Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Mit Volker Koepp im Gespräch über eine Landschaft und ihre Menschen

Paul Celan war Anlaß Ihrer Reise. Suchten Sie nach ihm oder eher nach der Landschaft seiner Jugend?

Als 1962, 1963 die ersten Gedichtbände von Bobrowski erschienen, gefiel mir das unheimlich gut. Darunter gab es ein Gedicht, das beschreibt einen Flecken an der Memel, in der Nähe von Tilsit. Das war so beschrieben, daß ich da immer hin wollte. Gleich nach der Filmhochschule, Anfang der 70er Jahre, reichte ich im DEFA-Dokumentarfilmstudio einen Stoff über Bobrowski ein. "Grüße aus Sarmatien" hieß dann der Film. Als Anfang der 90er Jahre das Königsberger Gebiet geöffnet wurde, dachte ich, jetzt ist es soweit. In "Kalte Heimat" ist dann auch ein Gedicht von Bobrowski montiert. Vor zwei oder drei Jahren las ich in einer Literaturzeitschrift einen vergleichenden Artikel Bobrowski/Celan, in dem es hieß, daß beide Dichter aus Grenzregionen kommen, in denen viele Nationalitäten durcheinander und, wie Bobrowski sagt, manchmal auch miteinander lebten. Celan kannte ich aber auch vorher schon gut, weil mich die Konstruktion seiner Lyrik fasziniert hat. Wir hatten eine Menge vorweg gelesen, auch alte Reiseführer. Aber wir hatten keine Struktur im Kopf. Dokumentarfilm hat für mich viel mehr mit poetischen Strukturen zu tun, als man eigentlich annehmen könnte, weil die Art der Montage von vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Das ist so ähnlich wie ein Gedicht zu verfassen.

Wie funktioniert unter den Czernowitzer Juden unterschiedlicher Nationalität das Miteinander?

Religion, das ist ziemlich neu. Der größte Teil der Juden hatte nichts mit Religion zu tun. Auch heute gehen nicht viele zur Synagoge. Es ist mehr eine Art Notgemeinschaft im Jüdischen Haus, wo sie sich treffen, Medikamente bekommen. Der größte Teil der dort lebenden Juden, fünftausend sind es, ist nach dem Krieg aus anderen Teilen der Ukraine oder Rußlands nach Czernowitz gekommen.

Wie war Ihr Verhältnis zu den Ukrainern auf dem Lande?

In den Dörfern war man unglaublich freundlich zu uns. Wir drehten dann auch bei einer Hochzeit, zu der wir eingeladen waren. Es gibt sehr viel mehr Material. Aber man hat bei einem solchen Film eine Identifikationsebene, und das waren Herr Zwilling und Frau Zuckermann. Man kann nicht die Zuneigung gleichmäßig auf alle verteilen.

Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zu den beiden beschreiben?

Zuerst dachte ich gar nicht, daß wir mit Herrn Zwilling drehen können. Er war ständig zugegen, ein wandelndes Lexikon, schien aber als Filmfigur nicht geeignet. Dann merkte ich aber, daß es fast eine Stilisierung ist, wenn er irgendwo sitzt oder durch die Stadt geht, daß alles bei ihm eins zu eins ist. Er nahm uns dann mit zu Frau Zuckermann, und wir drehten ziemlich schnell mit ihr. Zunächst war da eine ganz normale Distanz und für mich ein Herantasten. Ein Jahr zuvor war ein österreichisches Fernsehteam dagewesen, das schnell kam und ebenso schnell ging. Deshalb wunderte sie sich, wie ernsthaft wir arbeiten und taute auf mit der Zeit. Am Schluß war Herr Zwilling richtig traurig, meinte, daß er uns lieb gewonnen hat. Jetzt telefonieren wir zweimal wöchentlich.

Zwischen der Bukowina und Ostpreussen liegt Galizien. Könnte Sie Joseph Roth reizen, sich nochmals auf den Weg zu machen?

Wir haben auf dem Weg einen Abstecher nach Brody gemacht und waren in dem wunderbaren Dorf, aus dem Alexander Granach stammt. Aber es ist schwierig, nochmal den richtigen Ansatz zu finden. Was man kennt, dreht sich zwar einfacher, aber das Erlebnis ist nicht mehr so stark. Die Entdeckung ist gut für den Dokumentarfilm.

Berit Wich-Heiter

"Herr Zwilling und Frau Zuckermann" ist ab 3. Juni in den Kinos Blow Up, Filmbühne am Steinplatz, FSK und Hackesche Höfe zu sehen, ab 17. Juni in der Börse.

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