Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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"Ausreichende Regelungen"

Interview mit dem Sanierungsbeauftragten für Mitte, Dr. Hartwig Dieser

Was kann das Soziale Konzept bewirken?

Man kann beispielsweise mit den Sozialplanrichtlinien bestimmte Dinge verbindlich festschreiben, um die Bewohnerstruktur zu erhalten. Das setzt aber entsprechende Untersuchungen voraus, damit man genau - und nicht nur aus dem hohlen Bauch heraus - weiß, daß diese Maßnahmen notwendig sind für die entsprechende Bewohnerstruktur in konkreten räumlichen Bereichen, zum Beispiel Sozialer Wohnungsbau oder Hilfen für sozial Benachteiligte.
Das Konzept enthält ausreichende Regelungen, um unsere Sanierungsziele umzusetzen. Zum einen sind die allgemeinen und die konkretisierten Sanierungsziele aufgeführt, zum anderen stellen die aufgeführten Blockkonzepte die räumliche Konkretisierung dar in Bezug auf Häuser und Freiflächen. Außerdem sind auch die aufgestellten Bebauungspläne enthalten.
Im zweiten Teil werden das Sozialplanverfahren und die Mietobergrenzen erläutert und definiert, was Modernisierungsmaßnahmen und was Luxusmodernisierungen sind. Der dritte Teil führt die derzeit noch offenen Fragen bzw. die problematischen Aspekte der Sanierung an. Damit wird man sich in der nächsten Zeit befassen müssen.

Die Tendenz der Umwandlung zu Eigentum wird als problematisch beurteilt. Kollidiert das nicht mit den Vorstellungen des Senats, der Eigentumsbildung ausdrücklich fördert?

Es kollidiert weniger in inhaltlicher oder rechtlicher Hinsicht, sondern die Mittel werden zum Teil aus der Stadterneuerung zugunsten der Eigentumsförderung umverteilt. Damit werden die materiellen Bedingungen für die Umsetzung von sozialen Sanierungszielen geschmälert. Aber die Instrumentarien werden nicht beschränkt, und auch der rechtliche Rahmen wird nicht eingeengt.
Allerdings wäre es auch ein konkreter Widerspruch, wenn die Eigentumsförderung zur Folge hätte, daß viele Wohneigentum bilden und diese neuen Eigentumswohnungen von sanierungsbetroffenen Mietern nicht mehr angenommen werden, weil sie befürchten, daß sie irgendwann wieder ausziehen müssen. Wenn das zu einem Massenphänomen würde, könnte es ein ernsthaftes Problem für die Versorgung der sanierungsbetroffenen Mieter werden. Der andere Punkt wäre, daß nach den bisherigen Erfahrungen in den Eigentumswohnungen ja nicht durchschnittlich verdienende Haushalte wohnen, sondern eher die Besserverdienenden. Das würde zu einer Veränderung der Struktur im Gebiet führen, mit allen Konsequenzen für Einzelhandel, Dienstleister usw. Das könnte zu nachteiligen Entwicklungen führen. Es sei denn, daß auch weniger Einkommensstarke in die Lage versetzt würden, eine Wohnung zu erwerben - das ist aber noch nicht bewiesen.

Stichwort Einzelhandel: Inwieweit geht das Konzept auf das Gewerbe ein?

Gewerbe ist auch eine Dimension des Sozialen. Im Konzept spielt das Gewerbe aber eine eher untergeordnete Rolle, weil vor allem die Bewohner im Zentrum des Interesses stehen, weniger wirtschaftliche Aspekte. Gewerbemieter müssen auch in einer besonderen Form unterstützt werden, aber das spiegelt sich nicht unbedingt im Sozialen Konzept wieder, weil sich beispielsweise die Begrenzungen der Miethöhe usw. ausschließlich auf Wohnungen beziehen, nicht auf Gewerberäume. Dafür gibt es einfach keine rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten.

Aber die Gewerbeentwicklung hängt doch auch mit Bewohnerstruktur zusammen.

Es gibt keinen ursächlichen, aber einen engdefinierten Zusammenhang, weil Bewohner Angebote entweder wahrnehmen oder nicht. Wenn sich die Bewohnerstruktur ändert, ändern sich auch die Angebote, die für die Bewohner bereitgehalten werden. Aber sogar bei den gleichen Bewohnern ändert sich das Käuferverhalten: Zur Veränderung kann auch führen, daß die Kaufkraft nicht im Gebiet bleibt, obwohl Angebote und Bewohner gleich bleiben. Das ist eine generelle Strukturveränderung, die nicht nur auf die Sanierungsgebiete begrenzt ist. Große Einkaufszentren nicht nur am Stadtrand, sondern auch in der Innenstadt stellen ein Problem für das Kleingewerbe dar. Wenn der Kaufhof am Sonntag aufmacht, sind da hunderttausend Leute drin. Wir stehen auch staunend vor diesem Phänomen.
Interview: Ulrike Steglich

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