Ausgabe 06 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kasperletheater ?

Mit seiner Dienstpistole, sagt die Stimme. (Brummend, im fernen Dialekt.) Wann, frag ich. Schon vor zwei Jahren, sagt die Stimme. Ich dachte, du wüßtest davon.

Rainer war der erste Junge gewesen, den ich küßte. Wetten, daß du dich nicht traust, hatte er gesagt. Ich hatte nicht verstanden, was es da nicht zu trauen geben sollte. Was denn da passieren sollte. Aber für ihn war es etwas ganz Ungeheuerliches.

Wir hatten ein Theater. Unsere Garage. Wir hatten ja kein Auto, und die Garage stand immer leer. Ein Theater mit Kisten zum Sitzen und einer richtigen Kasperletheaterbühne, einem abgesägten Türblatt, hinter dem die Puppen fläzten und routiniert auf ihren Auftritt warteten.

Ein perfektes Theater. Die Arbeit von einigen Tagen. Unser Repertoire war beschränkt. Erster Akt: Kasper Axel haut den Polizisten Rainer, der Polizist verhaftet den Kasper. Zweiter Akt: Gretel bittet den Polizisten, er soll den Kasper wieder freilassen. Dritter Akt: Der Polizist läßt den Kasper frei, aber dafür muß der Kasper die Gretel heiraten. Ende.

Am Mittag stellten wir uns auf das Trottoir, sprachen die Leute und die Kinder an. Um zwei. Hier in der Garage. Zehn Pfennig. Nur heute. Weitersagen. Der Asphalt wärmte unsre Fußsohlen. Solange niemand vorbeikam, langten wir durch den Jägerzaun und zupften Johannisbeeren. Wetten, daß du dich nicht traust, die Ameise da zu essen, sagte Rainer. Ist doch nichts dabei, sagte ich, zerquetschte die Ameise, legte sie auf eine Beere und schluckte beides runter. Umsonst. Wir hatten nicht gesagt, um was wir wetteten.

Um zwei waren nur zwei kleine Mädchen da. Das war zuwenig. Kommt morgen wieder, sagten wir. Wir spielen erst morgen. Das habt ihr falsch verstanden. Was für eine Niederlage. Waren zehn Pfennig zu viel?

Am nächsten Vormittag stellten wir uns wieder auf den Gehsteig. Ja, um zwei. Weil gestern nicht alle reingepaßt haben. Zwanzig Pfennig. Aber heute wirklich das letzte Mal. Weitersagen.

Axel saß an der Kasse, der konnte am besten zählen. Der ließ sich nicht bescheißen. Die Garage war voll mit Leuten. Manche hatten wir noch nie gesehen. Axel baute Türmchen aus Groschen. Wir pißten uns fast in die Hosen vor Lampenfieber.

Wir müssen uns küssen, flüsterte Rainer. Warum, fragte Axel. Weil, sagte Rainer. Damit alles gut geht. Das macht man so. Wetten, daß du dich nicht traust, sagte er zu mir. Ich verstand nicht, was es da nicht zu trauen geben sollte. Was denn da passieren sollte. Auf die Backe, fragte ich. Rainer schüttelte den Kopf. Ich preßte meine Lippen zusammen und drückte meinen Mund auf seinen. Umsonst. Wir hatten nicht gesagt, um was wir wetteten. Pssst, sagte Axel, und seine Kasperhand stieg langsam nach oben.

Der Kasper haute den Polizisten, der Polizist verhaftete den Kasper. Gretel bat den Polizisten, er solle den Kasper wieder freilassen. Der Polizist ließ den Kasper frei. Aber dafür mußte Gretel den Polizisten heiraten. "Oder - nein", sagte plötzlich der Polizist, "doch nicht. Der Kasper muß mich heiraten, dann laß ich ihn frei." Das Publikum kicherte. Spinnst du, flüsterte Axel. "Das geht nicht", sagte der Kasper. "Beim Heiraten muß eine Frau dabei sein." Der Kasper, der Polizist und Gretel heirateten. Ende.

Und du, frage ich. Ich bin ja erst seit Februar wieder draußen, sagt Axel. (Brummend, im fernen Dialekt.) Gab noch Nachschlag. Ich war ja schon auf Freigang. Aber so´n Büttel hatte was gegen mich. Wollte mir jedesmal unbedingt in den Arsch gucken, wenn ich zurückkam. Und du hast ihn gehauen, sage ich. Hast den Kasper gemacht. Richtig, sagt Axel. Ich hab den Kasper immer gern gemacht. Du erinnerst dich noch dran. Klar, sage ich.

Bov Bjerg

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