Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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Fußgängerzone Kollwitzplatz?

Sperren, Aufpflasterungen, Poller - Verkehrsberuhigung als "Pilotprojekt"

Ein Wohngebiet kommt unter die Räder. Nach dem Umbau der Kulturbrauerei zum Einkaufs-, Freizeit- und Kulturzentrum wird erwartet, dass das Sanierungsgebiet Kollwitzplatz besonders abends von einer Blechlawine überrollt wird. Schon jetzt bevölkern nicht nur vergnügungssüchtige Nachtschwärmer die Straßen zwischen Wasserturm und Konnopke, sondern auch deren Autos, die parkplatzsuchend um die Blöcke kurven oder eben auf Gehwegen abgestellt werden. Die Anwohner sind nicht begeistert.

Noch im September wird der Supermarkt auf dem Kulturbrauerei-Gelände eröffnet, Ende des Jahres soll dann das Großkino folgen. Eine weitere Verschärfung der Verkehrssituation wäre für die Bewohner jedoch kaum erträglich. Von der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebiets angemahnt, beauftragte der Sanierungsträger S.T.E.R.N. ein Planungsbüro mit der Erstellung eines Verkehrskonzepts für das Viertel zwischen Schönhauser, Prenzlauer Allee, Danziger und Torstraße. Neben der stadtverträglichen Unterbringung parkender Autos soll vor allem erreicht werden, dass der Durchgangsverkehr aus dem Gebiet herausgehalten wird, die Verkehrssicherheit vor Schulen und Spielplätzen erhöht wird und die Straße wieder mehr als Spiel- und Aufenthaltsfläche genutzt werden kann. Das Konzept des Planungsbüros Conradi, Braum & Bockhorst sieht zu diesem Zweck eine umfassende Verkehrsberuhigung vor.

Mit Ausnahme des Einbahnstraßenzuges Sredzki-/Knaackstraße, also der Umfahrung der Kulturbrauerei, sind bereits alle Straßen als Tempo-30-Zone ausgewiesen. Bauliche Verkehrsberuhigungsmaßnahmen gibt es allerdings bisher nur in der Wörther Straße zwischen Kollwitzplatz und Schönhauser Allee, so dass die Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkung zurzeit vom Wohlwollen der Autofahrer abhängt. Bremsend wirken allenfalls noch die vielen Baustellen.

Schleichwege abschneiden

Ein Schwerpunkt der neuen Planung ist, den Verkehr zur und von der Kulturbrauerei weitestmöglich über die Hauptverkehrsstraßen abzuwickeln. Die Einbahnstraßenregelung der Sredzki-/Knaackstraße soll aufgehoben werden. In Verbindung mit einer Diagonalsperre auf der Kreuzung beider Straßen, die das Abbiegen nur in einer Richtung zulässt, kann der Kulturbrauerei-Verkehr nur über Umwege weiter ins Gebiet vordringen.

Diagonalsperren sollen auch an den Kreuzungen Kollwitz-/Sredzkistraße und Saarbrücker/Straßburger Straße errichtet werden, damit Autofahrer nicht mehr geradlinig das Quartier durchfahren können. So soll vermieden werden, dass sich die Autofahrer Schleichwege und Abkürzungen durch das Wohngebiet suchen. Mit einer Durchfahrtsperre auf Höhe der Straßburger Straße soll außerdem der Durchgangsverkehr auf der Metzer Straße unterbunden werden. Nur noch Busse könnten dann die Metzer Straße auf ganzer Länge durchfahren.

Weiterhin ist geplant, auch die Kollwitzstraße vom Durchgangsverkehr zu befreien: Tagsüber sollen die Kollwitz- und die Wörther Straße im Bereich des Kollwitzplatzes zur Fußgängerzone werden, zwischen 18 und 8 Uhr soll hier nur Anliegerverkehr und Anliegerparken zulässig sein. Dadurch würde der Kollwitzplatz auch erweitert und besser erreichbar sein - besonders für Kinder, die zum beliebten Spielplatz wollen.

Durch geschwindigkeitsmindernde Fahrbahneinbauten, etwa Aufpflasterungen oder Fahrbahneinengungen, soll die Sicherheit für Kinder vor dem Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße und vor der Schule in der Knaackstraße erhöht werden. In den Bereichen Wasserturm, Kollwitzplatz und Husemannstraße, die besonders vom wilden Parken in Kreuzungsbereichen und auf Gehwegen betroffen sind, soll dieser Unsitte mit dem Aufstellen von Pollern begegnet werden.

"Eher hilflos"

Diese Maßnahmen sollen 150 000 Mark kosten und zunächst nur für ein Jahr als Pilotprojekt durchgeführt werden. Danach müsse die Wirksamkeit überprüft werden. Mit der Deklaration als Pilotprojekt erhofft man sich im Bezirksamt auch, die Genehmigung des Verkehrssenators leichter und schneller zu bekommen.

Denn eigentlich ist für die Verkehrsberuhigung in Wohngebieten kein Modellversuch mehr nötig: Alle möglichen Maßnahmen wurden schon tausendfach erprobt. Diagonalsperren, Fahrbahneinbauten und Poller sind nun wirklich nichts Neues mehr. Die Freude darüber ist in der Betroffenenvertretung (BV) denn auch nur mäßig. Ihre Sprecherin Anna Vandenhertz findet die nun vorgeschlagenen Maßnahmen "eher hilflos". Schon seit der Festsetzung des Sanierungsgebietes vor fünf Jahren arbeitet man in der BV an einer Verkehrsberuhigung. Die vage Hoffnung, mit etwas Glück die Sondergenehmigung des Verkehrssenator für ein kümmerliches, einjähriges Modellprojekt zu erhalten, das dann vielleicht verlängert werden könnte, bleibt hinter dem bisher Geplanten weit zurück.

Die flächendeckende Verpollerung weiter Teile des Gebiets verschönert die Straßen gewiss nicht. Die Absperrungen können auch nur billige Provisorien sein, die notfalls nach der Testphase wieder entfernt werden können. Für dauerhafte und tatsächlich wirksame Verkehrsberuhigungslösungen fehlt in der jetzigen Senatsverkehrsverwaltung nicht nur das Geld, sondern auch der Wille. Das Interesse für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer ist im Hause des Verkehrssenators gleich Null.
Jens Sethmann

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