Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
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Wenn man mal muß

WCs und andere Stadtmöbel sind gut fürs Geschäft

Etwas unschlüssig schauten die Damen aus und traten von einem Bein auf das andere, als sie vor dem Häuschen am Tegeler See standen. Würden sie da auch wieder rauskommen? Erst als die vorherige Benutzerin ihnen erklärte, daß drinnen ein nicht zu übersehender Knopf sei, mit dem man jederzeit die Türe öffnen könne, wagten sie die Benutzung. Die vollautomatisch schließenden Türen an den Toilettenhäuschen der Firma Wall erinnern entfernt an das Raumschiff Enterprise, mit dem die unendlichen Weiten der Galaxien angesteuert werden. Bekanntlich eine Unternehmung mit hohem Risiko. Mittlerweile kann man sich gegen 50 Pfennig Gebühr vertrauensvoll an die Zukunft wenden und die mikroprozessorgesteuerten Vollbetreuung seiner existenziellen Bedürfnisse an zahlreichen Stellen in der Stadt nutzen. Musikberieselung inklusive - wohl auch, damit keine eindeutigen Geräusche nach außen dringen, wenn man mal neben den Wartenden an der Bushaltestelle muß. Danach wird vollautomatisch gereinigt. Und erleichtert setzt man seine Wege fort.

200 Toiletten bis 2000

Früher hatte die BSR die öffentlichen Toiletten unter sich. Aber die Reinigung klappte nicht so gut, die Anlagen waren oft zerstört. Die Wartung war zu teuer geworden und das Geld sollte woanders ausgegeben werden. Vor 15 Jahren schon hatte Hans Wall den Sprung nach Berlin gewagt und unterbreitete der Stadt damals das Angebot, kostenlose, leicht zu reinigende und auch schöne Toiletten aufzustellen, die sich über Werbung auf sogenannten Billboards finanzieren sollten. Wall erhielt für zunächst 20 Jahre den Zuschlag und gewann 1993 auch die Senatsausschreibung für öffentliche Toiletten. Bis zum Sommer 2000 werden gut 200 Toiletten unter seiner Regie aufgestellt sein. Als Gegenleistung für diese "kostenlosen Anlagen" muß die Stadt jedoch Werbeflächen für die Firma Wall zur Verfügung stellen.

Bei den Bezirken ist dieser Vertrag jedoch alles andere als beliebt, sind sie doch diejenigen, die die neuen Werbestandorte festlegen müssen. An einem Finger läßt sich abzählen, daß Wall vor allem an stark frequentierten Orten seine Werbung plazieren möchte. Um so leichter fällt es so, große Werbekunden für die attraktiven Flächen zu gewinnen. Die wenigen Konkurrenten um die Werbeflächen in Berlin werfen Wall demzufolge auch unfeine Raubrittermanieren vor und erwirkten im April 1998 vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den weiteren Aufbau von Wall-Werbeflächen. Schon zwei Wochen später war die Verfügung hinfällig. Die Frage, ob der öffentliche Raum, vollgepflastert mit Werbung wie zum Ausverkauf, tatsächlich für Kostenneutralität sorgt, bleibt davon unberührt.

Ganz Berlin "verwallt"

Und so sieht man nun das Wall-Logo, kleine doppelte Rautenzeichen, an immer mehr neuen großen und kleinen Werbeflächen. Riesig kragen sie als Solitäre an vielbefahrenen Stellen weithin sichtbar den Autofahrern entgegen. Und sagen "We kehr for you", ganz unbedrängt von irgendwelchen ablenkenden, lästigen Hausfassaden. Die kleinen, ebenfalls einzeln stehenden Werbevitrinen auf den Bürgersteigen zielen dagegen auf die vorbeilaufenden Passanten. Flächenbrandartig wird man hier mit den neuesten Bikini-Errungenschaften von H&M und Konsorten konfrontiert.

