Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Der 20. Juni 1991 und die Folgen

"Hauptstadt Einig Vaterland" - eine erste Gesamtstudie über die Hauptstadtplanung

In seiner Sommerpause zieht der Bundestag nach Berlin um und wird im September seine Arbeit in der neuen Hauptstadt aufnehmen. Der Erscheinungszeitpunkt eines Buches über die Hauptstadtplanung könnte deshalb kaum günstiger sein. Doch Max Welch Guerras Buch "Hauptstadt Einig Vaterland" zeigt, dass Hauptstadtplanung viel mehr ist, als nur der Umzug von Parlament und Regierung von einer Stadt in die andere. Welch Guerra, Politologe und Stadt- und Regionalplanungsdozent an der TU Berlin, beleuchtet mit seiner Studie die ganze Breite der Hauptstadtplanung: die Installierung der Parlaments- und Regierungsfunktionen in Berlin, die strukturpolitische Umverteilung zentralstaatlicher Einrichtungen zwischen Berlin, Bonn und anderen Standorten sowie die Herausbildung einer neuen baulich-räumlichen Staatssymbolik und deren Bedeutung für die "Vollendung der Einheit Deutschlands" - so lautete der Titel des Bundestagsbeschlusses zum Berlin-Umzug vom 20. Juni 1991.

Acht Jahre danach ist die Platzierung von Ministerien und Bundestagsdienststellen in Berlin entschieden. Erstaunlich ist dabei, dass sich die jetzige Standortverteilung nur wenig davon unterscheidet, wie sie im Jahr 1990 einmal geplant worden ist. Diese Ähnlichkeit verdeckt jedoch den windungsreichen Weg zwischen 1990 und 1999, auf dem fast jede Bundesinstitution mehrmals ihren geplanten Standort wechselte.

Die Anspruchshaltung des Bundes an Berlin nahm zunächst ungeahnte Ausmaße an, bis im Jahr 1993 erst richtig bewusst wurde, dass die Finanzierbarkeit durchaus fragwürdig ist. Die Begrenzung des Budgets für die Umsetzung des 1994 beschlossenen Berlin/Bonn-Gesetzes auf 20 Milliarden Mark erzwang die ungeliebte Nutzung von vorhandenen Gebäuden und die Reduzierung der Flächenansprüche. Eine glückliche Entscheidung, meint Welch Guerra, denn so wurde die Akzeptanz des Hauptstadtumzugs erhöht und die Ergebnisse optimiert.

Erfolg im Spreebogen - Misserfolg auf der Spreeinsel

Im Spreebogen, dessen Lage "eine gewisse inszenatorische Dramatik"begünstigt, sieht der Autor den größten Erfolg der Hauptstadtplanung: Der Schultes-Frank-Entwurf der "Spur des Bundes" fand eine breite Zustimmung und ermöglichte daher eine zügige Umsetzung. Der größte Fehlschlag wurde auf der Spreeinsel gelandet: Durch die Unentschlossenheit der Planungsakteure wurde der Marx-Engels-/Schlossplatz "kulturell und materiell disqualifiziert". Der vorschnelle Abriss des DDR-Außenministeriums und die beabsichtigte Zerstörung des Palastes der Republik tragen Züge eines städtebaulichen Revanchismus und lassen den Platz, der in der Hauptstadtplanung immer eine zentrale Rolle spielen sollte, auf unabsehbare Zeit im Ungewissen.

War Bonn noch eine zurückhaltende Hauptstadt, so legt man in Berlin großen Wert auf die symbolische Ausstrahlung. Das Leitmotiv ist dabei nicht die Anknüpfung an Preußenherrlichkeit und Wilhelminismus, sondern "die Deutsche Einheit als Vollendung der nationalen Bestimmung". Diese konservative Symbolik habe jedoch keine bestimmte architektonische Formensprache hervorgebracht. Die Befürchtung, Großmachtsymbole könnten die neue Hauptstadt prägen, sei nicht eingetreten, meint Welch Guerra. Doch als das neue Bundeskanzleramt langsam Formen annahm, waren viele Beobachter erschrocken, wie massig sich der vertraute Würfel aus dem Modell in natura darstellt. Den Makel des Größenwahns konnte der Bund offensichtlich nicht abschütteln. Wichtiger war vielmehr die Fernsehgerechtigkeit der Gebäude, die in Bonn so vermisst wurde.

Depression bei den Gewinnern - Elan bei den Verlierern

Obwohl Berlin ein "Stadtfestival mit Dauerhaftigkeit" erhalten hat, ist man hier von einer "chronisch-depressiven Stimmung" erfaßt. Bonn, die "Verliererstadt" des Umzugsbeschlusses, hat es nach anfänglichen Katastrophenszenarien geschafft, mit entschlossenem Handeln aus den Ausgleichsmaßnahmen erhebliche Vorteile zu ziehen. Die größte Gefahr ist für Bonn der "finale Rutschbahneffekt": Die in Bonn verbliebenen Ministerien könnten sich irgendwann auch zu einem Umzug nach Berlin entschließen. Andere Städte vermochten es dagegen nicht, aus der Zuweisung zentralstaatlicher Einrichtungen einen Gewinn für das örtliche Gemeinwesen zu machen, wie Welch Guerra an den Beispielen Dessau und Stralsund zeigt, wo das Umweltbundesamt bzw. die Bundeversicherungsanstalt für Angestellte angesiedelt werden.

Viel Öffentlichkeit - wenig Mitbestimmung

Der Prozess der Hauptstadtplanung ist durch ein hohes Maß an Öffentlichkeit gekennzeichnet - gleichzeitig aber auch durch ein Minimum an Mitbestimmung. Auf der einen Seite wurden in hohen Auflage Broschüren gedruckt und die Fachöffentlichkeit diskutierte lang und breit, auf der anderen Seite hatten die Bürger kein direktes Mitspracherecht und selbst die Berliner Bezirke wurden in hauptstadtrelevanten Fragen entmachtet.

Ob die vielbeschworene Transparenz der Bundesbauten durch angekündigte Sicherheitsmaßnahmen beschädigt wird, muss man noch abwarten. Durch den vorläufigen Verzicht auf den Bau des "Bürgerforums" könnte allerdings die Offenheit der "Spur des Bundes", so Welch Guerra, als "verlogen" erscheinen.
Jens Sethmann

Max Welch Guerra: Hauptstadt Einig Vaterland - Planung und Politik zwischen Bonn und Berlin, Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 224 Seiten, 58 DM

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