Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Einfach wegblitzen

Der Subbotnik des Volkes gegen sich selbst

Irgendwie blöd muß das aussehen: Da steht einer vor einem Kiosk und notiert angespannt die Schlagzeilen der Boulevard-Presse. Ich schäme mich noch immer, das zu tun. Ich schäme mich aber noch mehr, jene Blätter zu kaufen. Wie viele Schlagzeilen in letzter Zeit, die mit dem Thema "Polizei" zu tun haben! Mehr als einen Artikel, eine ganze Zeitungsnummer könnte man aus diesen beklemmenden Headlines zusammenstellen. Denn das ist die Schmutzflut, auf der die alltagsfaschistischen Sumpf- und Sprengköpfe dahinsurfen.

Vermutlich war es seit Bestehen der Massenmedien immer so, und es liegt nur an meinem inzwischen aufgewetzteren Nervenkostüm, daß ich die Zeichen auf Sturm gesetzt sehe. Daß "Bild" Stimmung macht und die Gesellschaft in Gute und Böse aufspaltet, gehört ja zur Geschichte der Bundesrepublik. Der Graphiker Klaus Staeck brachte seinerzeit den Zeitungskopf von "Bild" unmißverständlich zur Kenntlichkeit, indem er statt "Bild" das Wort "Killt" auf roten Grund drucken ließ. Pausenlos wird in solchen Blättern gegen Sozialhilfeempfänger und gegen Ausländer gehetzt. Und die Angst wird im Volk geschürt, der Polizei könnte es an effizienter Schlagkraft dagegen -gegen ein künstlich von eben denselben Medien konstruiertes und kriminalisiertes Phantom - fehlen. Sogenanntes "Bürgerbewußtsein" soll dagegen mobilgemacht werden.

Überhaupt soll jetzt die neue Hauptstadt "sauber" werden, "Berlin soll blitzen", heißt es. Dabei geht es beileibe nicht nur um Hundekot. Nach dem chaotisch-bunten, experimentierfreudigen Nachwende-Jahrzehnt sollen sukzessive beschleunigt wieder bürgerliche, klassengesellschaftliche Sitten eingeführt werden.

Der Berliner Osten ist bald nirgends mehr der Ort, "wo Gras wuchs bis zu Tischen hoch", wie die Dichterin Irina Liebmann noch vor fünf Jahren schreiben konnte. Ein Maler wie Otto Nagel (1894 - 1967), der für seine Altberliner Stadtansichten vielgerühmt war, käme heute aus dem Malen nicht mehr heraus: und zwar aus einem nicht nur von Melancholie, sondern vermutlich von Verzweiflung getriebenen Malen. Es gäbe allzu viele Plätze, an denen er gleichzeitig seine Freiluft-Staffelei aufzustellen hätte, wenn ihn die Behörden überhaupt ließen und ihn nicht wegen Baubehinderung anzeigten. Was wäre das für ein Malen, bei dem jedes Gemälde einen Abschied bedeutet? Einen Abschied von Liebgewonnenem, von atembarem Leben, das in atemloser Rasanz "weggeblitzt" wird...

Es besteht kein Zweifel: Die Schraube wird derzeit wieder einmal um einige Windungen engergezogen. Dieser "blitzenden" Durchsetzungslogik entspricht exakt die Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes. Wenn es dem Polizeipräsidenten beliebt, werden in Zukunft ganze Bezirke zu Gebieten "mit besonderer Lage" erklärt. Jeden Passanten kann die Polizei ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf Verdachtsmomente kontrollieren. Die generelle Unschuldsvermutung ist sohin außer Kraft gesetzt - jeder ist verdächtig!

Außerdem können künftig nach einem Schnellkurs von zwei Wochen Freiwillige die Polizei bei der Verkehrsüberwachung, beim Objektschutz sowie beim Streifendienst und in Grünanlagen unterstützen. Diese Hilfspolizisten dürfen sogar eine Waffe tragen. Aus welchen Bevölkerungsgruppen sich diese Hilfspolizei rekrutieren wird? An deren paranoiden Ordnungs- und Sauberkeitswahn, an deren ungetrübte Selbstgerechtigkeit appellieren ja schon seit Monaten permanent die eingangs angesprochenen Schlagzeilen der Massenblätter.

Zu DDR-Zeiten gab es den sogenannten "Subbotnik": die freiwillige Arbeit sozialistischer Werktätiger ohne Entgelt. Unter gewendeten Vorzeichen - in Zeiten leerer öffentlicher Kassen - kehrt der Subbotnik wieder, jedoch in pervertierter Form. Das Aufbieten von Hilfspolizei ist der Subbotnik des Volkes gegen sich selbst.

Peter Hodina

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