Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Treffpunkt Jägerzaun

Einer Grüninsel droht die Begradigung

Eine Oase inmitten dem Grau der Straße. Hinter der (lärm-)schützenden Wand aus parkenden Autos fließt der Verkehr. Ab und zu dröhnt eine Straßenbahn vorbei und zerschneidet die laue Sanftheit des Abends vor der Galerie Walden.

Es ist ein Kleinod der Natur, das die Bewohner der Kastanienallee 86 vor ihrem Haus haben entstehen lassen. Als einziges Gebäude der Straße mit Vorgarten läßt es den aufmerksamen Passanten innehalten und ihn verwundert auf die von Knöterich bewachsene Fassade schauen. Die mit rosa Jägerzaun umfaßten Beete und verschiedene Sträucher lassen das Ambiente fast etwas kleinbürgerlich erscheinen. Und so ist es auch, denn es sind halt kleine Bürger, die hier wohnen. Wie überall in der Stadt.

Das Tiefbauamt des Bezirkes Prenzlauer Berg wurde indes mit neuen Geldern ausgestattet und überlegt nun, diese auch irgendwie einzusetzen - der Gehweg soll begradigt, die Beete dazu verkleinert werden. Der Garten würde größtenteils unter dem Pflaster verschwinden und mit ihm ein Stück gewachsene, selbstgestaltete Urbanität. Neben den stadtökologischen Vorzügen des Grüns (klimatische Effekte, Nist- und Wohnplatz für Vögel) würde aber ein Stück sozialer Charakter des Kiezes mit verlorengehen. Anders als bei "herkömmlichen" städtischen Grünflächen spielt hier die persönliche Note der Bewohner mit in den Straßenraum hinein. So hat die Kastanienallee mit der K77 und der K85/86 ihr eigenes Gesicht, wenn man den "Kolle"-Kiez als Vergleich hinzuzieht. Bänke vor grau-bunte Fassaden mit Transparenten laden zum Verweilen ein. Und regen zum Nachdenken an - darüber, ob das Leben in urbanen Verdichtungsräumen nicht doch anders zu organisieren sei...

Auf der kleinen Bank sitzend fällt einem auf, wie die Pflanzen ringsum im wahrsten Sinne des Wortes gewachsene Geschichte repräsentieren. Drumherum haben zehn Jahre Modernisierung ihre Spuren hinterlassen.

Der Bezirk mahnt ordnungspolitische Kriterien an, so etwa die Verengung des Gehwegs. Rechtlich gesehen darf nämlich nichts in den Verkehrsraum Gehweg hineinwachsen. - Aber wird in dieser Stadt nicht überall gebaut? Hier jedenfalls bringt die kaum "behindernde" Situation einfach eine Verlangsamung des "fließenden" (Gehweg-)Verkehrs mit sich. Der heutzutage vielzitierte (gemeine) Berliner freut sich darüber. - Man trifft sich halt.

Ein anderer Punkt ist der Zustand der Anlage. Etwas verwahrlost und frei gewachsen wirken die Beete schon. Einerseits, weil intensive Pflege Zeit, Mühe und Geld kostet, andererseits, weil die Beete einer Flut von Müll und Hundekot ausgeliefert sind. Aber das sind unvermeidbare Spuren einer Großstadtzivilisation.

Nichtsdestotrotz war ebendies der Grund dafür, die Beete nun durch Zäune zu sichern, vom Müll zu befreien und so optisch attraktiver zu machen. Für die Pflege wollen die Bewohner einen Pflegevertrag mit dem Bezirk aushandeln, um so den Grunderhalt der kleinen Oase zu garantieren.

Stephan Eßwein

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  Ausgabe 06 - 1999