Ausgabe 08 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Berlin 1899

26. August bis 22. September

Sas Comité der Motorwagen Ausstellung tagt am 1. Septemer im Hotel Bristol. Vor 60 Herren berichtet Ober-baurat Klose über den Stand der Ausstellung. General Becker teilt mit, dass der für die Ausstellung der Kasernenhof gewonnen worden sei, in dem zwei Hallen errichtet wurden. Auf Antrag des technischen Comités soll zwischen 20. und 25. September eine Prämierung vorgenommen werden. Man beschließt zur Eröffnung der Ausstellung mit Damen zu erscheinen.

Im selben Hotel Bristol fand auch schon am 30. September 1897 die Gründung des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins statt. Dieser hatte sich als Ziele gesetzt: Förderung der Kenntnis von der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Motorwagensache durch Versammlungen, Musterfahrten, Wettrennen, Vereinszeitschrift, eine Fachbibliothek, Vorträge, Schaustellungen und Preise. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten damals Gottlieb Daimler, Carl Benz, Rudolf Diesel, Ferdinand Graf von Zeppelin, Emil Rathenau, Ernst Borsig, um nur einige zu nennen.

Danach fuhr man seinerzeit gemeinschaftlich vom Hotel über den Kurfürstendamm auf dem Königsweg in den Grunewald. Dabei waren drei Wagen von Benz u. Co. in Mannheim, zwei Wagen von Lutzmann in Dessau und je ein Wagen von Daimler in Cannstatt und Kühlstein in Berlin. Mitglied konnte man werden beim Kassenführer F. C. Glaser in Berlin S. W. 68.

Gewöhnt hat man sich seitdem in den Straßen Berlins an das Tuten der Automobilwagen, die Sehenswürdigeit von einst ist inzwischen eine normale Erscheinung. Geschäftshäuser fahren mit Automobilwagen ihre Waren aus, Automobildroschken wagen sich in den öffentlichen Verkehr, selbst Automobil-radler fahren durch die Straßen Berlins, obwohl sie immer noch als ein Curiosum betrachtet werden.

In der "Ersten Internationalen Motorwagen-Ausstellung", die am 3. September öffnet, sind 120 Aussteller mit etwa 150 Motorwagen vertreten. Von den Ausstellern kommen 81 aus Deutschland, 4 aus Belgien, 14 aus Frankreich und 2 aus der Schweiz. Um 1 Uhr kann das interessierte Publikum eintreten, die Mehrzahl der Besucher erscheint in Uniform, Fräcke bilden die Minderheit.

Das Festdiner findet im Hauptrestaurant des Zoologischen Gartens statt. Mit den Vorständen sind zahlreiche Aussteller und Mitglieder des Mitteleuropäischen Motorwagen-Clubs vereint. Staats-secretär von Podbielski betont, dass die höchsten Staatsvertreter gleich ihm von der Nützlichkeit des Automobilismus für die Militär- und Postverwaltung überzeugt seien. Viel Beachtung findet das im Verlag von Georg Siemens erschienene Büchlein "Die Automobilen, ihr Wesen und ihre Behandlung" von Dr. phil. E. Müllendorf und Hauptmann a. D. F. Kübel.

Die erste Automobil-Droschke rasselte im August 1878 über das Berliner Pflaster. Es war die von dem französischen Ingenieur Bollé erfundene "Dampf-Droschke". Kaiser Wilhelm, der Kronprinz und die Spitzen der Berliner Behörden sind mit dem Automobil gefahren und die große Lenkbarkeit des Vehikels hat damals allgemein imponiert. Das Fahrzeug konnte sich jedoch nicht einbürgern, es sollte 10 000 Mark kosten, ein Dampfwagen desselben Systems, der etwa 800 Zentner fortbewegen konnte, wäre sogar auf 45 000 Mark gekommen. Auch waren sie viel zu schwer. In dem schnaubenden Ungetüm hatte der Polizeipräsident von Madai mit seinem Vertreter Platz genommen, neben dem Führer saßen zwei Beamte, und hinten auf einer Art Tender stand der Heizer. Die Schutzleute standen stramm, die Pferde sprangen scheu zur Seite. Es war wohl das letzte mal, dass der geängstigte Dampf über seine gefährliche Konkurrentin, die Elektricität, triumphierte.

Als Begründerin der deutschen Automobil-Industrie gilt die Cannstädter Motoren-Gesellschaft Daimler, auf der Ausstellung vertreten ist außerdem die Rheinische Gasmotorenfabrik Benz u. Co. Über die Hälfte der deutschen Aussteller sind Berliner wie die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, die Gesellschaft für Automobilwagen, die Gesellschaft für Verehrsunternehmungen, die Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Marienfelde, Siemens u. Halske, die Centaur-Gesellschaft und Kühlstein. Vom massiven Omnibus bis zum leichten Fahrsessel, vom großen Achtsitzer bis zum zierlichen Landauer ist alles zu besichtigen.

Visionen öffnen sich vor dem geistigen Auge: Automobil-Lastwagen fahren eilig durch die Straßen, Postwagen dampfen von Amt zu Amt, der Landarzt kann schnell Hilfe bringen. Es ist die Befreiung des Menschen vom Pferd.

In der eleganten Phébus-Ausstellung der französischen Abteilung befindet sich ein Plakat, das die trauernde Colombine vor dem besiegten Fahrrad und den triumphierenden Pierrot vor dem siegenden Motorwagen zeigt.

Bis zum Ende der Ausstellung am 28. September kommen ca. 100 000 Besucher. Mit Sicherheit lässt sich noch nicht voraussagen, in welcher Form sich die Motorwagen verbreiten werden. Wichtig wird dabei die Beschaffenheit der Wege sein, da die Motorwagen meist schwerer sind als gewöhnliche Fuhrwerke. Ein sehr bedenklicher Umstand ist die größere Gefährdung des Verkehrs durch fahrlässige und ungeschickte Lenkung, weil ein solcher Wagen umweigerlich fährt, wohin er gelenkt wird. Zugtiere dagegen nehmen instinktiv an der Lenkung teil.
Falko Hennig

Zum Thema empfiehlt der Autor: Barbara Haubner: Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, Automobilismus in Deutschland 1886-1914, Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1998, 29,80 DM.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 1999