Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Peter war da, Otto nicht daß ich wüßte

Tigerentenmädchen bei der Premiere von "Berlin Alexanderplatz" im Maxim-Gorki Theater

Ach, war das schön, ach, war das gemütlich. Wer´s nicht glauben wollte, mußte. Er hat es geschafft. Mit Radunski in der Zarenloge (I. Rang, Loge 1), mit Gattin und ganz volksnah ohne Leibwächter und kaum erkannt, dafür aber mit reichlich Hofstaat. Man mußte schon zweimal hinschauen, um den "Teppichverkäufer" zu erkennen. Schwester Meret - die von dem Ben - war kaum zu übersehen, vielmehr ihr Rock. Irgendsoein graues Nylonzeugs, hinten ausgestopft, wie von vor hundert Jahren. Die Moderne repräsentierte das weiße T-Shirt dazu. Otto Sander war nicht zu sehen.

Es war heiß an diesem Abend, und das Programmheft eignete sich gut zum Luftzufecheln. Und richtig heiß war´s im Saal. Empfindliche Nasen litten. Aber alle harrten aus, viereinhalb Stunden und zwei Pausen lang. Zum Schluß gab es stehende und trampelnde Menschen zuhauf und einen sichtlich erleichterten Ben Becker. Man konnte die Felsen vom Herzen kullern hören. Ein verhaltenes Grinsen. Das machte den Mann beinahe sympathisch. Den Lobeshymnen zu "Berlin Alexanderplatz" kann man sich nur anschließen und zum anderen Teil des Abends kommen.

Nach Premieren gibt es Feiern. Die sind mal mehr, mal weniger üppig ausgestattet. Irgendwann sollen diese bei den Staatstheatern rauschende Feste auf Senatskosten gewesen sein. Jetzt wird gespart. Das Buffet wird immer kleiner, die Getränke waren selbst zu bezahlen. Kenner brachten ihren Rotkäppchensekt selbst mit. Dafür hatte das Publikum Zutritt zum wunderschönen Innenhof des Maxim-Gorki-Theaters. Hier stand das Volk unter großen, alten Bäumen. Ein kleines Rasenrondell, darum Holzbänke, die man eher in Jalta oder sonstwo vermuten würde, jedenfalls im Süden. Jalta nur des Theaternamens wegen. Die Menge stand, sich munter unterhaltend. Man kannte sich und schielte zwischendurch mal ein bißchen herum, ob es interessante Leute - die Schauspieler mit Anhang - auch unter die Bäume verschlagen hat. Die sitzen aber eher auf der Terrasse vor der Kantine, ebenfalls unter Bäumen und im Schummerlicht. Mit anderen Bäumen und einigen Palmen im Topf wäre die Flucht perfekt. Ein südlicher Moment in Berlin. Zwei älter gewordene Tigerentenmädchen mit Spaghettiträgerleibchen sind die ganze Zeit auf der Suche nach Prominenz. Der Platz auf dem Geländer der Terrassentreppe erscheint ideal. Wahrscheinlich wollen sie nur ein Autogramm.

Schaulaufen und Schaustehen, das taten die meisten. Eine Gruppe, die es sich auf dem Rasen gemütlich gemacht hat, wird vom Wächter vertrieben. Man soll stehen oder geordnet auf den Bänken sitzen. Gammeln wäre zuviel Süden. Drinnen amüsiert das Personal beim Tanzen im Foyer. Gloria Gaynor wird wieder überleben. Einige Großstadtwölfe in den Ecken begutachten die Hühner und lecken sich unbewußt die Lippen. Sie werden noch eine Weile bleiben und schauen.

Die Masse hingegen steht draußen und hat kein Auge für die verschiedenen Grünschattierungen der von unten angestrahlten Bäume. Die Augen und das Strahlen bleiben den anwesenden schönen Menschen vorbehalten. Ab und zu tropft es ein wenig. Aber der Wille zum Sommer besiegt die zaghaften Versuche der Natur, daran zu erinnern, daß hier Berlin ist und nicht eben Jalta. Und das alles kurz hinterm Alexanderplatz.
ib

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