplante US-Botschaft am Pariser Platz stoßen auf Widerstand

Die Argumente zum Abriss der Ungarischen Botschaft waren vorgeschoben

Die US-amerikanischen Pläne für den Bau ihrer Botschaft in der südwestlichen Ecke des Pariser Platzes treffen auf eine breite Front der Ablehnung. Die Planung für das Gebäude selbst ist schon seit Jahren fertig und unumstritten, zum Zankapfel sind nun aber die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen geworden, die der Botschaft Schutz vor terroristischen Anschlägen bieten sollen.

Diese vom amerikanischen Botschafter John Kornblum als unerlässlich bezeichneten Sicherheitsvorkehrungen greifen tief in die Struktur der Stadt ein: Auf dem Pariser Platz sollen Poller und schwere Blumenkübel eventuelle Autobomben auf Distanz halten. Die Behrenstraße und die Ebertstraße sollen auf Höhe der Botschaft jeweils um 30 Meter verschwenkt werden, damit die gefährliche Öffentlichkeit eine Handgranatenwurfweite entfernt bleibt. Das würde bedeuten, dass die Behrenstraße über das Gelände des geplanten Holocaust-Mahnmals liefe und daß für die Verlegung der Ebertstraße mehrere Bäume des Tiergartens gefällt werden müssten. Darüber hinaus soll nach dem Willen der Amerikaner an der Ecke Ebert-/Behrenstraße ein Wachhäuschen aufgestellt werden.

Fort Knox vor Urbanitätskulisse

Widerspruch kam von allen Seiten. Besonders der Stadtentwicklungsstaatssekretär Hans Stimmann, der als Senatsbaudirektor die Gestaltung des Pariser Platzes nach der "Kritischen Rekonstruktion" durchgesetzt hat und als Hauptverfechter des historischen Stadtgrundrisses gilt, sparte nicht mit Kritik: "Entweder die Amerikaner verzichten auf ihre anvisierten Sicherheitstechniken, oder man muss einen anderen Standort suchen", sagte er zur taz. Die des Antiamerikanismus unverdächtige Berliner Morgenpost erinnerte daran, dass die Absperrungen genau an der Stelle lägen, an der Berlin noch vor zehn Jahren durch Mauer und Stacheldraht geteilt war. In der gleichen Zeitung sagte Bürgermeister Eberhard Diepgen gar: "Die Amerikaner müssen lernen, dass sie sich nach der Stadtplanung ihres Gastlandes richten müssen." Seine Senatskanzlei wiegelt ab: Man werde sich im September mit den Amerikanern über die Sicherheitsfrage auseinandersetzen und denke nicht an einen anderen Standort.

Der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, warf den Berlinern hingegen mangelnde Kompromissbereitschaft vor. So könne man etwa dem amerikanischen Sicherheitsbedürfnis durch eine Verkehrsberuhigung der Behrenstraße genügen. Dieser Vorschlag weckte den Bau- und Verkehrssenator Jürgen Klemann auf: Eine Sperrung der Straße stelle einen starken Eingriff in den (Auto-)Verkehrsfluss dar, der die anderen Ost-West-Straßen über Gebühr belasten würde.

Wer einen Vorgeschmack haben will, braucht sich nur die jetzige amerikanische Vertretung in der Neustädtischen Kirchstraße anzusehen. Der gesamte Straßenabschnitt zwischen Dorotheen- und Mittelstraße ist mit Betonkübeln und Stacheldraht abgesperrt. Ein solches Sicherheitskonzept ist mit dem allseits propagierten Bild der "europäischen Stadt" in keiner Weise vereinbar. Die Einhelligkeit der Kritik verwundert daher nicht.

Zweierlei Maß

Erstaunlich sind allerdings die harten Worte, mit denen sich die Berliner Politik gegen die amerikanischen Pläne wendet. Im Fall der Ungarischen Botschaft Unter den Linden, die mittlerweile abgerissen ist, war es genau umgekehrt. Als die ungarische Vertretung vor einem Jahr bekanntgab, sie wolle ihr unter Denkmalschutz stehendes Botschaftsgebäude aus den sechziger Jahren abreißen und durch einen repräsentativeren Neubau ersetzen, war seitens der Stadtentwicklungsverwaltung (die auch die Denkmalpflege vertritt) keine Rede davon, dass der Gast sich "nach der Stadtplanung des Gastlandes richten" müsse. Im Gegenteil hieß es, aus außenpolitischer Rücksichtnahme könne man sich dem Ansinnen der Ungarn nicht entgegenstellen, da müsse der Denkmalschutz eben zurückstehen. Das Botschaftsgebäude wurde bereitwillig aus der Denkmalliste "entlassen" und dessen Abriss genehmigt.

Dass Diepgen und Stimmann nun den Amerikanern gegenüber ganz ohne außenpolitische Rücksichtnahme die Keule schwingen, zeigt dass dieses Argument bei den Ungarn nur vorgeschoben war: Es passte ihnen einfach gut in den Kram, dass die Republik Ungarn ihren "hässlichen DDR-Kasten" abreißen und an die Ecke Unter den Linden/Wilhelmstraße einen historisierenden Neubau errichten wollte, der besser zur "guten Stube" Pariser Platz passt.
Jens Sethmann

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