Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
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L´Alltag dans la Banlieue

"Un Frére" von Sylvie Verheyde

Ein Film, in dem ein künstlerischer Newcomer nicht süchtig wird nach Ruhm und Erfolg, sobald er sie zum ersten Mal zu spüren bekommt - selten genug sind solche Abweichungen vom Standard-Plot über Aufstieg (und Fall) vielversprechender Talente.

In Sylvie Verheydes "Un frére" ist der Teil über den aufstrebenden Fotografen Loïc, der gerade dabei ist, die Wurzeln seiner Herkunft aus einem tristen Pariser Vorort zugunsten einer künstlerischen Karriere auszureißen, nur einer von mehreren Handlungsfäden, die bis zum Ende nur lose miteinander verbunden sind. In unprätentiösen Momentaufnahmen erscheinen das Zentrum wie die Vororte von Paris von ihrer wenig glamourösen Seite. Mal begleiten sie Loïcs rehäugige Schwester Sophie, die ihrer existenziellen Langeweile auch nicht durch Exkursionen in das Nachtleben des großen Bruders oder die aufkeimende erste Liebe zu einem seiner Freunde entkommt (immerhin erlebt sie mit diesem ihr erstes Mal, vor dem sie sich so fürchtete). Dann wieder trifft sich Loïc mit einem alte Kumpel, der sich vor Drogenproblemen und ihn verfolgenden Geldeintreibern in Zynismus flüchtet und wie ein Schatten der Vergangenheit Loïcs neues Leben kommentiert.

Das alles ist nett anzusehen, und mit ein bißchen gutem Willen könnte man sogar die Gesichter der beiden Hauptfiguren von Bruder und Schwester schon interessant bzw. hübsch genug finden, um sich mit den wenigen dramaturgischen Höhepunkten des Films zufrieden zu geben. Meistens sind Bilder und Handlung von "Un frére" jedoch zu beiläufig eingefangen und zu unverbindlich. Warum der gefragte Fotograf immer stärker angekotzt ist von der ihm fremd gebliebenen Kunstszene, weshalb er sich von seiner Herkunft distanzieren will, wieso seine Ex-Freundin stirbt - man kann es nur ahnen. So erzeugen derartige Momente oft Gleichgültigkeit anstatt Interesse für die im Grunde gut beobachtete Alltags-Szenerie dieser verschiedenen Leben, in denen Höhepunkte sich immer so ganz anders gestalten als man sie sich erträumte.
Markus Sailer

Un frére, Frankreich 1997. Regie: Sylvie Verheydes; mit Jeannick Gravelines, Emma de Caunes, Nils Tavernier u.a.
Kinostart: 26.8., FSK am Oranienplatz

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  Ausgabe 08 - 1999