Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
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Im Angebot: eine vollkommen neue Stadt

Ab jetzt ist ganz Berlin eine Ausstellung über mittelmäßige Architektur

Das ungute Gefühl so mancher Kollwitzplatz- oder Oranienburger-Straßen- Bewohner, aus westdeutschen Reisebussen angestarrt zu werden wie Ureinwohner im Freilichtmuseum, blüht nun allen Berlinern. "Berlin: offene Stadt - Die Stadt als Ausstellung" heißt die neue Vermarktungskampagne der Berliner Festspiele in Kooperation mit "Partner für Berlin", die die Bewohner zu lebenden Exponaten macht, die die Ausstellung bespielen. Sie läuft vom 6. Juni 1999 bis zum 1. Januar 2001 und ist Teil der unter dem Titel "Das Neue Berlin" zusammengefaßten Milleniumsfestvitäten, die von der Stadtmarketinggesellschaft "Partner für Berlin" im Auftrag des Senats durchgeführt werden.

Der "Partner"-Chef Volker Hassemer, ehemals CDU-Stadtentwicklungs- und davor Kultursenator, möchte mit "Berlin: offene Stadt" die ganze Stadt "anbieten" - wem die Stadt angeboten wird, hat er nicht gesagt. Sein PR-Eifer zieht weite Kreise: Sogar auf Schokoladentafeln der Lufthansa wird für die "offene Stadt" geworben.

Zur Ausstellung ist ein "Wegweiser" erschienen, ein 288seitiges Handbuch, das zehn Routen durch das "Neue Berlin" beschreibt: von "Das Band des Bundes" bis zu "Zwischen Kiez und Schickimicki". Alles was in den zehn Jahren nach dem Mauerfall gebaut wurde, gilt als Teil des "Neuen Berlins". Auf den Touren "erläutern wir auch einige alte Gebäude, die am Wegesrand liegen", sagt Reinhard Alings, der die Routen konzipiert hat, und meint damit z.B. die Bauten der IBA 87 als "jüngster Teil des alten Berlins".

Entlang der Routen wurden sogenannte "Stadt-Zeichen" aufgestellt - Erklärungstafeln, die an den Anfangs- und Endpunkten der Rundgänge auf gebrauchte Kranteile montiert wurden. "Berlin ist aus dem Kran gebaut", erläutert der "Senatsmilleniumsbeauftragte" Ulrich Eckhardt die Symbolik in Abwandlung des altbekannten Spruchs "Berlin ist aus dem Kahn gebaut".

Cornelius Hertling, Präsident der an der Konzeption beteiligten Berliner Architektenkammer, lobte in der ihm eigenen süffisanten Art die "Stadtanimateure, die der Welt zeigen sollen, wie großartig wir sind", und fügte hinzu: "Wir haben ja auch hoffentlich was zu zeigen in dieser Stadt." Neue Profilierungssucht

"Hier entsteht tatsächlich eine vollkommen neue Stadt", behauptet Volker Hassemer. Man muß kein Architekturtheoretiker oder Stadtforscher sein, um festzustellen, daß das falsch ist. Woher kommt dieses verkrampfte Betonen des Neuen: "Neues Berlin", "Neue Mitte"? Was ist an dem "alten" Berlin so schlecht? Wo ist das nüchterne Selbstverständnis der Stadt? Wo kommt die furchtbare Profilneurose her, mit der "Partner für Berlin" allen auf den Geist geht?

Die Schattenseiten des "Neuen Berlins" beleuchtet das Wegweiser-Handbuch nicht: Die Frage, was dem Neuerungswahn schon alles zum Opfer gefallen ist, wird nicht gestellt.Die Altbauten und Freiflächen, die das "Neue Berlin" plattgemacht hat, sowie die vergebenen Chancen der letzten zehn Jahre könnten ein ebenso dickes Buch füllen.

Angesichts dessen kann man mit Genugtuung feststellen, daß das "Neue Berlin" viel schneller altert, als es den Imagebildnern lieb sein kann: Das neue Lindencorso mußte schon einmal aufwendig umgebaut werden, am quietschbunten Quartier Schützenstraße stehen schon wieder Baugerüste und beim Kaufhaus Lafayette fallen immer wieder die Glasscheiben klirrend auf den Bürgersteig. Dank der Gestaltungsdoktrin der "kritischen Rekonstruktion" sieht so mancher Bau des "Neuen Berlins" - etwa das Hotel Adlon - ohnehin viel älter aus als die Architektur aus den Jahrzehnten der Teilung.

Warmgelaufen für eine solche Kampagne hatte man sich erstmals 1987 zu den (noch getrennten) 750-Jahr-Feiern in Ost- und Westberlin, allerdings litt man damals noch unter Kinderkrankheiten. Niederschmetternd die lakonische Bemerkung eines ausländischen Gastes zur ganzen Veranstaltung: "Buden and so, you know."

Seitdem wird eine Nummer größer geplant. "Schaut auf diese Stadt" trommeln die Werbestrategen vor allem auch im Ausland, besonders nachdem Westberlin mit der Mauer seine größte Touristenattraktion verloren hat. Nach der gottlob gescheiterten Olympiabewerbung ist "Berlin: offene Stadt" bzw. "Das Neue Berlin" der bisher größte Versuch, mit einer festlichen Inszenierung Stadtentwicklungspolitik zu betreiben. Daß man damit ein ursprünglich aus Kiezzusammenhängen in den achtziger Jahren entstandenes Konzept der Stadtspaziergänge kopiert, können die Geschichtswerkstätten und "Stattreisen" als Ehre verbuchen. Und deren Stadtführungen sind so aktuell wie eh und je. Dagegen wird die kampagnenartige Mobilisierung von Geldern, Menschen und Medien von den Stadtsoziologen Häußermann und Siebel "Festivalisierung der Stadtpolitik" genannt.

Beruhigend ist dabei, daß sich die verschiedenen Festivalisierungsversuche in Berlin mittlerweile zunehmend überlagern und sich gegenseitig lähmen. Neben der "Stadt als Ausstellung" läuft noch "Spiel-Räume - Die Stadt als Bühne", die Baustellentour "Schau-stelle" und Bausenator Klemanns desperate Eigenheim-"Bauausstellung 1999". Außerdem versucht sich Berlin mit einer Vielzahl externer EXPO-Modellprojekte an den vermeintlichen Erfolg der Hannoveraner Weltausstellung anzudocken. Für solch einen Event-Overkill kann man keinem Menschen Aufmerksamkeit abverlangen. Die Festivalisierung läuft sich selbst tot.

Wenn Sie in den nächsten anderthalb Jahren auf dem Weg zum Bäcker neugierig beobachtenden Menschen mit einem blauen Büchlein unterm Arm begegnen, so verhalten Sie sich so normal wie möglich. Denken Sie daran: Sie sind ein Ausstellungsstück.

Jens Sethmann

© scheinschlag 2000
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