Natürlich macht Hans Wall mit seiner "Wall Verkehrsanlagen AG" nicht nur in Werbeflächen und Toiletten - obwohl er sich hier den ehrenvollen Titel des "Toilettenkönigs von Berlin" eingehandelt hat - sondern die Produktpalette ist groß. Wartehäuschen an Bushaltestellen, Zeitungskioske, Imbißbuden, Papierkörbe, Telefonzellen, und Bänke beinhaltet die stattliche Kollektion der "Straßenmöbel". Unter anderem will er die Frankfurter Allee damit bestücken und beglücken. Als Appetithappen hat er für den denkmalgeschützten Bereich spezielle Showvitrinen für die anliegenden kleineren Geschäfte entwickelt. Und natürlich drängt es ihn an so renommierte Orte wie Unter den Linden. Auch dort will er eine eigens dafür designte Kollektion kostenlos aufstellen.

Im Hause Wall gibt man sich selbstbewußt: "Stadtmöbel müssen wie die übrige städtische Architektur, wie öffentliche Plätze und andere öffentliche Einrichtungen dem typischen Lebensgefühl der Stadt entsprechen, damit sie von den Bürgern angenommen werden." Daß damit eine prominente Ausstellungsfläche fürs eigene Unternehmen geschaffen wird, mit der sich die Firmenprospekte vorzüglich schmücken lassen, versteht sich von selbst. Eine eigene Werbekampagne an den Wall-Bushaltestellen brachte es unlängst auf den Punkt: Unübersehbar stand auf dem Plakat "Wallstreet". Und das Bild zeigte nicht New York, sondern "Unter den Linden" mit dem Brandenburger Tor. Kaum verwunderlich, daß Daniel Wall, der Sohn, eine eigene Werbeagentur aufbaut, deren Sitz "am liebsten in der Wallstraße" in Mitte sein soll. Selbst die Berliner Morgenpost merkt an, daß "ganz Berlin ,verwallt´" sei.

Junkies zufrieden

Derweil regt sich auch Unmut bei den "vermöbelten" Stadtbenutzern, denn das WC-Problem ist in Berlin keineswegs gelöst. Vor allem jene Bezirke haben das Nachsehen, die keine attraktiven Werbeflächen zu bieten haben oder ihre Magistralen und deren Benutzer davon verschonen wollen. Oft bleibt immer noch das Gebüsch die letzte Rettung, wenn auch vorzugsweise für Männer. Und auch jene Nutzer, die gern auf Bänken das harntreibende Bier in großen Mengen genießen, gehorchen anderen Gesetzen. Bevor im entscheidenden Moment jedesmal der Budenzauber von Wall bemüht wird, ist die Buchsbaumhecke näher. Zumal die 50 Pfennig Benutzungsgebühr in keinem Verhältnis zum Preis der Büchse Bier stehen. Die historischen Pissoirs, bekannt als "Café Achteck", konnten ohne Geld und HighTech in Anspruch genommen werde, sind aber heute von Bauzäunen abgeriegelt und rotten vor sich hin. Zwar hat Hans Wall einige von ihnen wieder denkmalgerecht hergestellt und benutzbar gemacht, aber vorzugsweise stehen diese an den schönen Standorten. Der Rest dagegen ist nicht so attraktiv und bringt wenig Renommé. Auch die übrigen geschlossenen, aber noch funktionsfähigen Bedürfnisanstalten neueren Datums fristen ein nutzloses Schicksal.

Einzig die Junkies sind rundum zufrieden mit den neuen HighTech-Klos. Wo kann man schon in nahezu klinischer Sauberkeit ungestört seinen Schuß setzen. Erst nach 20 Minuten öffnen sich die Türen automatisch.

Heimat überall

Ein kleiner Schönheitsfehler, der der Firma Wall nicht bekannt sein dürfte. Deren Siegeszug ist nahezu unaufhaltsam: Wall-Stadtmöbel stehen unter anderem auch in Düsseldorf und Dortmund, Moskau und St. Petersburg, Istanbul und St. Louis. Wenn man also in der Fremde mal muß und vor einem dieser Häuschen mit den futuristischen Türen steht: Keine Angst, funktioniert alles wie zu Hause!

sas

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