Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
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Lonely Blutsauger

"Die Weisheit der Krokodile" kreuzt den Vampirfilm mit dem Thriller

Steven Grlszs (Jude Law) hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, auch sonst pflegt der gutaussehende, schweigsame Typ eigenartige Gewohnheiten. So schließt er sich gerne in rohseidene Kutten gehüllt in seinem riesigen Appartement ein und verbringt die Zeit in einem geheimen Raum, den er vollgepackt hat mit Erinnerungen an verflossene Geliebte. Jeder seiner Beziehungen widmet er ein eigenes Tagebuch, worin er akribisch Details aus dem Leben der Frauen sammelt. "Verzweiflung" schreibt er resümierend auf die letzte Seite des Büchleins, das seiner letzten Freundin gewidmet war, die mit hundertfünfzig Sachen in einen Baum segelte. An der langen Reihe identischer Ledereinbände, neben die er das Buch stellt, zeigt sich der Eifer, mit dem Grlszs Frauenleben sammelt.

Als er sich kurz darauf im Liebesspiel mit einer neuen Affäre auf deren Hals stürzt und sie aussaugt, bis sie nicht mehr röchelt, fügen sich die Andeutungen seines Geheimnisses zu einem Bild zusammen. Steven Grlszs ist ein Vampir! Oder? "Die Weisheit der Krokodile" ist kein typischer Genrefilm, der an die Anfänge des Gruselns erinnert, als Max "Nosferatu" Schreck seine fauligen Zähne bleckte und den Hauch des Todes verströmte. Gruftästhetik kommt hier nicht vor. Der Alltag dieses Mannes mit bulgarischen Vorfahren verläuft in vorwiegend weltlichen Bahnen, weshalb sich Steve im weiteren Verlauf mit einem hartnäckig-gutmütigen Bullen befassen muß, der ihn als Mordverdächtigen ins Visier genommen hat. Wer ihn jedoch weit mehr beansprucht als das Abwimmeln polizeilicher Untersuchungen, ist die Ingenieurin Anna (Elina Löwensohn), in die er sich verliebt, wie er es nie zuvor getan hat. Doch ihre bedingungslose Liebe kann ihm Untergang oder Rettung sein.

Ewige Themen wie der Durst nach Liebe oder Leben, der Fluch (oder Segen) der Unsterblichkeit, die erotische Spannung des körperlichen Begehrens und der Faszination an Körpersäften sind der Stoff, aus dem sich die Begeisterung für Blutsaugerfilme speist. "Die Weisheit der Krokodile" hat sich dafür jedoch zu weit ins Liebes-Thriller-Genre hineingewagt - ohne dort konsequent zu thrillen.

Der Film versucht die Geschichte als Metapher für einen Mann ohne Eigenschaften zu erzählen, der mit dem Blut seiner Opfer auch all ihre Gefühle, Verzweiflung genauso wie Haß oder Liebe, trinken muß, und der ohne die fleischliche "Teilhabe" an seinen Mitmenschen gar nicht existierte. Insofern bietet er eine interessante Variation des Vampirthemas. Doch leider vermögen weder die Liebesgeschichte noch das Verhältnis Steves zu dem ihn beschattenden Bullen Einblicke in sein Seelenleben zu vermitteln, die tief genug gingen, um Anteil an seinem Dilemma zu nehmen.
Markus Sailer

Die Weisheit der Krokodile. UK 1998, Regie: Po-Chih Leong. Mit Jude Law, Elina Löwensohn Kinostart: 10. Juni in den Kinos Babylon, Filmtheater am Friedrichshain, Filmbühne Wien, Kant und Off.

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